Berge im Kopf
Antonin und Vincent sind unsere Gastgeber. Sie wohnen in Vallouise in der Nähe von Briançon in einer kleinen Wohnung in einem von Bergen umgebenen Mehrfamilienhaus. Eine Bergsteigerjunggesellenwirtschaft, in der jede ordentliche deutsche Hausfrau mindestens drei Tage voll zu tun hätte. Doch es sind unglaublich sympathische und vor allem entspannte Jungs. Und sie machen buchstäblich nichts anderes als klettern. Jeden Tag. Sie haben Berge im Kopf. Beide sind dabei, ihre Bergführerausbildung zu beenden. Sie leben für und von den Bergen. Beide sind folglich exzellente Kletterer. Fabian meint, sie kletterten tendentiell auch besser als er. Doch das ist hier bei weitem nichts aussergewöhnliches.
Wo wir auch hingehen, wir treffen nur auf Spezialisten. Oft genug sucht man, damit meine ich eigentlich mich, in den Klettergärten Routen im 6. und 7. Grad vergeblich. Der durchschnittliche Kletterer ist in deutlich schwierigeren Routen unterwegs. Doch so muss ich auch nicht so lange nachdenken, weil mir gar nichts anderes übrig bleibt. Ich steige hier in Wege ein, die ich eigentlich gar nicht klettern kann, doch siehe da, es geht hin und wieder sogar ganz gut!
Der Grund dafür, das einer wie ich auch mal in eine 7+ im Vorstieg einsteigen darf, ist die unter Kletterern schon sprichwörtliche „Französische Absicherung“. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum die Kletterer hier alle so stark und gleichzeitig so gut drauf sind. Bei uns schleichen die Vorsteiger ewig um die Einstiege herum, ehe sie sich mal entscheiden. Da wird studiert und im Kletterführer gelesen und sowieso nur eingestiegen, wenn der Weg eine Empfehlung ist.
Hier in Frankreich gibt es Bohrhaken und zwar häufig in Abständen von zwei, höchstens drei Metern. Es herrscht eine völlig andere Einstellung zum Klettern. Wenn überhaupt, wird nach der Schwierigkeitseinstufung gesehen und dann losgeklettert. Und Fallen ist hier schon deshalb kein Problem, weil ja schwere Wege immer senkrecht oder überhängend sind. Man fällt ins Leere und nicht eine Treppe hinunter, wenn man in leichtem Gelände stürzt, wie sich Fabian plastisch auszudrücken pflegt. Und wenn man im Vorstieg partout keine Chance mehr hat, dann klettert so einer wie ich eben im Nachstieg. Die Jungs sind ja, wie gesagt, total entspannt und Zeit spielt hier schon gar keine Rolle.
Morgen werden wir aber die Klettergärten hinter uns lassen und die erste lange Route am Tête d‘ Aval in Angriff nehmen. 14 Seillängen im 6. und 7. Grad in einer aber ebenfalls noch mit Bohrhaken gesicherten Route. Allerdings ist es mit dem Klettergartenfeeling nun vorbei.
Übrigens habe ich schon etwas über das Geheimnis guten Kletterns gelernt. Um wirklich Spitze zu sein, also am oberen Ende der Skala und damit an der Grenze des Menschenmöglichen klettern zu können, muss man vielleicht nichts weiter tun, als diesen Sport ganz und gar zu seinem Lebensinhalt zu machen. Berge im Kopf haben und zwar ausschliesslich. Das ist das ganze Geheimnis. Für meine Zeit hier jedenfalls gilt das jetzt auch.
Lieber Olaf,
das so ein Chaos von einer Bergsteigerjunggesellenwirtschaft nichts für dich ist, dass kann ich mir vorstellen! 😉
Es sieht wirklich wunderschön dort aus, tolle Berge, tolle Aussicht und tolles klettern. Schade das ich nicht da sein kann. Aber du hast ja gar nicht deine roten (viel zu engen) Kletterschuhe an!? 😉
Liebe Grüße von zu Hause
Deine Janina
… es war mir neu, dass man klettern kann, ohne die Hände zu benutzen – unglaublich und das bei einer 6-
Noch viel Spaß in dieser Traum-Natur und Grüße von Andrea