Auf dem Weg in die Dolomiten
Im Jahre 1788 trat der französische Geologe Déodat de Dolomieu (1750-1801) eine Reise in ein damals noch völlig unerforschtes Gebirge an. Er war fasziniert von der einmaligen Schroffheit der Berge und ihrem rauen hellen Gestein. Auch nach seiner Rückkehr in seine französische Heimat, ließen ihn diese Gipfel nicht mehr los. Er begann zu forschen und erkannte als erster, dass es einen Unterschied gab zwischen dem schon aus anderen Gebieten der Alpen bekannten Kalkstein und dem dortigen Gestein. Der normale Kalk besteht aus Calcit, einem Calciumkarbonat. Das Gestein, welches er von seiner Reise mitgebracht hatte, wies noch andere Bestandteile auf und setzte sich zum größten Teil aus einer Mischung aus Calcium- und Magnesiumkarbonat zusammen. Keine große Sache möchte man meinen. Doch Déodat de Dolomieu brachten seine Erkenntnisse die Unsterblichkeit ein, denn die Dolomiten sind nach ihm benannt.
Die drei weltberühmten Zinnen im allerletzten Abendlicht von Norden. In der Mitte die Große-Zinne-Nordwand. In dieser riesigen 500 m hohen Wand wäre ein Mensch auf diesem Foto nicht mehr mit bloßem Auge zu erkennen.
Dolomieu war der erste, aber bei weitem nicht der einzige, der durch die Dolomiten unsterblich wurde. Allerdings mussten die anderen Kopf und Kragen riskieren, um in die Analen einzugehen. Es waren die Alpinisten. Berühmte Kletterer wie Cassin, Comici oder die Sachsen Wiesner und Hasse haben sich hier mit phantastischen Routen ebenfalls unsterblich gemacht. Vor solchen Meilensteinen des Alpinismus zu stehen oder sie sogar zu klettern, ist für mich immer wieder aufs Neue eine Sternstunde. Was für ein ungeheuerlicher Mut, was für eine Kaltblütigkeit, was für ein Selbstvertrauen muß dazu gehört haben, um zum ersten Mal in eine solch gewaltige, extrem ausgesetzte Wand zu steigen, wie beispielsweise die Nordwand der großen Zinne? Schon allein der Gedanke lässt mich erschauern, schon ganz und gar wenn man bedenkt, mit welcher Ausrüstung diese Männer damals unterwegs waren.
Diesen Holzkeil der Erstbegeher fand ich in der Westwand des Lagazuoi Nord (Drachenführe). Heute setzt der Vorsteiger an dieser Stelle einen sogenannten Friend, ein high tech-Gerät, welches richtig angewendet beinahe 100 %ige Sicherheit bietet.
Doch diese Wände versprechen auch gegenwärtig noch das ganz große Kletterabenteuer. Bis heute gibt es in den großen klassischen Routen der Dolomiten keine Bohrhaken. Alle Zwischensicherungen und auch die Stände, an denen gesichert wird, bestehen aus uralten rostigen Normalhaken, die ganz oft noch von den Erstbegehern stammen. Die Bohrhaken verwöhnten Plaisirkletterer der jüngeren Generation sucht man in diesen Routen vergeblich. Mir, muss ich ganz ehrlich sagen, macht diese Kompromisslosigkeit in den Dolomiten auch sehr zu schaffen.
Ein typischer Dolomitenstand. Allein schon hier dran zu hängen und Angst zu haben, dass diese Rostgurken im nächsten Moment abbrechen, wenn sich der Nachsteiger mal reinhängt, nagt gewaltig an der Moral. Und Stürzen ist schon ganz und gar verboten!
Wir Sachsen trainieren unsere Vorstiegsmoral zwar jedes Wochenende im brüchigen Sandstein der Sächsischen Schweiz. Aber dort gibt es fast immer die Möglichkeit, aus der Wand zu flüchten, einen „Sack“ aufzuhängen, wie wir sagen, wenn wir zu feige oder zu schwach sind, eine Route zu Ende zu klettern. Wenn die Schlüsselseillänge aber die zwölfte ist, 350 m über dem Einstieg, mit hunderten Klettermetern in den Armen und einem schwer angeschlagenen Nervenkostüm, welches bei jedem Blick nach unten immer mehr leidet, hilft kein Jammern. Man kann vielleicht noch den Helikopter rufen, wenn man ein Handy dabei und Netz hat, oder man muss eben die Zähne zusammen beißen und weiter klettern. Und wenn wir dann endlich oben angekommen sind, dann geht es oft erst so richtig los. Dann wartet nämlich meist ein ewig langer Abstieg im steilen, brüchigen Gelände auf den auch nicht eben leichten Normalwegen.
Brigitte habe ich bei der Fachübungsleiterausbildung im vergangenem Jahr kennengelernt. Sie lebt für die Berge und kennt die Dolomiten wie ihre Goretexjackentasche.
Ich wollte mit einer guten Kennerin der Dolomiten, der Münchnerin Brigitte Bayr, die Dolomiten erkunden und einige der Superklassiker im Vorstieg auch klettern. Doch ob mein Mut reichen würde, solche gewaltigen Wege wie die Zinne-Nordwand oder die Gelbe Kante an der Kleinen Zinne tatsächlich auch zu bewältigen, dass musste sich erst noch herausstellen.