Zwischenbilanz

Wie bei kaum einer Unternehmung in den letzten 25 Jahren bin ich hier im Zwiespalt mit mir selbst. Ich weiss nicht, was zu tun ist. Oder anders gesagt, ich weiss schon was zu tun wäre, nur ob es richtig und verantwortbar ist, dass weiss ich nicht.

Wir sind leider am gestrigen Sonnabend unverrichteter Dinge wieder in unser Basislager abgestiegen. Der Aufstieg in das zweite Hochlager musste wegen der auch in der Nacht anhaltenden Schneefälle abgesagt werden.

Schon als ich noch zu Hause war, konnte man im Internet über Aktivitäten an unserem Berg lesen. Mehrere Teams sind seit über vier Wochen am Hidden Peak zugange. Inzwischen muss man sagen waren zugange. Es gab zwei oder drei Versuche, dass steile Japaner Couloir, durch welches die Route hinauf zum Lager 3 führt, mit einer fest installierten Seilstrecke zu versichern. Eine solche Seilstrecke sichert vor allem den Rückzug ab, wenn man sehr müde von oben kommt. Diese Seilstrecke soll der Faden zurück ins Leben sein. Dieser Faden ist aber auch deshalb erforderlich, um bei Auf- und Abstiegen in der gefährlichen Rinne nur möglichst kurz verweilen zu müssen. So ein fest installiertes Seil macht einen natürlich viel schneller, vor allem im Abstieg, weil man sich sehr rasch abseilen kann.

Fixseil

Christoph seilt sich an einem mit einem Fixseil versicherten steilen Abschnitt im Eisbruch unterhalb von Lager 2 ab.

Vom Hörensagen weiss ich, dass wohl etwa die Hälfte der Strecke zum Lager 3 im unteren, unschwierigen Teil des Couloirs, mit Seilen versichert ist. Im oberen, steilen Abschnitt der Rinne gibt es keine Seile. Keiner ist bisher dort gewesen, keiner hat Lager 3 erreicht. Der Grund dafür sind immer wieder Lawinen, welche durch die Japaner Rinne abgehen.

Um sicher durch die Rinne steigen zu können, bräuchte man ein längeres, stabiles Wetterfenster ohne Niederschläge. Das hat es, seitdem hier Leute am Berg sind, und vor allem seit dem wir hier sind, nicht gegeben. Und das ist wiederum der Grund, warum inzwischen fast alle ihre Aktivitäten am Hidden Peak eingestellt haben. Zuletzt die Fünfergruppe aus Polen, Russen und Ungarn, die im unteren Teil des Couloirs von einer Lawine erwischt worden sind.

Schlachtbank

Hier wurde auch jemand auf die Schlachtbank geführt. Und zwar den wirklich langen Trek von Askole hinauf bis in unser Basislager. Das Fleisch, was wir hier bekommen, ist also ganz frisch. Aber wenn mich die Ziege anderthalb Wochen lang freudestrahlend begleitet hat, dann kann ich sie nicht mehr essen.

Viele sind nach Hause gefahren, einige sind auf den Gasherbrum II umgesattelt. Derzeit überlegt lediglich eine Dreiergruppe aus dem Baltikum und zwei slowenische Bergsteigerinnen, ob sie noch einen Versuch am Hidden Peak starten sollten. Einer von der Dreiergruppe ist nun schon das dritte Mal hier und hat noch keinen Gipfel erreicht. Er will unbedingt statt auf den Hidden Peak nun auf den Gasherbrum II, weil dort seine Gipfelchancen bei weitem besser stehen. Wenn er sich durchsetzt, dann sind Christoph und ich so gut wie allein und fast völlig auf uns gestellt am riesigen Hidden Peak unterwegs. Drei Leutchen können einem verletzten nicht helfen. Es gibt ab Lager 2 nicht einmal Funkkontakt zum Basislager. Das macht mir Sorgen.

Gasherbrum II

Von ihm ist ständig die Rede, nur zu sehen war er bisher hier noch nicht: Der Gasherbrum II vom Lager 1 aus gesehen. Ich konnte ihn im Jahr 2001 gemeinsam mit spanischen Alpinisten besteigen. Der sich daran anschliessende Versuch am Hidden Peak scheiterte wegen Zeitmangel. Wir konnten schlechtes Wetter nicht mehr aussitzen.

Wir zwei müssen also in den kommenden Tagen das bewerkstelligen, was mehr als ein Dutzend Leute in den vergangenen Wochen nicht vermocht haben. Das Couloir ist nach den immer wieder aufgetretenen Schneefällen gefährlich. Wie gesagt, wir brauchen unbedingt längere Zeit stabiles Wetter ohne Niederschläge. Sonst begeben wir uns in unkalkulierbare Gefahr. Nur was, wenn es dieses ausgeprägte Wetterfenster nicht gibt? Dann bin ich nicht einmal über meinen letzten Umkehrpunkt an diesem Berg hinaus gekommen. Was für ein klägliches Ergebnis dieser Expedition!!

Wie es in den kommenden Tagen weitergeht? Wir setzen uns kleinere Ziele. Wir wollen das Zelt für Lager 3 und ein bisschen Essen vom Lager 1 ins Lager 2 tragen und dort übernachten. Je nachdem wie wir uns dort oben in Camp 2 fühlen und wie die Bedingungen sind, werden wir versuchen, Seile im Couloir zu verlegen und womöglich Lager 3 zu erreichen. Dann müssen wir sicher runter ins Basislager und uns erholen. All das gutes Wetter vorausgesetzt. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders…

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4 Antworten

  1. oliver sagt:

    Viel Glück ihr Tapferen!
    Wenn alle abreisen, dann macht ihr es halt im alpinen Stil! Schnell rauf und schnell runter!
    Zittere mit euch!
    Berg heil!
    Oliver

  2. Jens K. sagt:

    Lieber Olaf,
    ein „klägliches Ergebnis“ hätten wir nur dann, wenn einem von Euch etwas passierte. Also, bleibt ruhig und besonnen. Ihr habt bis jetzt Euer Bestes gegeben und habt Euch sicher nichts vorzuwerfen.
    Das notwendige Wetterfenster kommt ganz bestimmt, nur ob es rechtzeitig für Euch kommt, das ist unklar. Und wenn es bei dieser Expedition nicht mehr kommt, könnt Ihr es auch nicht ändern …
    Der Berg wird noch sehr viele Jahre dastehen und auf Euch warten.
    Alles Gute, beste Grüße
    Jens

  3. Hans-Peter sagt:

    Hallo Olaf und Christoph,

    ich drück Euch die Daumen für ein großes und sicheres Wetterfenster. Bleibt optimistisch! Und wenn’s doch nicht kommt, dann seid schlau: Nur wer gesund zurück kommt, kann auch wieder angreifen!
    Ich bin sicher, Ihr macht das Richtige!

    Grüße aus Thüringen

    (Hans-)Peter

  4. Lieber Olaf, ich bin mit dem Herzen dabei. Ich vertrau Dir, dass Du gesund zurück kommst.
    Inzwischen wartet nicht nur die Janinakante sondern sogar die noch schönere Olafkante, die schönste Kante im sächsisch- böhmischen Sandstein auf Dich!
    Gruß Erhard

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