04.05.2005: Lawinenkatastrophe am Everest

Heute morgen um 5.24 Uhr stürzte eine gewaltige Eislawine von der Westschulter des Mount Everest auf das Lager 1 in 6000 Metern Höhe. Das Lager bestand aus ca. 60 bis 70 Zelten (Schätzung Thomas Türpe, Olaf Rieck). Nur fünf Zelte blieben unversehrt, darunter auch das unserer Expedition.

Der Zufall wollte es, daß ich heute morgen vom Lager 2 ins Basislager abgestiegen bin und gemeinsam mit fünf Sherpas einer ersten war, der den Unglücksort erreichte. Etwa anderthalb Stunden nach der Katastrophe traf ich dort ein. Ich werde nie mehr den Anblick vergessen, als ich mich dem Lager 1 näherte. Dort wo die bunte Zeltstadt von Lager 1 stand, erstreckte sich nur eine weiße Trümmerfläche von Eisbrocken und Steinen. Als erstes passierte ich die fünf unversehrten Zelte. Drei Personen waren gerade dabei, Funkkontakt mit dem Basislager herzustellen. Sie informierten uns, was geschehen war. Von dem Standplatz dieser Zelte, wo auch das unserer Expedition steht, muß man etwa 5- 10 Minuten laufen, um die nächsten Zelte zu erreichen. Wir hielten diesen etwas vorgelagerten Ort für sicherer. Als wir im eigentlichen Lager 1 ankamen, bot sich uns ein Bild des Grauens. Kein einziges Zelt war noch intakt, das gesamte Lager völlig zerstört.

Unter Zelttrümmern fanden wir zwei Verletzte. Sie hatten ein zerstörtes Zelt provisorisch hergerichtet, um darin auf Hilfe zu warten. Zwei Sherpas kümmerten sich um sie. Drei andere Verletzte riefen nach uns, als sie uns gesehen hatten. Ein Sherpa und ich versuchten sehr vorsichtig, zu ihnen zu kommen. Das war sehr gefährlich, weil die Wege zwischen den Zelten nicht mehr sichtbar waren und das Lager in spaltenreichem Gelände stand. Als wir bei ihnen waren, fragten wir nach ihren Verletzungen und nach dem Namen ihrer Expedition. Alle drei konnten uns antworten, einer wollte den Abstieg aus eigener Kraft antreten. Sie teilten uns mit, daß sie einer großen kommerziellen Expedition mit vielen Sherpas angehörten. Sie baten uns, so schnell wie möglich in das Basislager abzusteigen, um die Evakuierung zu veranlassen.

Da wir keinerlei Werkzeug und ich nur ein winziges Verbandspäckchen dabei hatte, entschied ich mich, ihrer Bitte nachzukommen und so schnell wie möglich abzusteigen, um im Basislager Hilfe zu organisieren. Etwa nach drei Vierteln des Abstiegs durch den Khumbugletscher ins Basislager, kamen mir die ersten Helfer entgegen. Offensichtlich wußte man im Basislager also schon bescheid.

Niemand weiß bis jetzt genau, wieviele Leute in dieser Nacht im ersten Hochlager geschlafen haben. Drei verschiedene Zeltplätze waren mit insgesamt acht Personen besetzt, die diese Katastrophe überlebt haben. Wenn es bei dem Ganzen etwas gutes gibt, dann ist es die Tatsache, daß Lager 1 von vielen Expeditionen als Durchgangs- und Depotlager benutzt wird. Doch falls diese acht die einzigen im Lager 1 gewesen sein sollten, wäre das trotzdem ein außerordentlich glücklicher Zufall.

    [Anm. vom Webmaster: Ich habe heute, 4.5.05, 13:30 Uhr MEZ mit Olaf telefoniert. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand im Basislager, scheint es wirklich keine Toten durch die Lawine gegeben zu haben.]


Nach dieser Katastrophenmeldung gehen die guten Nachrichten, die unsere Expedition zu vermerken hat, fast unter. Thomas geht es schon besser. Er denkt darüber nach, übermorgen wieder aufzusteigen. Außerdem steht unser Lager drei in 7250 m Höhe. Lakpa, Nuri, Kami und ich waren gestern dort oben und haben es installiert. Aber es war ein hartes Stück Arbeit, die Lasten diese knapp 800 Höhenmeter die Lhotseflanke hinaufzutragen.


Lager 3

Der Everestgipfel ist hier schon zum Greifen nah, so hat man zumindest den Eindruck. Dabei sind es immerhin noch 1600 Höhenmeter in der Todeszone. Dennoch ist die Perspektive nun schon eine völlig andere. Ich jedenfalls war fix und fertig als ich am Nachmittag wieder in unserem zweiten Hochlager in 6500 m eintraf.


So ein Aufstieg ins Lager drei läßt einen ganz schön alt aussehen.

Die Planung für die nächsten Tage ist völlig offen. Ich muß auf alle Fälle zwei bis drei Ruhetage einlegen, wie unschwer auf meinem Selbstporträt zu erkennen ist. Thomas muß einen Akklimatisationsaufstieg nachholen. Wann er das tut, hängt davon ab, wann seine Erkältung völlig abgeklungen ist. Ob ich mit dabei sein werde, ist zur Zeit noch offen. Da ich eben erst von oben zurückgekommen bin, kann ich auch noch nichts über Janas Planung sagen. Fakt ist, daß es für mich gut wäre, Sonntag oder Montag wieder aufzusteigen, um mir den letzten Akklimatisationsschub vor dem ersten Gipfelversuch zu verschaffen. Wie das mit Thomas veränderten Plänen in Einklang zu bringen ist, muß noch diskutiert werden.