Ein Königreich für einen Schuh
Als Christoph mir mitteilte, dass bei der Spaltenbergung sein Schuh verloren gegangen sei, verschlug es mir erstmal die Sprache. Machte er Scherze? Wie kann ein Schuh abfallen? Und wie sollte er ohne Schuh ins Basislager kommen?
Aber das war kein Scherz. An seinem linken Fuss fehlte der Überschuh mit dem Steigeisen. Nur der Innenschuh war noch da. Trotzdem konnte er damit niemals bis ins Basislager absteigen. Ich suchte verzweifelt nach einer Lösung des Problems. Aber es gab keine. Ohne Schuh saßen wir in der Klemme. Mir fiel nur die Variante ein, von den anderen im unteren Camp 2 einen Schuh zu borgen, damit ins Basislager abzusteigen und ihn dann wieder raufzubringen. Allerdings erschien mir dieser Plan vollkommen unrealistisch. Niemand wird freiwillig seinen Schuh hergeben im Lager 2 an einem Achttausender.
Erst als ich endgültig feststellte, dass es keine wirkliche Lösung unseres Problems gab, kam ich auf die Idee, den Versuch zu ins Auge zu fassen, den Schuh vielleicht irgendwie aus der Spalte zu holen. Ich ging am Seil gesichert zum Spaltenrand, um nach ihm Ausschau zu halten. Die Spalte war sagenhaft tief. Statt Spaltenboden nur gähnende schwarze Leere. Unser Seil würde also gar nicht bis unten reichen.
Doch in geschätzten 20 m Tiefe gab es eine Art Brücke in der Spalte, höchstens ein oder anderhalb Meter breit. Und auf der lag irgendwas. Es war zu weit weg, um genau zu sagen, was es war. Aber was sollte es anderes sein als Christophs Bergstiefel?
Ehrlich gesagt packte mich so ein bisschen das Entsetzen, so weit an unserem dünnen Seil in die Spalte abzusteigen. Und anschliessend musste ich mich ja wieder diese 20 m hochjümaren. Wir befanden uns nach wie vor auf Lager-2-Höhe. Aber uns blieb nichts anderes übrig. Ich baute einen Stand direkt am Spaltenrand, seilte mich bis zur Schneebrücke in der Spalte ab, fand dort den Schuh, machte ihm am Seil fest, jümarte wieder nach oben und zog den Schuh hoch. Wir waren gerettet!
Dass dieser Schuh auf der Brücke gelandet war und nicht in den Tiefen des Gletschers für immer verschwand, ist für mich schon nah an einem kleinen Wunder. Wir hatten also mehr Glück als Verstand im Pech im Unglück.
Der Rückweg zum Camp 1, und dann der Abstieg am Sonntagvormittag ins Basislager ging ohne weitere Zwischenfälle vonstatten. Diesmal werden wir drei Tage im Basislager pausieren und neue Kräfte sammeln, ehe es dann am Donnerstag wieder aufwärts geht, um das dritte und letzte Hochlager einzurichten.
Alles hängt wie immer vom Wetter ab. Aber so wie es jetzt aussieht, besteht eine realistische Chance, unseren Plan in die Tat umzusetzen, denn es bleibt zwar wie in den letzten Tagen unsicher, aber es soll nicht wirklich schlecht werden.
Bevor es losgeht, melde ich mich aber noch einmal…
Jetzt hast Du’s tatsächlich geschaft! In den letzten Tagen habe ich Deine News nicht nur regelmäßig, sondern regelrecht fieberhaft verfolgt. War ja aber auch gemein geschrieben von Dir. Ich bin so froh, dass es Euch gut geht! Ich freue mich auf ein gesundes Wiedersehen, Sven
Bei diesen Geschichten kann man doch nicht ruhig bleiben!! Bin ich froh, dass diese hier gut ausgegangen ist!!
Lieber Olaf, ich habe Dein neues großes Abenteuer mitverfolgt. Du machst alles, was ich selbst gern gemacht hätte, aber: Du machst es besonders gut! Deine Berichte und Deine Bilder sind beeindruckend. Alles Gute auf Deinem Weiterweg wünscht Dir Erhard
Lieber Olaf,
zum Glück kennen wir Dich und Deine News ganz gut, sonst wären wir nach dem „Pech im Unglück“ viel beunruhigter gewesen. Da das Drama aber als Dreiakter kam, musste es irgendwie gut ausgegangen sein. Sonst wärst auch Du deprimierter gewesen!
Beim Betrachten der Fotos kam mir in den Sinn, dass mit dem roten Fähnchen evtl. die Spalte und nicht ein Übergang darüber markiert war? Kann das sein?
Seid weiterhin vorsichtig und verbraucht nicht frühzeitig alles Glück.
Beste Grüße
Jens