Klettern leicht gemacht

Wer auf diese Idee gekommen ist, verdient einen Orden. Denn vermutlich gäbe es den Boom des Klettersports ohne das Toprope-Klettern gar nicht. Auf diese Art zu klettern, macht die ganze Sache ausserordentlich sicher und bequem. Und wir alle, die mit dem Klettern mehr oder weniger auch Geld verdienen, profitieren von diesem Boom. Kletterhallen und Kletterschulen schießen wir Pilze aus dem Boden. Klettern ist auf dem besten Wege, Volkssport zu werden. Doch was ist nun das Toprope-Klettern eigentlich? Das schwierige und angstbesetzte beim Klettern ist der Vorstieg. Der Kletterer steigt in eine Route ein und legt Zwischensicherungen. Das Seil kommt von unten. Das heisst also, er kann fallen. Durch Seildehnung und den Seildurchlauf im Sicherungsgerät fällt er ungefähr die dreifache Distanz, die ihn von seiner letzten Zwischensicherung trennen. Befindet er sich also zwei Meter über seiner letzten Sicherung, fällt er schon fast sechs Meter in die Tiefe. Wenn er Pech hat und seine Zwischensicherungen nicht halten, kann er sogar auf dem Boden aufschlagen oder sich durch den Anprall an die Wand verletzen.

Toni Großmann beim Vorstieg im Talweg am Höllenhundwächter. Seine letzte Zwischensicherung ist auf diesem Bild nicht mehr zu sehen. Deswegen sucht er auch schon ganz dringend. Hier im Sächsischen Sandstein muss man seine Sicherungen oft selbst legen. Man sieht deutlich, das Seil kommt von unten. Wenn er hier abschmiert, folgt ein tiefer Fall. Aber so schnell schmiert Toni nicht ab.

Wenn nun alles gut gegangen und er auf dem Gipfel angekommen ist, dann macht er sich dort fest und holt seinen Sicherungsmann, der jetzt zum Nachsteiger wird, zu sich herauf. Dieser Nachstieg ist nahezu völlig ungefährlich, weil das Seil ja nun von oben kommt. Ein Sturz dieses Nachsteigers ist somit ausgeschlossen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass alle Beteiligten keine Fehler machen.

Janina Graeber im Talweg am Höllenhund im Nachstieg. Das Seil kommt von oben. Klettern muss man natürlich trotzdem. Schöne Wege im Nachstieg zu klettern, ist häufig ein fast angstfreier Genuss.

Beim Klettern im toprope gibt es nun im Prinzip keinen Vorsteiger mehr, weil das Seil wie von Zauberhand schon am Gipfel angebracht worden ist. Geht man zum Beispiel in die Kletterhalle, dann hängen dort ganz viele Seile im toprope. Man kann also gleich losklettern, wenn man das Sichern beherrscht, ohne sich dem Stress des Vorsteigens auszusetzen. Die light-Variante des Klettersports sozusagen. Natürlich muss immer irgend einer das Seil dort hoch gebracht haben. Draussen in einem Klettergarten, zum Beispiel in einem Steinbruch, wie es einige rings um Leipzig gibt, muss dann doch noch ein Vorsteiger ran, um das Seil oben im Umlenker einzuhängen. Doch wenn so ein Seil erst einmal hängt, dann kann man sich nun in aller Ruhe ausprobieren und auch mal schwere Routen an seiner Leistungsgrenze klettern.

Carsten und Jeannette, zwei talentierte Anfänger im Valentinstag, eine wunderschöne 6+ am Holzberg bei Eilenburg. Unmöglich für die beiden, diese Route im Vorstieg zu klettern. Da sie aber das Sichern beherrschen, ist ein Nachstieg im toprope kein Problem. Sie können sich nach Herzenslust ausprobieren und schauen, was geht und was nicht.

Durch das Seil, welches oben angebracht in der Route hängt, können in einem Klettergarten also auch Anfänger ihr Glück in Routen versuchen, denen sie eigentlich gar nicht gewachsen sind. Es trotzdem wieder und wieder zu probieren und dabei zu lernen, ist hier aber kein Problem. Auch wenn sich fünf oder zehn Leute an der Route abarbeiten wollen, wie das oft bei Kletterkursen der Fall ist, macht das dem Granit nichts aus, denn er ist hart, wie schon das Sprichwort sagt.

Ganz anders in der Sächsischen Schweiz. Hier würde ich nie im toprope klettern und schon gar nicht mit Kunden in anspruchsvollen Routen. Und das hat gute Gründe. Und diese Gründe halte ich für so fundiert und stichhaltig, dass ich nie verstehen werde, weshalb sich so viele Leute ihnen gegenüber verschliessen. Aber auch das hat gute Gründe.

Der Sächsische Sandstein ist weich und brüchig. Man muss als Kletterer mit Griffen und Tritten möglichst vorsichtig umgehen, damit sie nicht wegbrechen oder sich übermäßig abnutzen. In vielen Routen sind bestimmte Griffe für die Kletterbarkeit einer Route von entscheidender Bedeutung. Steigt man als Vorsteiger in einen Weg ein, in dem durch Griffausbruch bestimmte Schlüsselgriffe fehlen, kann das schnell zu einem ziemlichen Problem werden.

Die meisten Anfänger wissen nichts davon. Sie haben häufig keine Ahnung, dass man im Elbsandstein die Griffe behutsam nach unten belasten muss, damit sie nicht ausbrechen. Sie achten nicht darauf, wie sie die Tritte am schonendsten beanspruchen. Und sie tun das schon gar nicht, wenn sie an ihrer Sturzgrenze klettern. Der Sandstein ist ihnen so was von egal. Und das ist auch völlig logisch, denn sie haben Angst.

Der Gipfel an Gedankenlosigkeit. Diese Seile hier waren an Bäumen befestigt und schliffen den ganzen Tag über den Sandstein dieses Vorgipfels hier im Bild. Nach einem einzigen Klettertag waren dann tiefe Rinnen im Sandstein gesägt. Den modernen Seilen macht das kaum etwas aus, dem empfindlichen Sandstein schon. 

Doch genau das ist die Realität. Klettern boomt auch in der Sächsischen Schweiz. Nur ein Beispiel: Letztes Wochenende hingen fünf Seile in sehr schönen Routen am Honigstein. Den ganzen Tag waren diese Wege blockiert von einer Kletterschule, deren Kursleiter sich einen Dreck darum geschert haben, ob auch noch andere Leute an dieser Stelle gerne geklettert wären. An die zehn Leute waren in diesen Wegen wieder und wieder unterwegs. Und wenn die Kraft sie verlassen hatte, dann wurden sie über die Route abgelassen, auch wieder und wieder. Es war zum Heulen. Und doch wird diese Art des „Kletterns“ mehr und mehr zur Regel und bleibt nicht die Ausnahme, was zähneknirschend vielleicht noch zu akzeptieren wäre.

Es gibt Leute, die meinen, die Sächsische Schweiz ist das schönste außeralpine Klettergebiet Europas. Ich gehöre zu ihnen. Hier steht die Wiege des Kletterns. Durch seine Besonderheiten und die Bewahrung der alten Traditionen bis in die Gegenwart ist es weltberühmt geworden. In der Sächsischen Schweiz ist das Klettern noch eine ernste und sehr anspruchsvolle Angelegenheit. Während man die bohrhakenabgesicherten Routen anderswo schneller vergisst als man sie in sein Tourenbuch eintragen kann, brennen sich die abenteuerlichen Vorstiege in Sachsen häufig für immer ins Gedächtnis. Das gilt es auch für zukünftige Kletterergenerationen zu bewahren. Doch ich habe die Befürchtung, dass diejenigen, die noch sauber bis auf den Gipfel vorsteigen und anschließend ihre Nachsteiger zu sich hinauf sichern, bald in der Minderheit sein werden. Und das macht nicht nur mich traurig.

 

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3 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Hallo Olaf,
    danke für diese sehr informative News! Habe viel gelernt!
    Viele Grüße, Veronica

  2. Jörg Hartig sagt:

    Sehr interessant und sehr informativ.

    Ich habe bisher nur Trekkingerfahrung und frage mich, ob mit 40+ das Klettern lernen noch lohnt.
    Solch fundierte Artikel helfen sehr.

    Danke, Herr Rieck

    Viele Grüße
    Jörg H.

    • Olaf Rieck sagt:

      Vielleicht hilft das ja weiter: Ich hab letztens einen 85jährigen klettern sehen. Er meinte, dass von allen täglich notwendigen Verrichtungen das Klettern noch am besten ginge.

      Ich kenne aber darüber hinaus noch viele andere hochbetagte, für die Klettern DAS Lebenselixier ist. Und ich gehöre ja wohl auch bald dazu 🙂

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