06.05.2005: Jana trifft eine Entscheidung

Riesige Eisblöcke säumen den Weg, manche tiefblau, andere türkis, wieder andere weiß oder gestreift. Ich komme aus dem Staunen und Bewundern nicht heraus. Der Weg durch den Khumbueisbruch ist einfach ein Kunstwerk aus Schnee und Eis, bei dem die Natur ihrer Fantasie freien Lauf ließ. Leitern liegen als wacklige Brücken über Spalten, nur nicht nach unten sehen, manchmal ist der Spaltengrund ein schwarzes Nichts. Faszination! Noch eine Steilstufe. 5 Leitern aneinander gebunden helfen hier nach oben zu kommen. Jetzt wird der Weg zum Lager 1 zwar flacher, aber dafür werden die Spalten weiter, größer, tiefer.

Stunden nach meinem Aufbruch im Base Camp erreiche ich unsere Zelte im Lager 1. Es geht mir hier oben in reichlich 6000 Metern noch gut, aber das soll sich in den nächsten Stunden ändern. Der Blick am Abend auf den Everest und den Lhotse im einmalig schönen Abendlicht ist mir noch vergönnt, dann setzt ein Schneesturm ein. Ich bin in meinem Zelt gefangen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen. Telefonnummern, die ich mir zur Sicherheit immer vorhersage, fallen mir nicht mehr ein, es fällt mir schwer, meine Füße koordiniert zu setzen. Die Diagnose ist klar: beginnendes Hirnödem. Ein Abstieg ist im Dunkeln und im Schneesturm unmöglich, also versuche ich mich mit Medikamenten über die Nacht zu retten. Ich habe Todesangst. Die Nacht wird die Hölle. Mit dem ersten Licht beginnen Kami, der mich begleitende Sherpa, und ich den Notabstieg. Wir quälen uns durch bis zu 50 Zentimeter Neuschnee, und es schneit immer noch. Die Fixseile müssen ausgegraben werden, an manchen Stellen graben wir vergebens. Es geht mir richtig schlecht, ich muss dringend runter! Am Nachmittag haben wir es geschafft. Hier im Base Camp geht es mir deutlich besser.


Jana kurz vor dem Basislager während des Notabstiegs.

Soweit zur Geschichte der letzten Tage. Ich habe nach diesem Erlebnis beschlossen, nicht noch einmal aufzusteigen. Ich habe einfach Angst, dass mir ähnliches noch einmal widerfährt und ich es dann nicht mehr ins Basislager zurück schaffe. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar gering, allerdings ist sie größer, als wenn ich den ersten Aufstieg problemlos überstanden hätte. Fast jeden Tag werden Säcke den Berg herunter gebracht, fast jeden Tag landet der Hubschrauber, um seine tote oder schwerkranke Fracht aufzunehmen. Ich bin einfach zu jung, um hier am Berg mein Leben aufs Spiel zu setzen und es unnötig zu gefährden. Kein Berg ist es wert, dass ich daran zu Grunde gehe. Ich möchte weder am Hirnödem sterben, wie der Kanadier vor wenigen Tagen, noch in eine Spalte stürzen, wie der junge Amerikaner kurz nach meinem Notabstieg, oder von einer Lawine verschüttet werden, wie es gestern dem gesamten Lager 1 passiert ist.

Dieser Berg ist zu hoch für mich, und ich respektiere seine gewaltige Größe und Einmaligkeit. Es gibt hier im Lager leider zu viele Leute, die dies nicht tun, und darum wird es wohl auch in diesem Jahr noch mehr traurige Nachrichten geben. Ich für meinen Teil werde bis zum Expeditionsende das Basecampmanagement und die medizinische Betreuung des Teams weiterführen. Dafür bin ich hier und dieser Aufgabe werde ich gerecht werden. Und das geht ebenso gut vom Basislager aus.

Jana Odrich