Höhere Gewalt
Zwei andere Gruppen befanden sich vorgestern (10. Juli) außer uns noch im Hochlager. Und bei denen begann es schon mitten in der Nacht, so gegen ein Uhr zu rumoren. Die eine Gruppe wollte auf den Quitaraju, die andere, drei Amerikaner und ihr peruanischer Climbing Guide, auf den Alpamayo. Nach einer kurzen Beratung von Schlafsack zu Schlafsack entschlossen wir uns, liegen zu bleiben. Wir wollten einen weiteren Tag warten.
Schließlich hatte es selbst in dieser Nacht noch geschneit. Nun allerdings schien der Vollmond von einem sternenklaren Himmel. Als wir uns Stunden später aus den Daunen schälten, kamen uns beiden nun doch massive Zweifel an unserer Entscheidung. Keine einzige Wolke stand am stahlblauen Himmel, der Wind wehte nur schwach, und es war bitterkalt. Verpassten wir gerade eine gute Gelegenheit? Morgen würden wir den Aufstieg beginnen müssen, unsere Vorräte waren endgültig erschöpft.
Nach einigem Hin- und Herüberlegen fiel die Entscheidung, doch sofort einen beherzten Versuch zu starten. Um 9.30 Uhr, exakt sieben Stunden nach den Amerikanern, brachen wir auf. Abermals verzichteten wir auf das Seil und hatten in zweieinhalb Stunden fast die Hälfte der direkten Franzosenroute hinter uns gebracht. Der letzte Mann der vier Amerikaner kletterte nur zwei Seillängen über uns. Spätestens am Gipfel, so meinten wir, hätten wir zu den vier Amerikanern aufgeschlossen. Aber dann ereignete sich bei uns eine kleine Tragödie.
Jacob klagte plötzlich über Schwindel und Übelkeit. Wir sicherten uns, aßen und tranken, doch es half nichts. Jacob bat darum, umzukehren. Und ich gebe zu, dass ich wie vor den Kopf gestoßen war. Alles passte: Das Wetter, die Verhältnisse, ich fühlte mich unbezwingbar, wollte in zwei Stunden am Gipfel und in zwei weiteren wieder im Lager sein.
Doch das war in diesem Moment völlig bedeutungslos. Jacob musste sicher den Berg hinunter gebracht werden. Nur darauf kam es jetzt an. Sogar unser Notsnowbar musste nun dran glauben. Aber es lief alles glatt, und wir trafen wohlbehalten wieder im Hochlager ein.
Für mich aber war nun völlig klar, dass wir unter den gegebenen Umständen keine Chance mehr haben würden, noch einen weiteren Versuch am Alpamayo zu starten. Ich entschied daher, augenblicklich das Lager zu räumen und möglichst noch die 1000 Höhenmeter bis ins Basislager abzusteigen. Nur viel weiter unten würde sich Jacob erholen können.
Am nächsten Tag sollte es dann bis hinunter nach Caraz gehen. Ob das alles so funktionieren würde, stand natürlich in den Sternen. Es waren keine Esel bestellt und vom Basislager bis nach Cashapampa sind es zwei Tagesetappen. Doch hier hatten wir nun wieder Glück. Wir kamen tatsächlich noch am Donnerstag hinunter ins Basislager. Und hier befanden sich zufällig auch zwei Eselchen mit ihrem Treiber, die unser Gepäck nach einem knapp sechsstündigen Gewaltmarsch bis hinunter nach Cashapampa brachten. Und so sind wir gestern Abend (11. Juli) per Taxi tatsächlich noch in unserer gemütlichen Herberge in Caraz eingetroffen.
Und hier wurden und werden natürlich Wunden geleckt. Jacob fühlt sich schuldig, spricht von Versagen, und ich erzähle ihm, dass Versagen und einen schlechten Tag haben, zwei völlig verschiedene Dinge sind. Niemand kann hier für irgend etwas. Wir müssen jetzt nach vorn schauen und nicht zurück.
Also werden wir ab sofort unser zweites Ziel angehen und uns darüber freuen, dass wir wider Erwarten morgen das Finale der Fußballweltmeisterschaft sehen können. Am Montag oder Dienstag werden wir zum Artesonraju aufbrechen. Jacob ist heute nach Huaraz gefahren, um neue Vorräte für unser zweites Ziel einzukaufen und ich sitze, wie man sieht, am Rechner.
Wenn wir Glück haben und alles reibungslos verläuft und vor allem das Wetter hält, was es seit vorgestern verspricht, dann werden wir nach dem Artesonraju für einen zweiten Versuch zum Alpamayo zurückkehren. So schnell geben wir nicht auf.
Gut gemacht Jungs !!
Jacob muss sich wahrlich nicht „schämen“, nachdem was er am Quitaraju geleistet hat 😉
Wir kommen übrigens kommenden Sonntag (20.07.) in Huaraz an und bringen hoffentlich schönes Wetter mit, auf dass es für einen zweiten Versuch am Alpamayo reicht…
Kann ich euch eigentlich telefonisch erreichen, wenn wir in Huaraz sind, Olaf?
Hallo Ihr beide!
Vielleicht war Jacob in der dünnen Luft zu schnell nach oben unterwegs und wurde ihm deshalb schlecht? Ich bin ja kein Bergsteiger, es ist also nur eine vage Vermutung von mir … Wie immer genieße ich die wunderschönen Fotos!!
Herzliche Grüße
Veronica
Sehr gut gemacht. Die Gesundheit und der Kamerad geht vor . Die Berge stehen morgen auch noch. Wünsche Euch alles Gute und viel Kraft.
Hermann aus Südtirol
Schade, aber es ist wahre Größe, mit dem Ziel vor Augen nicht das Mitgefühl zu verlieren.