Runde Sache
Es gibt manchmal Tage, da beneide ich solche Leute, die, wie ich in meinem früheren Leben, ein regelmäßiges Einkommen haben. Sie müssen sich deshalb um viele Dinge keine Gedanken machen und können auch entspannt in die Zukunft schauen. Es gibt aber auch Tage, da freue ich mich wirklich sehr darüber, dass alles so ist wie es ist. So zum Beispiel am vergangenen Wochenende. Teambildung war angesagt für meine Gäste, die Christoph und mich auf unserem Weg in das Basislager des Hidden Peak begleiten werden. Die äusseren Bedingungen ließen absolut keine Wünsche offen. Das ist immer die Grundvoraussetzung für ein besonders gelungenes Wochenende. Wir trafen uns wie immer unter der Elbbrücke in Bad Schandau, fuhren anschliessend in die Schrammsteine, wanderten zu unserer angestammten Boofe und verbrachten einen feuchtfröhlichen Abend am Lagerfeuer.
Dummerweise hatte Jochen, der schon einige Male mit mir unterwegs gewesen und deshalb ein intimer Kenner von verschiedenen meiner Schwächen ist, eine Flasche eines bestimmten Getränkes mitgebracht, für das ich eine der eben erwähnten Schwächen habe. Das bescherte mir am nächsten Tag eine gewisse Lichtscheue und Lärmempfindlichkeit. Aber das war nur mein kleines Problem.
Für den ersten Tag hatte ich eine wirklich schöne neue Runde durch die einmalige Felsenlandschaft rund um Rathen ausgesucht. Jochen wollte nicht schon zum dritten Mal die altbekannte Stiegentour durch die Affen- und Schrammsteine machen.
Wir haben auf unserem Weg wirklich fast alles mitgenommen, was möglich ist. Angefangen von der Rahmhanke über die ver-schiedenen Gründe (Hirschgrund, Wehlgrund, Amselgrund und noch ein paar mehr) bis zu den ganz großen Felsgestalten wie Gänse, Wehltürme und Wehlnadel, Höllenhunde, Lok oder Talwächter. Nur eines haben wir tunlichst vermieden: Uns in das ungeheuere Getümmel auf der Basteibrücke zu stürzen. Die haben wir weiträumig umgangen.
Am nächsten Tag ging es dann wie immer zum Klettern in die Schrammsteine. Der Alte Weg auf die Tante war unser Ziel. Groß-griffig aber steil und ausgesetzt führt der Weg hoch über der Elbe auf eine der grazilsten Nadeln der ganzen Sächsischen Schweiz. An ihr war bisher noch keiner meiner Pakistan-Gäste geklettert. Auch Jochen nicht. Der hatte bei seinem ersten Besuch an der Tante ein Fussleiden, welches ihn damals vom Klettern abhielt. Diesmal allerdings wollte er es nach einigem Zögern dann doch wissen. Und was das schönste ist, er kam tatsächlich auch oben an und das wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag. Das hat mich ganz besonders gefreut und Jochen vermutlich noch mehr. Nachdem nun das Pflichtprogramm absolviert war, ging es zur Kür an den Onkel. Jochen und Ingo, die beiden etwas älteren Semester, nahmen die Beobachterstellung ein, während Christian, Christoph und Urs weiter und auch schwerer klettern wollten. Drei Wege sind wir am Onkel noch gestiegen. Der schwerste, die Südwand, immerhin eine 7c, wurde von dem überaus talentierten Urs bis zum Gipfel gemeistert. Hochachtung für diese Leistung. Zum Abschluss sind wir dann noch am Frühstücksplatz abgeseilt und anschliessend zum wohlverdienten Bier in die Schrammsteinsteinbaude eingerückt. Bei diesem hochsommerlichen Wetter der passendste Abschluss eines solchen Wochenendes, den man sich vorstellen kann.
Bis auf die offensichtlich ungerechte Zuteilung dieses gewissen von Jochen und Ingo mitgebrachten Getränkes, war das Wochenende perfekt. Alle hatten wohl großen Spass und ich ganz besonders. Urs hat heute sogleich einen dreitägigen Kletterkurs für seine Freundin und sich bei mir gebucht. Aber ich musste ihn natürlich auch gleich warnen: Klettern in der Sächsischen Schweiz hat ein hohes Suchtpotential, und er ist schließlich am Bodensee zu Hause!