27.04.2005: Wir haben den Everest maßgenommen

Den Everest kann man wirklich erst verstehen, seine ungeheueren Ausmaße begreifen, wenn man mal auf ihm unterwegs war. Der Khumbu-Eisbruch muß durchstiegen, das Tal des Schweigens durchquert und vor der Lhotse-Wand muß man einmal gestanden haben, erst dann hat der Besucher einen vagen Eindruck von den gigantischen Dimensionen dieses Berges. Genau soweit sind wir gekommen. Wir durchstiegen den Eisbruch, durchquerten das Tal des Schweigens und sind bis auf 6700 m, also bis an den Fuß der über 1000 m hohen Lhotseflanke aufgestiegen. Gemeinsam mit Lakpa und Nuri haben wir Lager 1 aufgestellt und dort die Nacht vom 25. auf den 26. April verbracht. Am Dienstag sind wir dann ins 500 m höher gelegene Lager 2. Knapp drei Stunden hat der Aufstieg vom ersten Lager bis hierher gedauert. Wir haben uns auch im Lager 2 für die Nacht eingerichtet und am Nachmittag noch einen kleinen Akklimatisationsaufstieg an die Lhotseflanke unternommen. Heute morgen sind wir dann vom Lager 2 aus wieder ins Basislager zurückgekehrt. Soweit so gut. Aber ich könnte über diese zweieinhalb Tage seitenweise schreiben.

Ich habe das erste Mal den Khumbu-Eisbruch durchstiegen! Was für ein Erlebnis! Er ist gefährlich, sehr anstrengend aber faszinierend! Es ist nicht wirklich schwierig, durch dieses Chaos aus Spalten, Eistürmen und den steilen Auf- und Abstiegen zu kommen, aber es ist nervenaufreibend. Die einzige Möglichkeit, das Risiko zu verringern, ist eine hohe Klettergeschwindigkeit. Über die zahllosen Spalten sind Leitern gelegt. Sie zu überqueren, fordert den meisten Mut. Aber ich hab mich sehr schnell daran gewöhnt. Die beeindruckensten Spalten müssen übrigens gar nicht im Eisbruch überwunden werden, sondern im Tal des Schweigens.

Nach etwa drei bis vier Stunden klettert man über den Rand des Eisbruches hinaus und steht unvermittelt im Tal des Schweigens. Was für ein überwältigender Anblick! Aber sofort ahnt man auch die ungeheueren Dimensionen. Die Wege dort sind endlos. Und wehe man ist zu spät gestartet! Dann erwartet einen der ultimative Hitzeschock. Ich hab das in zahllosen Büchern gelesen. Aber was ist das gegen die eigene Erfahrung! Wer aber hätte auch geglaubt, daß einen in über 6000 m Höhe 40 Grad erwarten. Die Hitze trifft einen wie ein Hammerschlag. Ich bekam auf der Stelle rasende Kopfschmerzen, die ich die nächsten beiden Tage auch nicht wieder los wurde.

Nicht weit vom Beginn des Tales steht das Lager 1. Thomas, Lakpa, Nuri und ich hatten zwei Zelte und die gesamte Ausrüstung dabei, um das Lager zu errichten. Nur ganz am Anfang der Besteigung übernachten die Bergsteiger hier, später wird vom Basislager aus direkt zum Lager 2 aufgestiegen. Das Lager 2 wird deshalb auch als vorgeschobenes Basislager ausgebaut. Es befindet sich unmittelbar am Fuße der Südwestwand des Everest und spektakulär direkt gegenüber der riesigen Lhotse-Mauer. Hier verbrachten wir die zweite Nacht unseres ersten Akklimatisationsaufstieges.

Aber der Weg hierher war alles andere als ein Zuckerschlecken. Wir sind zu spät gestartet. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß die Sonne schon deutlich vor acht Uhr morgens das Tal erreicht. Da sie das aber doch tat, wurde der Weg hinauf zum Lager 2 zur regelrechten Hitzeschlacht. An diesem Vormittag haben wir die Erfahrung gemacht, daß man das sonnenbeschienene Tal des Schweigens besser meidet, wenn es denn irgendwie geht.

Heute morgen waren wir dann schlauer. Wir begannen unseren Abstieg kurz nach halb sechs Uhr. Ein paar Minuten nach neun Uhr erreichten wir dann unser Basislager. Der Abstieg ohne Last ging schneller als erwartet.

Dieser Aufstieg bis an die Lhotsemauer war sicher eins meiner beeindruckensten Bergerlebnisse, auch wenn wir weiß Gott nicht allein unterwegs waren. Das gefällt mir natürlich nicht besonders. Aber so wie ich hier sein darf, sollte auch jeder andere hier sein dürfen, wenn er diesem ungeheuren Berg denn gewachsen ist. Aber das ist hier die große Frage, die natürlich auch ich mir stelle.