Das größte Wunder

Wir sind gestern und heute abermals in zwei langen Etappen bis hinunter nach Namche abgestiegen. Auch an diesen beiden Tagen ist uns das ganz typische Wintermonsunwetter mit strahlend schönen Vormittagen und bewölkten und später dann nebligen Nachmittagen treu geblieben. Noch einmal sind viele Fotos entstanden. Jetzt bleibt uns nur noch eine allerletzte Etappe zum Flugplatz nach Lukla.

Falls der Eindruck entstanden sein sollte, dass ich hier nur tollen Bergblicken nachjage, so täuscht er. Es gibt soviel darüber hinaus zu entdecken und auch zu fotografieren. Hier ein prächtiges und so gar nicht scheues männliches Exemplar des Himalaya Tahrs (Hemitragus jemlahicus). Er posierte vor mir herum wie ein Bodybuilder.

Für mich neigen sich nun acht Wochen Trekking im Schatten des Mount Everest dem Ende zu. Und es ist jedes Mal aufs Neue ein ziemlich seltsames Gefühl, welches mich erfasst. Einerseits wird es wirklich langsam Zeit, nach Hause zu kommen. Andererseits bin ich erst jetzt so richtig fit und perfekt akklimatisiert.

Es ist irgendwie schade, diesen häufig mit schlaflosen Nächten, Atemlosigkeit und Kopfschmerzen hart erkämpften Zustand einfach so ungenutzt dranzugeben. Eigentlich wäre es jetzt die rechte Zeit für einen Berg. Die aber gibt es, so wie im vergangenen Jahr am Baruntse, diesmal nicht. Was es heute hier in Namche gab, war ein wenig Muße für ein paar Gedanken zu den letzten Wochen.

Dieser Gänsegeier (Gyps fulvus) war gerade gelandet und hatte mich nicht bemerkt, weil er vermutlich selbst gerade etwas interessantes entdeckt hatte. Irgendwann musste ich aber weiterlaufen. Und das war der Augenblick, in dem dieses Foto entstand.

Bis auf den ärgerlichen Unfall, bei dem sich Karin die Hand gebrochen hat, liefen beide Touren wie am Schnürchen, obwohl wir bei weitem nicht alle Ziele erreichen konnten. Aber das ist im Himalaya eher die Regel. Die Unwägbarkeiten sind groß, die Abhängigkeit von den Wetter- und Schneebedingungen ebenfalls. Und das ist auch gut so. Wir haben uns die Berge im Himalaya Gott sei Dank noch nicht Untertan gemacht, und gerade dies macht das Unterwegssein hier unter anderem so aufregend.

Die tibetanischen Schneehühner (Tetraogallus tibetanus) stehen den Yaks in puncto Widerstandsfähigkeit gegenüber Frost und Höhe in nichts nach. Trotz erbarmungsloser Kälte unentwegt auf Futtersuche habe ich sie schon nahe der 6000-Meter-Marke angetroffen.

Unsere Herausforderung hieß, flexibel auf ungünstige Verhältnisse zu reagieren und das Beste daraus zu machen, wenn sie unsere Pläne durcheinander wirbelten. Was bringt es, auf Biegen und Brechen einen tiefverschneiten Pass zu überqueren und sich dabei völlig aufzureiben oder in eine lawinengefährliche Bergflanke einzusteigen und dabei womöglich ein unkalkulierbares Risiko einzugehen? Es gibt hier soviel wunderbares zu entdecken, dass man getrost auf solche Aktionen verzichten kann.

Das Adjektiv „unentbehrlich“ passt vielleicht am besten auf die Rolle, welche die „tibetischen Grunzochsen“ oder Yaks (Bos mutus) in den höheren Regionen Nepals und Tibets inne haben. Wolle, Milch, Fleisch und vor allem Brennstoff liefern diese Tiere ihren Besitzern hier oben. Und sie tragen geduldig ihre Lasten fast überall hin.

Solche Wunder, welche den vielen anderen hier in nichts nachstehen, womöglich sogar am nachhaltigsten im Gedächtnis haften bleiben, sind der Frohsinn und die Freundlichkeit der Menschen, denen wir hier auf Schritt und Tritt begegnen. Dabei könnte man leicht auf den Gedanken kommen, dass Glück, Zufriedenheit und nahezu permanente Fröhlichkeit hier eher selten anzutreffen sein müssten. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall und das obwohl die Bedingungen, unter denen die meisten hier leben, extrem hart sind und die Armut groß ist.

Förmlich erdrückt wird dieser junge Holzträger, der Balken für den Lodgebau in Höhen hinauf trägt, in denen unsereiner manchmal nicht mehr weiss, ob er leben oder sterben will. Ein Yak könnte und vor allem wollte diese 90-Kilo-Last niemals tragen.

Wenn man sich anschauen will, wie fröhliche Menschen aussehen, welche immer einen Grund zum Lachen finden, egal wie hart ihr Los ist, dann muss man hierher kommen. Und die Prototypen, der teilweise unmenschlich hart schuftenden und dennoch bettelarmen Nepali, die trotz ihrer Lage häufig unbeschwerter erscheinen als viele von uns, sind die Träger.

Dass wir ihre Dienste nutzen und unseren Krempel von ihnen über die Berge tragen lassen, versteht sich von selbst. Hunderttausende hier in Nepal hätten keine Chance auf einen Verdienst ohne die Bergwanderer. Und dass ein Träger, welcher für uns Touristen trägt, den weitaus leichteren und auch besser bezahlten Job hat, als die für die Einheimischen arbeitenden professionellen Porter, ist ebenfalls klar. Da spricht das Bild des Holzträgers Bände. Und ich weiss, dass es genau aus diesem Grund inzwischen immer problematischer wird , für „Schwertransporte“ überhaupt noch Porter zu finden.

Wir haben es ihnen nicht so schwer gemacht. Ich weiss schon, was man diesen Jungs zumuten darf und was nicht. Trotzdem ist ihr Job auch bei uns eisenhart. Und sie haben ihn beinahe acht Wochen lang perfekt erledigt. Meine Hochachtung vor ihnen könnte größer kaum sein, denn ich weiss, wie es sich anfühlt, eine 30-Kilo-Last über Berge zu tragen. Von links nach rechts: Bhadur, Samrat, Milan und Indra. Indra ist Chetri, die anderen drei sind Freunde von Kumar und wie er Rai.

Mich interessiert, warum die Leute hier soviel fröhlicher und unbeschwerter sind. Vielleicht ist es ja doch kein so großes Wunder? Fraglos ist, dass es sich immer lohnt, darüber nachzudenken. Die Antworten auf dieses „Warum“, sind für uns vor allem hier zu finden. Daheim sind wir oftmals blind für solche Dinge, weil uns ganz einfach der Vergleich fehlt. Und schon ist ein neuer, guter Grund gefunden, sich einmal auf den Weg hierher nach Nepal zu machen.

 

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4 Antworten

  1. Mayk sagt:

    Hallo Olaf, hallo Trekker! Geniest den Rest der tollen Tour, so gut Ihr es könnt. Ein paar schöne Stunden des Aufenthaltes habt Ihr ja noch. Viel Spaß in der Bäckerei und bei Lakpa.

    Karin, was macht Deine Hand? Auf diesem Wege grüsse ich sehr gern alle Member of February- Trekking aus Erfurt.

    Ansonsten, Olaf, noch viel Freude mit Deiner jetzigen Mannschaft. Mayk aus EF!

  2. Biki sagt:

    Ich habe deine Berichte sehr interessiert verfolgt. Vielen Dank für die engagierte Schreibweise und die wunderbaren Bilder!
    Biki

  3. Jutta sagt:

    Hallo Olaf!
    Schön, dass alles so gut geklappt hat. Das ist ja das Schöne, bei Dir- flexibel sein. Anders geht es in Nepal nicht. An die Träger und Porter denke ich noch oft zurück, auch an die Freundlichkeit und Fröhlichkeit. Ich erzähle es manchmal, wenn ich mit Menschen arbeite, denen alles zu viel wird. Da ernte ich schon sehr ungläubige Gesichter ;-). Ich hoffe, Du hast Kumar und Ningma von mir gegrüßt ?
    Kommt gut zurück!
    LG Jutta

  4. Christian sagt:

    Hallo Olaf,
    kürzlich habe ich einen ehemaligen Kollegen getroffen. Er hat nur gejammert, wie schlecht es ihm geht, alles ist trist usw. Nun gehört er aber auch nicht zu den reisefreudigen Menschen. Dabei würde ihm eine Reise z.B. nach Nepal mal die Augen öffnen.
    Es ist wie Du schreibst: Wenn man sieht unter welchen harten Arbeits- und Lebensbedingungen die Menschen dort leben und dabei immer (meist) fröhlich sind, dann können wir uns davon eine dicke Scheibe abschneiden.
    Ich freue mich schon auf nächstes Jahr!

    Viele Grüße
    Christian

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