22.05.2005: Wir geben auf!

Alle Versuche den Gipfel vorgestern und gestern zu erreichen, sind fehlgeschlagen. Noch immer ist der höchste Punkt des Everest in diesem Jahr von Süden aus nicht bezwungen. Gestern um kurz nach 10 Uhr Ortszeit haben auch wir uns auf dem Weg zum Lager 4 in etwa 7400 m Höhe zur Umkehr entschieden. Der Hauptgrund war der ständig zunehmende Wind. Ein weiterer Grund war die Information, daß sämtliche Versuche anderer Expeditionen abgebrochen worden waren und das sich nun ca. 40 zum Teil stark geschwächte Bergsteiger auf dem Weg nach unten befanden. Ich hielt die Begegnung mit ihnen in der steilen Blankeiswand des Lhotse für äußerst heikel. Der dritte Grund für diese Entscheidung waren die deprimierenden Wetterprognosen, die wir zwei Stunden vorher zur Funkzeit um 8.00 Uhr aus dem Basislager erhalten hatten. Niederschläge und Wind sollten noch zunehmen. Diese drei Umstände haben die Entscheidung erzwungen. Thomas als auch Lakpa mußten nicht davon überzeugt werden. Beide waren ebenfalls für den Abbruch.


Der Wind und die eisige Kälte in der Lhotsewand brachten unsere Finger und Nasen in akute Gefahr!

Das ist der enttäuschende Stand der Dinge am heutigen Tag. Ich selbst bin noch ziemlich beeindruckt von diesen Tatsachen, da ich gerade eben erst vom Lager 2 zurückgekehrt bin. Was mich so besonders frustriert, ist der Umstand, daß wir bis heute am 22. Mai nicht mal die Spur einer Chance hatten. Ich konnte eben nicht herausfinden, wie hoch ich klettern kann, denn ich war schon wesentlich weiter oben, als hier. Vielleicht hätten stärkere und bessere Bergsteiger als Thomas und ich den Berg auch bei widrigen Verhältnissen besteigen können. Hier in diesem Basislager jedenfalls gibt es bisher niemanden. Sowohl Thomas als auch ich halten es für uns beide für nicht realistisch, eine Besteigung ohne zusätzlichen Sauerstoff erfolgreich durchzuführen, wenn noch keiner vor uns den Südostgrat des Everest begangen hat. Dazu fühlen wir uns nicht in der Lage, schon gar nicht bei diesen anhaltend schlechten Bedingungen.


Thomas am Umkehrpunkt in der Lhotseflanke.

Hier unten im Basislager herrscht nun die vollkommene Konfusion. Von Norden her ist der Gipfel inzwischen erreicht worden. Die Expeditionsleiter der großen kommerziellen Unternehmungen stehen deshalb nun mit dem Rücken zur Wand. Kein Kunde kann zum Gipfel, wenn der Südostgrat nicht versichert ist. Keiner kann diesen Grat versichern, wenn das Wetter schlecht ist. Bis zum Stichtag ist es noch eine reichliche Woche. Aber in dieser Zeit müssen auch die Lager herunter geschafft werden. Das allein dauert schon mindestens vier bis fünf Tage.

Der Grund für die große Frustration der kommerziellen Unternehmen liegt darin begründet, daß viele Kunden im wahrsten Sinne des Wortes die Seiten wechseln werden, wenn die Erfolgsrate von Norden höher ist. Deshalb wird nun mit der Brechstange gearbeitet. Ich war vorhin Zeuge eines großen Meetings der Expeditionsleiter dieser kommerziellen Firmen. Man will die nepalesische Regierung um eine Verlängerung der Besteigungserlaubnis bitten. Geld soll dabei keine Rolle spielen. Auch die Sherpas will man mit Geld davon überzeugen, weiter durch den immer gefährlicher werdenden Eisbruch zu steigen. Denn es steht fest, daß sich das Wetter bis zum Ende der offiziellen Saison nicht so weit verbessern wird, daß die Versicherung des Grates und der Aufstieg der noch im Basislager befindlichen 122 zahlenden Kunden (diese Zahl wurde heute auf dem Meeting zusammengerechnet) möglich sein wird.


Alles was vermeintlichen Rang und Namen hat hier im Basislager war da. Aber die berühmten Shirdars wie Apa Sherpa (14 maliger Everestbesteiger) oder Pemba Dorje nicht.

Ich persönlich war von dieser Entwicklung mehr als schockiert, vor allem deshalb, weil kein einziger Shirdar (Chef eines Sherpas-Teams) anwesend war. Dabei wurde ausschließlich über Dinge geredet, die nur die Sherpas angehen. Sie hätten aber sehr unbequeme Dinge zu sagen gehabt. Kein einziger hat gewagt, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß am 22. Mai bei den vorhandenen Bedingungen und den bisher geschaffenen Voraussetzungen es vielleicht an der Zeit wäre, sich einzugestehen, daß der Everest in diesem Jahr von Süden nicht besteigbar ist. Diese Niederlage ist ja nicht unbedingt ein persönliches Versagen und wäre womöglich leichter zu ertragen. Aber Niederlagen einzugestehen, ist in der heutigen Zeit ein schwieriges und in Hinblick auf die Zukunft sehr gewagtes Unterfangen.

Thomas und ich haben uns aber genau dazu entschlossen. Wir sehen für uns keine Chance mehr auf einen Erfolg. Wir können und wollen nicht auf eine Verlängerung der Besteigungserlaubnis setzen. Und wir haben uns auch fest vorgenommen, uns nicht in den Hintern zu beißen, falls doch noch einer Ende Mai oder Anfang Juni zum Gipfel kommt. Am 24. Mai verlassen wir das Basislager, erschöpft und sicher auch ziemlich deprimiert aber gesund.