Den Everest kann man wirklich erst verstehen, seine ungeheueren Ausmaße
begreifen, wenn man mal auf ihm unterwegs war. Der
Khumbu-Eisbruch muß durchstiegen, das Tal des Schweigens durchquert und
vor der Lhotse-Wand muß man einmal gestanden haben,
erst dann hat der Besucher einen vagen Eindruck von den gigantischen
Dimensionen dieses Berges. Genau soweit sind wir
gekommen. Wir durchstiegen den Eisbruch, durchquerten das Tal des
Schweigens und sind bis auf 6700 m, also bis an den Fuß
der über 1000 m hohen Lhotseflanke aufgestiegen. Gemeinsam mit Lakpa und
Nuri haben wir Lager 1 aufgestellt und dort die
Nacht vom 25. auf den 26. April verbracht. Am Dienstag sind wir dann ins
500 m höher gelegene Lager 2. Knapp drei Stunden
hat der Aufstieg vom ersten Lager bis hierher gedauert. Wir haben uns
auch im Lager 2 für die Nacht eingerichtet und am
Nachmittag noch einen kleinen Akklimatisationsaufstieg an die
Lhotseflanke unternommen. Heute morgen sind wir dann vom Lager
2 aus wieder ins Basislager zurückgekehrt. Soweit so gut. Aber ich
könnte über diese zweieinhalb Tage seitenweise schreiben.
Ich habe das erste Mal den Khumbu-Eisbruch durchstiegen! Was für ein
Erlebnis! Er ist gefährlich, sehr anstrengend aber
faszinierend! Es ist nicht wirklich schwierig, durch dieses Chaos aus
Spalten, Eistürmen und den steilen Auf- und Abstiegen
zu kommen, aber es ist nervenaufreibend. Die einzige Möglichkeit, das
Risiko zu verringern, ist eine hohe Klettergeschwindigkeit. Über die zahllosen Spalten sind Leitern gelegt. Sie zu überqueren, fordert den meisten Mut. Aber ich
hab mich sehr schnell daran gewöhnt. Die beeindruckensten Spalten müssen
übrigens gar nicht im Eisbruch überwunden werden,
sondern im Tal des Schweigens.
Nach etwa drei bis vier Stunden klettert man über den Rand des
Eisbruches hinaus und steht unvermittelt im Tal des
Schweigens. Was für ein überwältigender Anblick! Aber sofort ahnt man
auch die ungeheueren Dimensionen. Die Wege dort sind
endlos. Und wehe man ist zu spät gestartet! Dann erwartet einen der
ultimative Hitzeschock. Ich hab das in zahllosen Büchern
gelesen. Aber was ist das gegen die eigene Erfahrung! Wer aber hätte
auch geglaubt, daß einen in über 6000 m Höhe 40 Grad
erwarten. Die Hitze trifft einen wie ein Hammerschlag. Ich bekam auf der
Stelle rasende Kopfschmerzen, die ich die nächsten
beiden Tage auch nicht wieder los wurde.
Nicht weit vom Beginn des Tales steht das Lager 1. Thomas, Lakpa, Nuri
und ich hatten zwei Zelte und die gesamte Ausrüstung
dabei, um das Lager zu errichten. Nur ganz am Anfang der Besteigung
übernachten die Bergsteiger hier, später wird vom
Basislager aus direkt zum Lager 2 aufgestiegen. Das Lager 2 wird deshalb
auch als vorgeschobenes Basislager ausgebaut. Es
befindet sich unmittelbar am Fuße der Südwestwand des Everest und
spektakulär direkt gegenüber der riesigen Lhotse-Mauer.
Hier verbrachten wir die zweite Nacht unseres ersten
Akklimatisationsaufstieges.
Aber der Weg hierher war alles andere als ein Zuckerschlecken. Wir sind zu
spät gestartet. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß
die Sonne schon deutlich vor acht Uhr morgens das Tal erreicht. Da sie
das aber doch tat, wurde der Weg hinauf zum Lager 2
zur regelrechten Hitzeschlacht. An diesem Vormittag haben wir die
Erfahrung gemacht, daß man das sonnenbeschienene Tal des
Schweigens besser meidet, wenn es denn irgendwie geht.
Heute morgen waren wir dann schlauer. Wir begannen unseren Abstieg kurz
nach halb sechs Uhr. Ein paar Minuten nach neun Uhr
erreichten wir dann unser Basislager. Der Abstieg ohne Last ging
schneller als erwartet.
Dieser Aufstieg bis an die Lhotsemauer war sicher eins meiner
beeindruckensten Bergerlebnisse, auch wenn wir weiß Gott
nicht allein unterwegs waren. Das gefällt mir natürlich nicht besonders.
Aber so wie ich hier sein darf, sollte auch jeder
andere hier sein dürfen, wenn er diesem ungeheuren Berg denn gewachsen
ist. Aber das ist hier die große Frage, die natürlich
auch ich mir stelle.
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