Heute morgen um 5.24 Uhr stürzte eine gewaltige Eislawine von der
Westschulter des Mount Everest auf das Lager 1 in 6000 Metern Höhe. Das
Lager bestand aus ca. 60 bis 70 Zelten (Schätzung Thomas Türpe, Olaf
Rieck). Nur fünf Zelte blieben unversehrt, darunter auch das unserer
Expedition.
Der Zufall wollte es, daß ich heute morgen vom Lager 2 ins Basislager
abgestiegen bin und gemeinsam mit fünf Sherpas einer ersten war, der den
Unglücksort erreichte. Etwa anderthalb Stunden nach der Katastrophe traf
ich dort ein. Ich werde nie mehr den Anblick vergessen, als ich mich dem
Lager 1 näherte. Dort wo die bunte Zeltstadt von Lager 1 stand,
erstreckte sich nur eine weiße Trümmerfläche von Eisbrocken und Steinen.
Als erstes passierte ich die fünf unversehrten Zelte. Drei Personen
waren gerade dabei, Funkkontakt mit dem Basislager herzustellen. Sie
informierten uns, was geschehen war. Von dem Standplatz dieser Zelte, wo
auch das unserer Expedition steht, muß man etwa 5- 10 Minuten laufen, um
die nächsten Zelte zu erreichen. Wir hielten diesen etwas vorgelagerten
Ort für sicherer. Als wir im eigentlichen Lager 1 ankamen, bot sich uns
ein Bild des Grauens. Kein einziges Zelt war noch intakt, das gesamte
Lager völlig zerstört.
Unter Zelttrümmern fanden wir zwei Verletzte. Sie hatten ein zerstörtes
Zelt provisorisch hergerichtet, um darin auf Hilfe zu warten. Zwei
Sherpas kümmerten sich um sie. Drei andere Verletzte riefen nach uns,
als sie uns gesehen hatten. Ein Sherpa und ich versuchten sehr
vorsichtig, zu ihnen zu kommen. Das war sehr gefährlich, weil die Wege
zwischen den Zelten nicht mehr sichtbar waren und das Lager in
spaltenreichem Gelände stand. Als wir bei ihnen waren, fragten wir nach
ihren Verletzungen und nach dem Namen ihrer Expedition. Alle drei
konnten uns antworten, einer wollte den Abstieg aus eigener Kraft
antreten. Sie teilten uns mit, daß sie einer großen kommerziellen
Expedition mit vielen Sherpas angehörten. Sie baten uns, so schnell wie
möglich in das Basislager abzusteigen, um die Evakuierung zu
veranlassen.
Da wir keinerlei Werkzeug und ich nur ein winziges Verbandspäckchen
dabei hatte, entschied ich mich, ihrer Bitte nachzukommen und so schnell
wie möglich abzusteigen, um im Basislager Hilfe zu organisieren. Etwa
nach drei Vierteln des Abstiegs durch den Khumbugletscher ins
Basislager, kamen mir die ersten Helfer entgegen. Offensichtlich wußte man im
Basislager also schon bescheid.
Niemand weiß bis jetzt genau, wieviele Leute in dieser Nacht im ersten
Hochlager geschlafen haben. Drei verschiedene Zeltplätze waren mit
insgesamt acht Personen besetzt, die diese Katastrophe überlebt haben.
Wenn es bei dem Ganzen etwas gutes gibt, dann ist es die Tatsache, daß
Lager 1 von vielen Expeditionen als Durchgangs- und Depotlager benutzt
wird. Doch falls diese acht die einzigen im Lager 1 gewesen sein
sollten, wäre das trotzdem ein außerordentlich glücklicher Zufall.
[Anm. vom Webmaster: Ich habe heute, 4.5.05, 13:30 Uhr MEZ mit Olaf telefoniert. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand im Basislager, scheint es wirklich keine Toten durch die Lawine gegeben zu haben.]
Nach dieser Katastrophenmeldung gehen die guten Nachrichten, die unsere
Expedition zu vermerken hat, fast unter. Thomas geht es schon
besser. Er denkt darüber nach, übermorgen wieder aufzusteigen. Außerdem
steht unser Lager drei in 7250 m Höhe. Lakpa, Nuri, Kami und ich waren
gestern dort oben und haben es installiert. Aber es war ein hartes Stück
Arbeit, die Lasten diese knapp 800 Höhenmeter die Lhotseflanke
hinaufzutragen.
Lager 3
Der Everestgipfel ist hier schon zum Greifen nah, so hat man zumindest
den Eindruck. Dabei sind es immerhin noch 1600 Höhenmeter in der
Todeszone. Dennoch ist die Perspektive nun schon eine völlig andere. Ich
jedenfalls war fix und fertig als ich am Nachmittag wieder in unserem
zweiten Hochlager in 6500 m eintraf.
So ein Aufstieg ins Lager drei läßt einen ganz schön alt
aussehen.
Die Planung für die nächsten Tage ist völlig offen. Ich muß auf alle
Fälle zwei bis drei Ruhetage einlegen, wie unschwer auf meinem
Selbstporträt zu erkennen ist. Thomas muß einen Akklimatisationsaufstieg
nachholen. Wann er das tut, hängt davon ab, wann seine Erkältung völlig
abgeklungen ist. Ob ich mit dabei sein werde, ist zur Zeit noch offen.
Da ich eben erst von oben zurückgekommen bin, kann ich auch noch nichts
über Janas Planung sagen. Fakt ist, daß es für mich gut wäre, Sonntag oder
Montag wieder aufzusteigen, um mir den letzten Akklimatisationsschub vor dem
ersten Gipfelversuch zu verschaffen. Wie das mit Thomas veränderten
Plänen in Einklang zu bringen ist, muß noch diskutiert werden.
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