Überfall!
Er ist sicher einer der bekanntesten Kletterwege der ganzen Sächsischen Schweiz, der Überfall an der Lokomotive. Der erste, der diesen Weg schon 1903 kletterte, war Albert Kunze aus Oschatz. Es ist aber nicht der legendäre Überfall selbst, der diesen Weg historisch betrachtet zu etwas besonderem macht, sondern die Tatsache, dass nach dem Überfall Wandkletterei folgt. Man kletterte Anfang des vorigen Jahrhunderts Kamine und Risse. Vor der offenen, griffarmen und deshalb gefährlichen Wand scheute man sich. Kunze war einer der ersten, der diese Scheu überwand und damit den Run auf die großen Wände der Sächsischen Schweiz eröffnete.
Für heutige Verhältnisse ist diese Wandstelle in der Route nicht mehr besonders schwierig. Was die Leute aber bis in die Gegenwart fasziniert, ist der anderthalb Meter breite Abgrund zwischen der Esse der Lokomotive und dem Kesselgrat. Sich dort hinüberfallen zu lassen, erfordert auch jetzt noch eine ganze Menge Mut. Denn so manch einer, der sich sicher ist, den 5. sächsischen Schwierigkeitsgrad locker drauf zu haben, steht dann staunend vor dem Werk von Herrn Kunze und kann nicht glauben, dass jener Mann diesen Überfall so niedrig eingestuft hat. Die Jungs damals waren offensichtlich ungeheuer mutig.
Katja von der Burg, meine Onlinemarketing-Expertin und ihr Mann Erik wollten so mutig sein und hatten mich gebeten, ihnen den Weg vorzusteigen. Und unter uns gesagt, es ist auch gar nicht so dramatisch, sich dort rüberfallen zu lassen. Schlimm ist es, seine Angst nieder zu kämpfen, die einem dort oben zwangsläufig zu schaffen macht, wenn man nicht schon ein paar Dutzend solcher in Sachsen oft zwingend notwendigen Aktionen hinter sich hat.
Doch Katja und Erik haben die Sache ziemlich souverän gemeistert und können nun ganz schön stolz auf sich sein, dass sie als einen der ersten Wege überhaupt in der Sächsischen Schweiz gleich den Überfall an der Lokomotive in ihr Tourenbuch schreiben können.
Es hat wirklich Spaß gemacht, gemeinsam mit den beiden auf die Lok zu klettern. Doch das war nicht der einzige Höhepunkt an diesem langen Wochenende. Ich bin insgesamt 18 Wege geklettert, acht davon waren neu für mich und fast alle im siebenten und achten Grad. Die schönste Tour war sicher der Direkte Strubichweg mit dem Gohrischen Ausstieg an der Großen Hunskirche. Bei einem früheren Versuch hab ich es nicht vermocht, die zwei, drei schwierigen Kletterzüge vom Sicherungsring weg zu machen. Doch diesmal ging alles gut, was womöglich auch daran lag, dass ein halbes Dutzend Leute unten stand und genüsslich meinen Absturz erwartet hat.
Es war unheimlich viel los im Sächsischen Sandstein, denn die Konstellation Sonne plus Wärme plus langes Wochenende ist immer noch ziemlich selten. Und deshalb gab es auch wieder ein ständig mehr um sich greifendes Phänomen zu sehen, was mich persönlich ausserordentlich deprimiert. Und zwar die exzessiven Toprope-Kletterer. Phänomen deshalb, weil sich doch tatsächlich die Kletterer selbst anschicken, ihr kleines aber eben doch so feines und vor allem empfindliches Gebirge kaputt zu klettern, anstatt es für die kommenden Kletterergenerationen zu bewahren. Doch meinen Senf zu diesem Thema hinzu zu tun, würde den Rahmen dieser kleinen Wochenend-news sprengen, zumal man sich bei diesem für uns Kletterer sehr sensiblen Thema genau überlegen sollte, was man sagt. Doch das werde ich tun und dann kann man das hier lesen, wenn man will…