Lawine am Manaslu

Ich würde viel lieber über mein verlängertes Kletterwochenende auf der Oberreintalhütte schreiben. Und das werde ich auch noch tun. Doch eine Tragödie hat sich am 8163 m hohen Manaslu in Nepal ereignet. Eine Lawine ist über die beiden höchsten Lager hinweg gerast und hat nach Angaben des nepalesischen Tourismusministeriums höchstwahrscheinlich 15 Bergsteigern das Leben gekostet. Wie viele Opfer es tatsächlich gab, ist aber noch nicht genau bekannt. Wieder beginnt die Diskussion in den Medien. Gestern, noch auf dem Abstieg von der Hütte hinunter nach Garmisch-Partenkirchen, erreichte mich die erste Interviewanfrage des MDR. Ich hatte noch überhaupt nichts von dem Unglück gehört. Was ist falsch gemacht worden, wollte man von mir wissen? Wieso war man eigentlich im September am Berg, denn um diese Zeit ist eigentlich keine Saison an den Achttausendern? Weshalb hat man die Lawinengefahr nicht vorausgesehen? Und warum geschehen in letzter Zeit überhaupt so viele Unfälle in den Bergen?

Soll ich mal ganz ehrlich sein? Ich weiss dass alles nicht. Ich weiss nicht, was schief gelaufen ist und warum niemand auf die Idee kam, dass Lawinen drohen. Ich weiss auch nicht, warum im September am Manaslu geklettert wurde, obwohl jedem bekannt sein müsste, der zu einem Achttausender aufbricht, dass die beste Zeit dafür die Monate April und Mai sind oder eben der Oktober und November. Allerdings ist man in der letzten Zeit davon abgekommen, so spät im Jahr an die ganz hohen Berge zu gehen. Ich will mir kein Urteil erlauben zu Geschehnissen, von denen ich nur vom Hörensagen weiss. Ich will nicht einfach so behaupten, dass es völlig falsch sei, im September dort zu klettern. Wie falsch ist es dann erst, im Winter oder mitten im Monsun im Himalaya auf hohe Gipfel zu steigen?

Was ich aber aus eigener Anschauung weiß, ist, dass immer mehr Leute an diesen Riesenbergen unterwegs sind, die dort einfach nicht hingehören. Man braucht eine in vielen Jahren erworbene Menge an Bergerfahrung, um für sich selbst in großer Höhe die Verantwortung übernehmen zu können. Man muss wissen, wie die Höhe auf einen wirkt und an seinen Grenzen gewesen sein, um sie zu kennen. Nur dann sind richtige Entscheidungen überhaupt möglich. Doch die Leute, die ich wieder und wieder und in immer größerer Zahl in den Basislagern der großen Berge treffe, können auf eine solche Erfahrung häufig nicht mal ansatzweise zurückgreifen. Man mag es kaum glauben, aber es gibt immer mehr Leute, deren zweiter oder gar erster Berg im Leben ein Achttausender sein muss. Darunter kann man mit seinen Abenteuern keinen Eindruck machen, wo jetzt schon Blinde und Beinamputierte auf den Everest steigen.

Die ungefähre Lage der Hochlager am Manaslu. Lager 3 und 4 waren von der Lawine betroffen. Die Kletterer sind im Schlaf überrascht und mitsamt Zelten bis zu 300 m weit mitgerissen worden.

Dass dies alles so ist, daran sind die kommerziellen Agenturen wahrlich nicht ganz unschuldig. Den Klienten wird suggeriert, dass sie sowas können und dort am Berg auch nicht wirklich etwas tun müssen. Das übernehmen ja die Sherpas für sie. Die Eignung für ein solch gewaltiges Unternehmen, wie der Besteigung eines der höchsten Berge der Erde wird mit einem Tourenbericht der letzten Jahre „überprüft“. Wie absurd, wo man doch buchstäblich alles mögliche dort reinschreiben kann. Eigentlich geht es den meisten kommerziellen Anbietern ausschließlich um die Kohle. Das ist ja auch kaum verwunderlich und nicht wirklich zu verurteilen. Ehrlich darum kämpfen, dass die Klienten dann tatsächlich den Gipfel erreichen, dass macht heute kaum noch einer. Ganz im Gegenteil! Hat man den Klienten erst einmal eingefangen, dann sagt man ihm gern auch mal selber, dass er an einem solchen Berg nichts zu suchen hat, oder noch besser, man zeigt es ihm. Gerade das hab ich vor wenigen Wochen an den Gasherbrums mal wieder aus nächster Nähe studieren dürfen.

Doch die Agenturen sind nicht das eigentliche Problem. Viele machen sogar einen sehr guten Job bei der Schaffung einer geeigneten Infrastruktur am Berg. Auch nicht die Medien, die solche Tragödien wie am Manaslu, ausschlachten, bis sie einem zum Halse raushängen und damit den Run auf die Superberge anheizen. Der Boom am Everest brach erst so richtig nach der weltweiten Berichterstattung über die Katastrophe von 1996 und dem Buch von Krakauer los. Nach meiner Meinung liegt das Problem ganz woanders. Nämlich bei den Bergsteigern selbst. Wer ohne Erfahrung an einen großen Berg geht, ohne die entsprechende körperliche Vorbereitung, ohne das nötige Fachwissen und fast immer unter Zeitdruck, die wenigsten Klienten sind frei von beruflichen und familiären Verpflichtungen, geht immer ein hohes Risiko ein. Und es ist eine Fehleinschätzung, dass mangelnde Erfahrung oder ungenügende körperliche Fitness durch erfahrene Bergführer oder einen persönlichen Sherpa ausgeglichen werden können. Im Grunde genommen wissen das all diese Leute ganz genau. Doch der Lohn ist so verlockend, dass die Überlegungen bald über Bord geworfen werden. An einem Achttausender gewesen zu sein, macht einen bierbäuchigen Mittfünfziger eben wieder jünger, stärker und attraktiver in den Augen seiner Umgebung. Bewunderung ist der Lohn für die Angst, die Strapazen und das hohe Risiko. Und das gilt nicht nur für Ottonormalverbraucher sondern auch für Spitzenleute, wie wir bei Gerfried Göschl gesehen haben.

Bringen wir also den höchsten Bergen der Welt wieder den Respekt entgegen, den sie verdienen. Dann werden sogleich die Unfallzahlen wieder sinken. In unserer Zeit des „Schneller-Höher-Weiter“ muss man sich nur klarwerden, dass Achttausender kein Spielfeld für unsere Eitelkeiten sind. Gott sei Dank haben wir uns diese Berge noch immer nicht Untertan gemacht. Sie bleiben auch in Zukunft stärker als wir. Wenn wir uns das einfach wieder bewußt machen, dann wird auch weniger passieren. Das wenigstens weiss ich.

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4 Antworten

  1. Lydia sagt:

    Den Zeitpunkt der Expedition fand ich auch äußerst fragwürdig. Was alle anderen Äußerungen im Artikel angeht:
    1. Um beurteilen zu können, wie erfahren die Leute am Manaslu waren, muss man sie kennen. Ich habe auf meinen Expeditionen ebenfalls häufig Menschen gesehen, die da definitiv nicht hingehören. Aber ich würde mir niemals aus der Distanz anmaßen, den Verunglückten vom Manaslu (und zwar allen) per se Unerfahrenheit, Eitelkeit und Respektlosigkeit gegenüber dem Berg zu unterstellen.
    2. Kommerzielle Anbieter kämpfen gerade, und wahrscheinlich manchmal zu viel darum, die Klienten auf den Gipfel zu bringen. Denn potentielle Klienten buchen nur bei Anbietern, die eine entsprechende Gipfelquote vorweisen können.
    3. Gegen eine Lawine in der Nacht nützt einem die größte Erfahrung nichts. Lawinen gehören zu den objektiven Gefahren, die sich auch bei bester Vorbereitung, Einschätzung der Lage, etc. nicht komplett ausschließen lassen. (siehe Gasherbrum II, 2001: reines Glück, dass wir – Olaf Rieck, Ralf Brummer und ich – im Lager 2 waren, als eine Lawine das gesamte Lager 1 platt gemacht hat).
    4. Auch „abenteuer leben“ führt Menschen gegen Geld auf Berge. Auch hier gab es einen tödlichen Unfall mit einem (vermeintlich?) erfahrenem Bergsteiger.
    Fazit: Wer in die Berge geht, muss einkalkulieren, dass etwas passieren kann. Wer von außen auf diese Ereignisse schaut, muss sich fragen, ob er sie beurteilen kann.

    • Olaf Rieck sagt:

      Hallo Lydia, vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar.

      Zum Punkt 1: Ich habe mir eben gerade nicht angemaßt, aus der Distanz zu beurteilen, was da passiert ist. Ich sage nur etwas über die Dinge, die ich mit eigenen Augen sah.

      Zum Punkt 2: Auch hier ist es wieder das eigene Erleben, was mir erlaubt, dies zu sagen. Da brauch ich mir nur die Strategie anzuschauen, die Agenturen am Island Peak fahren. 17 Jahre steige ich nun schon auf diesen Berg und weiss, wie knapp die Zeit dort bei den meisten Agenturen bemessen ist oder wie oft dort ohne Grund umgekehrt wird. Ich gebe meinen Gästen fünf Tage Zeit, diesen 6000er zu bezwingen. Die meisten anderen nicht mal einen! Richtig schlimm war es jetzt gerade an den Gasherbrums. Ich frage mich, wo Du eigentlich Deine Informationen hernimmst.

      Zu Punkt 3: Gegen Lawinen nützt einem Fachwissen und Erfahrung sehr wohl. Ich bin oft genug umgekehrt wegen zu großer Lawinengefahr. Was sagst Du da bloß?

      Zu Punkt 4: Ich habe mir eben gerade nicht erlaubt, die Ereignisse und die Erfahrung der verunglückten Bergsteiger am Manaslu zu beurteilen. Klarer als ich das im oben stehenden Artikel ausgedrückt habe, geht es nicht mehr. Und dass abenteuer leben Leute gegen Geld führt, stimmt. Aber das sind fast ausschließlich Trekkingtouren. Und wenn nicht, dann müssen meine Gäste in den Alpen mit mir trainieren. Das war die Konsequenz aus diesem furchtbaren Unfall!

  2. Günther Herfurth sagt:

    Hallo Olaf,
    ich möchte auch nicht die Leistungsfähigkeit bzw.Urteilsfähigkeit dieser Bergsteiger einschätzen.

    Aber ich weiß,das Deine Aussagen über das tragische Geschehen am Manaslu richtig sind.
    Zum einen hast Du eine jahrzehntelange Erfahrung an den hohen Bergen im Himalya und zum anderen war ich selbst mit Dir dort und auch in den Alpen(Training) unterwegs.

    Mit den besten Wünschen auch für Deine weiteren Ünternehmungen
    Günther

  3. Janina sagt:

    Ich bin froh, einen so erfahrenen Bergsteiger an meiner Seite zu haben. Wie man sieht, legen auch viele andere Menschen grossen Wert auf deine Meinung bei solchen Ereignissen. Das schoene ist, dass du trotzdem jede Situation gut abwaegst und eben keine voreiligen Urteile triffst und das haben mir die letzten 6 Jahre auch in vielen Situationen in den Bergen gezeigt!
    Liebe Gruesse, Janina

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