Nur ein Tag

Welches Erfolgskriterium gilt beim Bergsteigen? Richtig, wenn man es genau nimmt, nur ein einziges! Wir müssen auf dem Gipfel gewesen sein. Schaffen wir es nicht dort hinauf, dann sollte die Expedition besser gar nicht stattgefunden haben, denn wer wird sich in der heutigen Zeit schon gern mit einem Fehlschlag in Verbindung bringen lassen wollen?

Ob das für einen selbst so eingeordnet werden sollte, steht natürlich auf einem anderen Blatt und für mich gilt das sicher nicht. Doch in einem großen Teil der öffentlichen Wahrnehmung hat man mit einem solchen Ergebnis tatsächlich schlechte Karten. Das ist eine nicht zum ersten Mal erlebte Tatsache. Eine achtwöchige Expedition zu einem Achttausender, die einige zehntausend Euro gekostet hat und welche ohne Gipfelerfolg bleibt, ruft bestenfalls mitleidiges Schulterzucken hervor. Im schlechten Fall liest man dann so was in der Zeitung: Eine gewisse Ironie konnte sich gestern Hans-Peter Lorenz aus dem Waldstraßenviertel nicht verkneifen, als er den Bericht über die gescheiterte Expedition des Leipziger Bergsteigers Olaf Rieck im Karakorum-Gebirge las. „Das ist ja nun schon zum wiederholten Mal, dass Herr Rieck mit einer seiner vollmundig angekündigten Expeditionen scheitert. Als Leipziger ist man über diese Misserfolge schon ein wenig beschämt.“ (LVZ, vom 15. August, S. 16) Wirtschaftlich ist so ein Misserfolg natürlich auch nicht gerade hilfreich.

Iman Ali (47), unser Guide. Überaus erfahren und mit allen Wassern gewaschen. Ein Glücksgriff für unsere Expedition. Leider musste er das BC vorzeitig verlassen, weil ein Teil der Polen eher nach Hause wollte.

Nur weil das also leider tatsächlich so ist, wird ein Phänomen erklärbar. Es zählt nicht mehr das Erlebnis, sondern ausschließlich das Ergebnis. Und deshalb hat sich die Art der Herangehensweise an ein solches Unternehmen in den letzten 25 Jahren, in denen ich Einblick hatte, deutlich gewandelt. Und nicht nur das. Es grassiert der Selbstbetrug und immer häufiger auch der Betrug. (siehe „Leben, Sterben und Lügen“)

Um tausend Meter Seil in einer Route zu befestigen oder drei Hochlager einzurichten, müssen gleich zentnerweise Lasten den Berg hinauf geschleppt werden. Das kostet Unmengen an Energie, Zeit und Motivation. Außerdem erhöht der zwangsläufig längere Aufenthalt in den Gefahrenzonen des Berges immer auch das Risiko.

Jan (43), unser Koch. Wenn wir früh um Drei starten wollten, dann stand eine halbe Stunde vorher das Frühstück auf dem Tisch. Der Koch im BC ist der wichtigste Mann mit dem zweithärtesten Job.

Also richten die zahlungskräftigen, alpinistischen Helden die Fixseilstrecken und Lagerketten nicht mehr selbst ein. Das besorgen bezahlte, teilweise hochspezialisierte Arbeitnehmer wie die Sherpas in Nepal oder die Balti-Hochträger in Pakistan. Dieser Aufwand vor dem eigentlichen Gipfelgang macht den größten Teil des Unternehmens Achttausenderbesteigung aus und ist die Schwierigkeit. Zum Gipfel zu gehen, wenn der Weg geebnet ist, ist dann meist nur noch das i-Tüpfelchen, wenn auch ein sehr wichtiges.

Medi (55), der Mann mit dem härtesten Job im Basislager. Er war Jans Küchenhilfe..

Christoph und ich können für uns in Anspruch nehmen, anders an die Sache herangegangen zu sein. Wir gönnten uns keine Kompromisse. An unserem Berg sind wir beide zwölf Mal durch den unteren Eisbruch bis Lager 1 gestiegen, sechs Mal rauf und die gleiche Anzahl wieder runter sowie acht Mal durch den oberen Eisbruch bis Lager 2. Das Ganze fast immer mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken. Wir haben 14 Nächte in den Hochlagern verbracht. Alle Erlebnisse und Erfahrungen auf dieser Tour kamen auf diesen Wegen zustande. Keiner hat es in dieser Sommersaison vermocht, am Hidden Peak über Lager 2 hinaus zu kommen oder auch nur ansatzweise das Japaner Couloir zu versichern. Wir aber schon. Das macht mich auch irgendwo stolz, wo sich doch selbst sogenannte Spitzenbergsteiger mit 13 Achttausendern auf dem Konto erfolglos an dieser Rinne versucht haben.

Das, was ich gemeinsam mit Christoph an diesem Berg suchte, haben wir auch gefunden. Wir leerten den Kelch am Hidden Peak bis zur Neige und haben uns achtbar dabei geschlagen.

Zu diesem Team gehören auch unsere Sponsoren. Dass der einzige Druck, unter dem ich auf dieser Reise stand, der war, den ich mir selbst gemacht habe, dafür bin ich meinen Sponsoren sehr dankbar.

Nur ein Tag hat leider gefehlt: Der Gipfeltag. Die Entscheidungen, die dazu führten, kann ich im Nachhinein hinterfragen mit dem Wissen, dass ich jetzt habe. Doch wenn ich nachsichtig mit mir bin, dann gab es immer in dem Moment, wo sie getroffen wurden, sehr stichhaltige Argumente dafür. Daran ändert sich auch nichts, wenn wir nun im Nachhinein wissen, dass wir es womöglich hätten anders machen können. Ein bisschen weniger Pech mit dem Wetter, und die meisten dieser Entscheidungen wären gar nicht zu treffen gewesen. Es gab nun mal tatsächlich nur ein Wetterfenster. In dem haben die Spanier als einziges Team in dieser Saison den Gipfel des Gasherbrum II erreicht,  und wir die Rinne versichert. Aber ein brauchbares Wetterfenster in den 36 Tagen, die wir an unserem Berg unterwegs waren, ist mindestens eins zu wenig.

Christoph und ich blicken nun auf ein wirklich großes Abenteuer zurück. Wir erlebten eine der bedeutendsten Gebirgslandschaften der Erde in allen Facetten. Wir haben unsere Grenzen ausgelotet und uns dabei beobachtet. Ich durfte Christoph als einen sehr nerven- und konditionsstarken Partner kennenlernen und eine großartige Zeit mit ihm verbringen. Ich bin mit soviel Bildmaterial von dieser Expedition nach Hause gekommen wie noch von keiner zuvor. Es gibt also eine Reihe guter Gründe, zufrieden mit den vergangenen acht Wochen zu sein,

fehlte da nicht dieser eine Tag…

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9 Antworten

  1. Martin sagt:

    Sehr beeindruckender Bericht, vorallem mit dem Hintergrund das dieser eine Tag gefehlt hat. Meiner Meinung nach sollte es mehr solche Berichte von „gescheiterten“ Touren / Expeditionen geben, lehren sie uns doch mehr was wichtig ist und das ist nicht immer der Gipfel!

    Gruß Martin

  2. Sylvia sagt:

    Ihr habt es versucht und dabei alles gegeben, nur der Berg hat Euch nicht hoch gelassen. Am Ende seid ihr beide gesund wieder nach Hause gekommen. Ich kann dabei kein Scheitern erkennen, empfinde nur Hochachtung vor solcher Leistung! Das der Berg in diesem Sommer unbestiegen blieb sagt ja eigentlich auch alles.
    l.G.sylvi

  3. Veronica sagt:

    Hallo Olaf,
    dieser Herr Lorenz ist wahrscheinlich noch nicht einmal auf den Fockeberg gestiegen und meint trotzdem, er kann solche Kommentare zu deiner Expedition abgeben ;o(
    Ich finde es großartig, was ihr geleistet habt!!!
    Herzliche Grüße
    Veronica

  4. Kerstin und Lothar sagt:

    Hallo Olaf,

    wie kann der Herr Lorenz von einer „gescheiterten Expedition“ sprechen?! Wir finden es großartig, was ihr geleistet und das ihr alles versucht habt. Du hast uns mit deinen Berichten sehr gut unterhalten, wir haben sie mit Spannung gelesen. Ihr seid gesund zurück gekommen und bei eurer Expedition ist auch kein anderer zu Schaden gekommen. Ist es nicht das, was zählt?
    Wir freuen uns schon auf das Alpentraining und werden viel von dir wissen wollen.

    Viele Grüße bis dahin
    von Kerstin und Lothar

  5. beate sagt:

    der weg ist das ziel!

    und das war allemal sehr unterhaltsam und spannend…

    tolle leistung!

  6. Andrea J. sagt:

    Herrn Lorenz hat eine Meinung, sehr viele teilen eine andere Meinung.
    Was zählt wirklich? Einzig und allein zählt die Tatsache, was Sie erlebt, durchlebt, persönlich erfahren haben. Alle konnten daran teilhaben. Und Sie haben überlebt und standen dabei viele Male an der Grenze. Sie haben diese Grenze nicht überschritten, und genau das war die größte Herausforderung, die Sie gemeistert haben. Respekt!

  7. Hartmut sagt:

    Hallo Olaf,

    ich kann mich noch sehr genau an deinen Ausspruch im BC erinnern: „Wir werden den Berg anflehen, daß er uns am Leben läßt und nicht wie Ungeziefer abschüttelt“.
    Daß er euch nicht bis ganz nach oben gelassen hat, ist angesichts dessen doch höchstens ein Schönheitsfehler.
    Jeder, der vor dem Hintergrund eigenen Erlebens dieser Gebirgsregionen eure Leistung realistisch einschätzen kann, wird euch hohen Respekt zollen. Bleib deinem bergsteigerischen Ehrenkodex treu, das zählt am Ende mehr als ein hoher Gipfel mehr oder weniger.

    Herzliche Grüße Hartmut

  8. Peter (Heinz) sagt:

    Hallo Olaf, hallo Christoph,

    Die Tatsache, dass in der heutigen Gesellschaft nur noch der Erfolg zählt, wurde uns bei dem vergangenen Sportereignis Olympia wiedermal deutlich vor Augen geführt.

    Ich denke, Ihr beide, habt das maximal Mögliche getan. Das könnt sowieso nur Ihr selbst real beurteilen, Ihr wart dabei, der Herr Lorenz war das nicht. Euch da etwas vorzuwerfen ist völlig fehl am Platz. Meinen Respekt habt Ihr jedenfalls !
    Eure Entscheidungen und Anstrengungen haben Euch erfolgreich von diesem Berg wieder herunter gebracht. Das das nicht immer so sein muß, selbst dann, wenn man alles richtig gemacht hat, mußten wir leider erst vor kurzem erleben.
    Letztendlich zählt nur, dass Ihr Euch offensichtlich auch ohne den Gipfel gut fühlt und dass Ihr gesund wieder zu Hause seid.
    Meine Entscheidung für 2014 wird durch den Ausgang Eures Abenteuers jedenfalls nicht negativ beeinflusst.

    Viele Grüße
    Peter

  9. ulf sagt:

    who the fck is hans-peter lorenz ausm waldstraßenviertel?
    es ist echt schlimm wie verblendet wir alle an der oberfläche herumirren, keine ahnung und kein gefühl zu dem was wir leichtfertig verurteilen, kein interesse nur das eigene ego, was sich im bequemen sessel ergötzen kann.
    trotzdem olaf, du bist selbst dein härtester richter. wenn dein ego nicht so rotieren würde, könnten dir sprüche von solchen deppen nichts anhaben und du würdest dich rundum wohlfühlen. ich weiß selbst wie schwer es ist aber der weg führt nur durch uns selbst – und der berg ist das beste symbol dafür – sinnbild unserer größten ängste aber gleichzeitig auch der innigsten wünsche. wir schaffen uns den berg selbst. wir bestimmen wie hoch und wie schwer er ist, mit jeder entscheidung, mit jeder minute unseres lebens schaffen wir unseren eigenen berg.
    auch HP ausm w-viertel hat diesen berg, sonst müsste er sich nicht zu solchen äußerungen hinreißen lassen. ich hab irgendwann neulich einen guten spruch gelesen, tibetischen ursprungs glaube ich: „wir können das leben nur rückwärts verstehen aber wir müssen es vorwärts leben.“

    namaste

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