Wie definiert man Abenteuer?

Die Augen suchen den Weg, die Füße gehen ihn, doch in mein Bewusstsein dringt dieser Vorgang nicht. Die Gedanken können umherschweifen. Die Menschen hassen es, all ihres Komforts beraubt zu sein. Es ist viel mehr so, dass sie ein starkes Bedürfnis entwickelt haben, immer mehr davon anzuhäufen. Denn ohne ihn ist alles anstrengend und schwierig, schon ganz und gar, wenn wir in einer rauhen und unbarmherzigen Umwelt bestehen müssen. Wir zwei hier in Patagonien können inzwischen ein Lied davon singen. Aber das eigentliche Problem ist das gar nicht. Die Unsicherheit ist es, die einen hier so erschüttert. Was kommt? Das ist die alles entscheidende Frage. Hinter jedem Hügel, im nächsten Tal, nach dem Aufschwung lauert neue Ungewissheit. Und die ist unserem menschlichen Charakter zuwider. Denn er liebt das Gewohnte, das Berechenbare.

Im Zelt

Georg ist berechenbar. Er ist unerschütterlich in seinem Selbstverständnis. Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden. Er ist hier in seinem Element.

Eine andere Quelle von Unsicherheit ist das Angewiesensein. Schon allein die Vorstellung, sich hier zu verletzen, macht mich ganz krank. Von der körperlichen Unversehrtheit hängt alles ab. Aber nicht nur davon! Ein gebrochener Ski bedeutet womöglich das Ende der Expedition. Jedes Detail muss hundertprozentig halten und funktionieren. Wir haben so wenig Ausweichmöglichkeiten, dass ein funktionsuntüchtiges Ausrüstungsteil, wenn es nicht mehr zu reparieren ist, häufig ein Totalverlust darstellt. Bei uns geht das auch schon los. Meine Fototasche geht nicht mehr zu. Vor zwei Tagen ist meine Kamera so nass geworden, dass sie vorübergehend den Dienst verweigert hat. Bei Georg ist der Hüftgurt vom Rucksack zerbrochen. Und gestern ging plötzlich das Netbook nicht mehr. Deshalb gab es auch keine News. Heute geht es wieder, wie man sieht 🙂

Diese Ungewissheit und die Unsicherheit die uns hier so fordern und zusetzen, sind sozusagen die psychische Komponente, die körperliche Anstrengung die physische. Kommt beides zusammen, dann erlebt man vielleicht gerade ein Abenteuer.

Da wir gerade bei der physischen Komponente waren. Irgendwie hatte ich eine völlig falsche Vorstellung vom Pulkaziehen. Steigt der Hang nur 20 Grad an und ist der Schnee tief und nass, so wie hier gerade, wird das Pulkaziehen zu einer ungeheuren Anstrengung.

Pulka ziehen

Keinen Zentimeter ging es mehr weiter. Oft schaffen wir es nur mit vereinten Kräften, unsere Pulkas von der Stelle zu bewegen.

Heute hatten wir mit einem ganz typischen Problem zu kämpfen, dass ich auch vom Himalayabergsteigen kenne: den white out. Wenn es über Schneefeldern neblig ist oder dichter Schneefall herrscht, dann verschimmen die Konturen, es gibt keinerlei Kontraste mehr, alles um einen herum ist nur noch weiß! Selbst was direkt vor uns war, konnten wir nicht erkennen. Entweder haben wir wie Blinde mit unseren Skistöcken getastet oder Schneebälle geworfen. Dort wo der Schneeball auftrifft, gibt es eine Unebenheit im Schnee, die wir dann erkennen konnten und nun wussten, ob es aufwärts oder hinunter geht. Das Gelände in dem wir unterwegs sind, ist nämlich alles andere als eben. Überall sind Spalten, Senken, manchmal 20 m tief oder ebenso hohe Aufschwünge. Oft geht es senkrecht runter. Schlecht, wenn man dann gerade nichts sieht.

umgefallen

Ganz klassische Situation heute. Ich hab den kleinen Absatz einfach nicht gesehen und schwupp lag die Pulka unten und hat mich natürlich umgerissen. Bei dieser Gelegenheit geht schnell mal das Zuggestänge kaputt.

Trotz der oft schwierigen Bedingungen und des andauernd schlechten Wetters kommen wir verhältnismäßig gut voran. Gestern waren es 5,0 und heute 5,5 Kilometer Luftlinie. Das macht insgesamt 23,4 Kilometer seit Beginn der Tour vor sechs Tagen. Wir sind sehr zufrieden mit uns, dementsprechend gut ist auch die Stimmung. Wir beide verstehen uns fast wortlos, bisher gab es keinerlei Unstimmigkeiten. Die Aufgaben sind streng aufgeteilt. Georg hat schon Feierabend, ich leider noch nicht ganz.

Vor uns liegt nun eine 500 Meter hohe Rampe, vor der es mir sehr graust. Seit dem uns Aliro mit seinem Bootchen abgesetzt hat, sind wir 700 Meter aufgestiegen. In den nächsten beiden Tagen werden es fast noch einmal soviele Höhenmeter. Wir brauchen also eine Menge Kraft. Was wir aber vor allem nötig haben, ist: Mehr Sicht!

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Eine Antwort

  1. Veronica sagt:

    Nachdem wegen eine Holländer-Invasion (Bruder, Schwägerin, Freundin, zwei Neffen) keine Zeit zum Lesen war, muss ich jetzt ein bisschen „nachlesen“. Diesen „white out“ kenne ich vom Skifahren (wenn’s neblig wird oder schneit sieht man auch in den Alpen teilweise nicht mehr, wo’s hoch und wo’s runtergeht), aber ich vermute, dass der Effekt da oben auf dem Patagonischen Inlandseis noch viel stärker ist. Ich muss jetzt gleich weiterlesen, da werde ich dann bestimmt erfahren, ob die Sicht besser wurde ….

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