Alle Versuche den Gipfel vorgestern und gestern zu erreichen, sind
fehlgeschlagen. Noch immer ist der höchste Punkt des Everest in diesem
Jahr von Süden aus nicht bezwungen. Gestern um kurz nach 10 Uhr Ortszeit
haben auch wir uns auf dem Weg zum Lager 4 in etwa 7400 m Höhe zur
Umkehr entschieden. Der Hauptgrund war der ständig zunehmende Wind. Ein
weiterer Grund war die Information, daß sämtliche Versuche anderer
Expeditionen abgebrochen worden waren und das sich nun ca. 40 zum Teil
stark geschwächte Bergsteiger auf dem Weg nach unten befanden. Ich hielt
die Begegnung mit ihnen in der steilen Blankeiswand des Lhotse für
äußerst heikel. Der dritte Grund für diese Entscheidung waren die
deprimierenden Wetterprognosen, die wir zwei Stunden vorher zur Funkzeit
um 8.00 Uhr aus dem Basislager erhalten hatten. Niederschläge und Wind
sollten noch zunehmen. Diese drei Umstände haben die Entscheidung
erzwungen. Thomas als auch Lakpa mußten nicht davon überzeugt werden.
Beide waren ebenfalls für den Abbruch.
Der Wind und die eisige Kälte in der Lhotsewand brachten unsere
Finger und Nasen in akute Gefahr!
Das ist der enttäuschende Stand der Dinge am heutigen Tag. Ich selbst
bin noch ziemlich beeindruckt von diesen Tatsachen, da ich gerade eben
erst vom Lager 2 zurückgekehrt bin. Was mich so besonders frustriert,
ist der Umstand, daß wir bis heute am 22. Mai nicht mal die Spur einer
Chance hatten. Ich konnte eben nicht herausfinden, wie hoch ich klettern
kann, denn ich war schon wesentlich weiter oben, als hier. Vielleicht
hätten stärkere und bessere Bergsteiger als Thomas und ich den Berg auch
bei widrigen Verhältnissen besteigen können. Hier in diesem Basislager
jedenfalls gibt es bisher niemanden. Sowohl Thomas als auch ich halten
es für uns beide für nicht realistisch, eine Besteigung ohne
zusätzlichen Sauerstoff erfolgreich durchzuführen, wenn noch keiner vor
uns den Südostgrat des Everest begangen hat. Dazu fühlen wir uns nicht
in der Lage, schon gar nicht bei diesen anhaltend schlechten
Bedingungen.
Thomas am Umkehrpunkt in der Lhotseflanke.
Hier unten im Basislager herrscht nun die vollkommene Konfusion. Von
Norden her ist der Gipfel inzwischen erreicht worden. Die
Expeditionsleiter der großen kommerziellen Unternehmungen stehen deshalb
nun mit dem Rücken zur Wand. Kein Kunde kann zum Gipfel, wenn der
Südostgrat nicht versichert ist. Keiner kann diesen Grat versichern,
wenn das Wetter schlecht ist. Bis zum Stichtag ist es noch eine
reichliche Woche. Aber in dieser Zeit müssen auch die Lager herunter
geschafft werden. Das allein dauert schon mindestens vier bis fünf Tage.
Der Grund für die große Frustration der kommerziellen Unternehmen liegt
darin begründet, daß viele Kunden im wahrsten Sinne des Wortes die
Seiten wechseln werden, wenn die Erfolgsrate von Norden höher ist.
Deshalb wird nun mit der Brechstange gearbeitet. Ich war vorhin Zeuge
eines großen Meetings der Expeditionsleiter dieser kommerziellen Firmen.
Man will die nepalesische Regierung um eine Verlängerung der
Besteigungserlaubnis bitten. Geld soll dabei keine Rolle spielen. Auch
die Sherpas will man mit Geld davon überzeugen, weiter durch den immer
gefährlicher werdenden Eisbruch zu steigen. Denn es steht fest, daß sich
das Wetter bis zum Ende der offiziellen Saison nicht so weit verbessern
wird, daß die Versicherung des Grates und der Aufstieg der noch im
Basislager befindlichen 122 zahlenden Kunden (diese Zahl wurde heute auf
dem Meeting zusammengerechnet) möglich sein wird.
Alles was vermeintlichen Rang und Namen hat hier im Basislager
war da. Aber die berühmten Shirdars wie Apa Sherpa (14 maliger
Everestbesteiger) oder Pemba Dorje nicht.
Ich persönlich war von dieser Entwicklung mehr als schockiert, vor allem
deshalb, weil kein einziger Shirdar (Chef eines Sherpas-Teams) anwesend
war. Dabei wurde ausschließlich über Dinge geredet, die nur die Sherpas
angehen. Sie hätten aber sehr unbequeme Dinge zu sagen gehabt. Kein
einziger hat gewagt, die Möglichkeit ins Auge zu fassen, daß am 22. Mai
bei den vorhandenen Bedingungen und den bisher geschaffenen
Voraussetzungen es vielleicht an der Zeit wäre, sich einzugestehen, daß
der Everest in diesem Jahr von Süden nicht besteigbar ist. Diese
Niederlage ist ja nicht unbedingt ein persönliches Versagen und wäre
womöglich leichter zu ertragen. Aber Niederlagen einzugestehen, ist in
der heutigen Zeit ein schwieriges und in Hinblick auf die Zukunft sehr
gewagtes Unterfangen.
Thomas und ich haben uns aber genau dazu entschlossen. Wir sehen für uns
keine Chance mehr auf einen Erfolg. Wir können und wollen nicht auf eine
Verlängerung der Besteigungserlaubnis setzen. Und wir haben uns auch
fest vorgenommen, uns nicht in den Hintern zu beißen, falls doch noch
einer Ende Mai oder Anfang Juni zum Gipfel kommt. Am 24. Mai verlassen
wir das Basislager, erschöpft und sicher auch ziemlich deprimiert aber
gesund.
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