Unter Schock
Gestern sind wir zum Lago Paron gefahren und von dort aus ins Basislager des Artesonraju aufgestiegen. Hier erwarteten uns, die Bedingungen an unserem Berg betreffend, viele schlechte Nachrichten. Aber wir wollten uns an diesem Abend unsere Laune einfach nicht vermiesen lassen. Als wir im Basislager ankamen, umhüllten dichte Wolken den Artesonraju und die umliegenden Berge, doch gegen Abend klarte es auf. Wir richteten unser Lager ein, bereiteten unser Abendbrot und freuten uns über das immer grandioser werdende Abendlicht.
Aber dann bekamen wir plötzlich Besuch. Und mir war auf der Stelle klar, dass dieser Abend kein guter werden würde. Ein junger Mann mit zerschlagenem Gesicht bat uns um Hilfe. Er erzählte uns, dass er am Morgen gemeinsam mit seinem Partner am Pyramid Peak, einem Nachbarberg des Artesonraju, in einen Eisschlag geraten sei. Er hätte knapp überlebt, sein Partner aber nicht. Sein Freund liege tot am Bergfuß, und er müsse Hilfe holen. Ob wir ein Satellitentelefon dabei haben? Er verfüge nur über einen Notrufsender, den er wohl auch ausgelöst hat. Aber er glaube, dass er nicht mehr funktioniere.
Wir überließen ihm natürlich unser Telefon und gaben ihm zu trinken und eine Daunenjacke, weil er kaum etwas an hatte. Offensichtlich stand er schwer unter Schock. Er telefonierte mit seinen Eltern, welche für ihn nun die Hilfe organisieren sollten. Wir verfügten aber noch über zwei andere Telefonnummern. Carlos, der Inhaber unserer Herberge in Caraz, würde sicher viel rascher als seine Eltern Hilfe organisieren können. Doch noch bevor wir mit Carlos telefoniert hatten, tauchten plötzlich ein halbes Dutzend Bergretter auf. Offensichtlich hatte der Notrufsender doch funktioniert. Uns fiel ein Stein vom Herzen.
Auf Bildern wurde die Lage des Toten lokalisiert, und noch in der Nacht begann der Aufstieg zu ihm an den Bergfuß. Gleichzeitig wurde auch der Abtransport des Überlebenden in die Wege geleitet. Alles lief sehr professionell ab. Und der Grund dafür ist schnell gefunden. Es ist der vierte Tote innerhalb weniger Wochen in dieser Gegend. Auf mich wirkt so ein Erlebnis wie ein Fingerzeig. Es sagt mir, dass ich mich in Acht nehmen muss. Das Leben ist zu schön, um an einem Berg zu sterben.
Aber natürlich ist es ja nicht so, als ob wir nicht wüssten, dass so etwas immer passieren kann. Und es wird auch nicht einfach verdrängt. So oft wie Bergsteiger sich mit dem Tod beschäftigen, tut das sicher kaum ein anderer. Irgendwie ist man im Gebirge ständig bedroht und sich dessen auch bewusst. Nur ist diese Bedrohung irgendwie doch abstrakt. Es schlagen eben nicht ständig Steine neben einem ein und Lawinen rauschen auch nicht andauernd an einem vorbei. Doch vorgestern Abend war sie plötzlich real. Das Gesicht des jungen Mannes sprach in jeder Hinsicht Bände.
Trotz allem sind wir gestern ins Hochlager aufgestiegen. Und das obwohl vier Bergsteiger herunter kamen, die uns erzählten, dass der Artesonraju völlig unmöglich sei. Grundloser Schnee, keine Fixpunkte halten, keine Chance. Ganz besonders hellhörig wurde ich, als sie berichteten, dass Ueli Steck auch gerade vor wenigen Tagen am Artesonraju gescheitert sei, weil er mit den Verhältnissen nicht zurecht gekommen ist. (Stimmt das?) Wir werden uns in den kommenden Tagen selbst ein Bild von unseren Chancen machen. Und wenn es nicht geht, dann werden wir vernünftig sein. Doch falls wir eine Aufstiegsmöglichkeit sehen, dann werden wir alles geben.
Lieber Olaf,
Das machst du richtig: nicht so schnell aufgeben und selbst schauen + wachsam bleiben…
Über Ueli Steck finde ich leider spontan nichts im Netz, ich nehme an er berichtet nicht so brandaktuell wie du das tust 😉
Frohen Gelingen,
Thomas
Das sind Erlebnisse, auf die man getrost verzichten kann. Seid vorsichtig!
Hallo Olaf,
das sind schlimme Nachrichten!
Passt auf Euch auf!
Das ist ein supertolles Bild vom Artesonraju! Bei so viel Schönheit kann man fast nicht glauben, dass so ein Berg gefährlich sein kann … Nochmals …. passt auf Euch auf!!
Herzliche Grüße
Veronica