Comicis Nordwand
Ich gebe es zu. Ein Weilchen habe ich schon darüber nachgedacht, was ich denn nun zu meinem Selbstversuch in der Comici-Route an der Großen-Zinne-Nordwand schreiben könnte, ohne gleich mein Gesicht zu verlieren. Aber es ist zwecklos, lange um den heißen Brei herumzureden. Ich hätte diese Route sicher nicht von unten bis oben frei klettern können. Aber das ist nun mal mein Minimalanspruch. Was hilft es schon, sich dort von Haken zu Haken hochzuziehen nach der Devise Durchkommen um jeden Preis. Das sollen andere machen und dann erzählen, sie hätten diese Nordwand geklettert. Ich habe das leider nicht. Aber ich komme wieder, das steht fest. Diese grandiose Route stammt übrigens wie die Gelbe Kante auch von Emilio Comici, der als erster den 6. Schwierigkeitsgrad in den Dolomiten etabliert hat. Meine Hochachtung vor seinen Leistungen ist schier grenzenlos. Was mich anbetraf, so sah das nach meinem nicht bestandenen Selbsttest ein wenig anders aus. Ich war etwas geknickt, konnte ich doch Brigittes Traum nicht erfüllen.
Die Drei Zinnen von Nordosten. Nur im Hochsommer und nur am Abend bekommen ihre Nordwände auch mal ein wenig Sonnenlicht ab. Neben der Comici-Führe durch die Nordwand der Großen Zinnen, hier in Bildmitte, gibt es übrigens auch noch eine viel härtere Route von den beiden Sachsen Dietrich Hasse und Lothar Brandler, aus dem Jahr 1958. Zu dieser Zeit galt diese Route als schwierigste Kletterei der gesamten Alpen!
Nun aber mußte es dafür unbedingt einen Ausgleich geben. Etwas, das meinen ramponierten Stolz wieder ein wenig aufpolieren konnte. Und da stach mir die steile Südwand des Preussturmes ins Auge. Überhängend fast die ganze Wand, 300 m hoch, 13 Seillängen insgesamt, mehrere Schlüsselstellen bis zum unteren 7. Grad und vier durchgehend schwierige Seillängen. Ricardo Cassin hat diese Wand als erster durchstiegen. Auch so ein Übermensch auf dessen Konto solch einmalige Erstbegehungen wie der Walkerpfeiler und die Nordostwand des Piz Badile gehen. Er ist sicher einer der großartigsten Kletterer, die je gelebt haben, und er lebt noch heute!
Die gelbe Südwand des Preussturmes, hier etwas rechts der Bildmitte, bietet guten nur wenig brüchigen Fels und ist an den schwierigen Stellen auch mit dem einen oder anderen Normalhaken versehen.
Diese Wand erschien mir lang und schwer genug, um gut gelaunt nach Hause fahren zu können, falls ich sie frei würde klettern können. Vier anhaltend schwere Seillängen zwischen 6+ und 7- muteten meinem und natürlich auch Brigittes Kletterkönnen angemessener an als die acht in der Nordwand Comicis. Schließlich sollte die Nachsteigerin auch tatsächlich nachsteigen. Und was natürlich besonders angenehm war und die Sache sicher auch leichter machen sollte, war die Tatsache, dass diese Wand eine Südwand ist. Einen Pferdefuß hatte die ganze Sache jedoch. Mitten in der Wand muß ein 30 m langer Quergang geklettert werden. Nachsteiger hassen solche Querungen, weil ja auch sie dann Gefahr laufen, zu stürzen. Der Nachsteiger klettert ja in der Regel senkrecht nach oben. Wenn er sich nicht mehr halten kann, dann rutscht er höchstens ins Seil. Richtig fallen, wie der arme Vorsteiger, kann er nicht. Aber in einer Querung ist das anders. Hier ist das Risiko eines Pendelsturzes auch beim Nachsteiger. Ich mag Quergänge. Brigitte nicht. Aber sie versprach mir, tapfer zu sein.
Dieser Quergang hatte die Schwierigkeit 6- und wurde im Kletterführer als eigenartig bezeichnet. Das hat Brigitte (rechtes Bild) sehr verunsichert. Sie sprach die ganze Zeit, wenn wir uns am Stand begegneten, von nichts anderem. Aber als sie ihn dann souverän geklettert hatte, schwärmte sie von ihm wie von einem netten Typen.
Irgendwie löste sich in dieser herrlichen Route alles auf und auch diesen Weg bin ich wie alle anderen frei geklettert. Das konnte meinen angekratzten Stolz doch wieder ein wenig aufpolieren. Einen ganz deutlich positiven Effekt hatte der Umstand, dass ich mich inzwischen an das Gestein gewöhnt hatte, an die großen Wandhöhen und das ich mit der Zeit auch immer größeres Vertrauen in die Hakenstände bekam. Dort hatten sich schon so viele reingehängt, warum sollten sie ausgerechnet dann brechen, wenn ich das nun mal tat? Außerdem war es natürlich so, dass ich von Tag zu Tag immer besser drauf war.
Die schwierigste überhängende Seillänge mitten in der Wand. Dennoch eine der schönsten, die ich je klettern durfte.
Besser klettern wird man vor allem dann, wenn man viel klettert. Und wir kletterten Tag für Tag von früh bis abend, denn wir hatten wirklich unverschämtes Glück mit dem Wetter. Trotz des Querganges war auch Brigitte sehr froh über die Routenwahl an diesem letzten Tag, denn für sie war es ihre schwierigste Route in den Dolomiten überhaupt. Dementsprechend zufrieden war dann auch sie mit sich, als wir auf dem Gipfel standen.
Ihr hab ich diese traumhaften Tage in diesem wunderschönen Gebirge zu verdanken. Und sie hat mich nicht nur gesichert, tolle Routen ausgewählt und mir noch viel nebenbei gezeigt. Sie hat mich mit ihrem Wohnmobil durch die Gegend chauffiert und jeden Abend für uns beide gekocht. Also, wenn Du mal wieder einen Vorsteiger brauchst, ich bin dabei! Danke Brigitte!