Lebendig sein!

Selten war ich lebendiger als gestern am Tête d‘ Aval. Wir hatten uns einen riesigen Pfeiler in der Südwand ausgesucht. Hier gibt es eine Route mit dem Namen „Pilier Rouge Hebdo“, die nach der französischen Skala für alpine Routen mit TD+ eingestuft ist, was für trés difficile also sehr schwierig steht. Doch so schwierig ist TD+ nun auch wieder nicht. Die meisten Seillängen sind mit 6- bis 6+ angegeben, nur eine Stelle sollte schwieriger sein. Laut Kletterführer werden für diese Route 5 bis 7 Stunden veranschlagt. Insgesamt sind 14 Seillängen zu klettern. Doch da das Wetter den ganzen Tag über sonnig bleiben sollte, konnten wir die Sache trotz der langen Route ruhig angehen lassen. Erst um 7 Uhr klingelte der Wecker.

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Der Rote Pfeiler ist der markant dreieckige über 300 Meter hohe Turm in der Mitte der Südwand des Téte d' Aval. Festes Gestein und eine gute Absicherung versprachen eine grossartige Bergfahrt.

Schon der Anmarsch hinauf an den Fuss der Wand war wunderschön. Obwohl am Wochenende trafen wir keinen einzigen Menschen, und als wir gegen 10 Uhr in die Route einstiegen, hatten wir die gesamte Wand für uns. Wir kletterten in wechselnder Führung und kamen sehr gut voran. Irgendwie hatten wir es so eingerichtet, das ich die schönen und Fabian die schwierigen Seillängen kletterten.

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Hier ist Fabian weit über mir in einer der Schlüsselseillängen unterwegs.

Um schneller zu sein, sind wir das ein oder andere Mal über den nächsten Standplatz hinaus geklettert und haben gleich zwei Seillängen zusammengefasst. Die Standplätze liegen also nicht genau eine Seillänge auseinander, sondern ihr Abstand richtet sich nach der Möglichkeit, überhaupt einen einzurichten. Vor allem sollte man dort einigermassen bequem sichern können. Standplätze braucht man in Routen, welche länger sind als die Länge eines Seiles. Dort muss sich der Vorsteiger gut festmachen können, um seinen Seilpartner zu sich herauf zu holen und von hier aus klettert dann der nächste Vorsteiger weiter. Er muss also stabil genug sein, um notfalls auch einen Sturz des Vorsteigers halten zu können. Solche Stände zu bauen, ist nicht selten eine Kunst und erfordert Erfahrung sowie eine Menge Zeit. Hier in unserer Route waren die Stände allerdings mit zwei bombenfesten Bohrhaken ausgestattet. Um den Standplatzbau mussten wir uns hier also nicht kümmern.

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Die ersten Klettermeter direkt oberhalb des Standes sind immer besonders heikel, weil man auf gar keinen Fall in den Stand fallen darf. Das gilt auch, wenn er mit Bohrhaken versehen ist. Denn der Sturz in den Stand ist besonders hart, weil Zwischensicherungen und die Reibung des Seiles am Fels den Sturz noch nicht dämpfen.

Am Stand ankommen, seine Selbstsicherung einhängen, Stand rufen, das Seil einziehen, seinen Nachsteiger hochsichern, der dann bei Wechselführung sofort und ohne Unterbrechung im Vorstieg weiter über den Stand hinaus klettert. So geht das stundenlang ohne Pause. Klettern wie im Rausch! Man vergisst buchstäblich alles um sich herum, nur ab und zu an einer schwierigen Stelle, wenn die letzte Sicherung viele Meter unter einem verschwunden ist, wird einem wieder bewusst, was man hier eigentlich tut. Und genau in diesem Moment ist das Erleben so intensiv, wie es nur sein kann. Es ist eine berauschende Mischung aus Schrecken und Lust, wenn man in den Abgrund unter sich schaut und sich vorstellt, was alles passieren könnte. Nie fühle ich mich lebendiger!

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Als wir schon beim Abseilen waren, begegnete uns noch eine weitere Seilschaft in einer benachbarten Route. Deshalb konnte ich auf dem Rückweg dieses Foto von unserem Pfeiler mit einem Kletterer im oberen Drittel der Route machen. Der Mensch verliert sich in den Dimensionen der Berge.

Wir hatten gestern also einen grandiosen Klettertag. In nur vier Stunden, damit deutlich schneller als im Kletterführer angegeben, sind wir durch die Route gestiegen. Wir waren offensichtlich schon in unserer ersten grösseren Tour ein brauchbares Team. Das ist ein gutes Omen für die nächsten gemeinsamen Projekte. Doch zuerst muss das Wetter wieder besser werden. Das hat uns heute einen unfreiwilligen Ruhetag beschert 🙁

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Eine Antwort

  1. Veronica sagt:

    Hallo Olaf,
    zurück vom Urlaub stellte ich fest, dass es allerhand Neues zu lesen gab in den News! Inzwischen bin ich wieder auf dem neuesten Stand und habe auch allerhand dazu gelernt, was Klettern angeht!
    Ich drücke euch die Daumen für schönes Wetter, vielleicht bekommen wir dann hier auch etwas davon ab!
    Herzliche Grüße
    Veronica

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