Widerspenstig Teil 2
Dieser Beschluss, zumindest zum Bergschrund aufzusteigen erwies sich als goldrichtig. Es war ein prächtiger, wolkenloser Morgen mit strahlendem Sonnenaufgang. Ich bekam ein immer besseres Gefühl. Einen Versuch an einem Tag, der so verheißungsvoll einlud, konnte nicht verkehrt sein. Zumindest versuchte ich mir, das einzureden.
Und auch der Bergschrund sah nicht unüberwindbar aus. Da war ich schon über andere geklettert. Nach ausgiebiger Inspektion verschiedener mehr oder weniger heikler Schneebrücken, entschied ich mich für eine, die tatsächlich auch hielt. Ich benutzte meine Arme als Schneeanker und kam ohne Probleme drüben an. Und auch für Jacob hielt die Brücke. Dieser kleine Erfolg verbesserte abermals das gute Gefühl ganz erheblich.
Doch anschließend in der nun immer steiler werdenden Wand verflüchtigte sich meine Skepsis diesem Besteigungsversuch gegenüber zunächst einmal völlig. Es ging ganz wunderbar voran. Die Verhältnisse, im unteren Wandteil zumindest, ließen keine Wünsche offen. Wir brauchten uns nicht durch knie- oder sogar hüfttiefen, lockeren und jederzeit abrutschbereiten Schnee zu wühlen, so wie wir das befürchtet hatten. Trotzdem hielt mich dieses mal ein letzter Rest von Misstrauen davon ab, den alten Fehler zu begehen, mich schon auf dem Gipfel zu sehen. Am Quitaraju begannen die Probleme erst direkt unterhalb des Gipfels. Aber soweit war es noch lange nicht.
Nach etwa drei Stunden hatten wir seilfrei die ersten zwei Drittel der Wand bereits hinter uns gebracht. Nun wurde es steiler und der Untergrund unangenehmer. Dazu kam, dass uns immer häufiger Wolken die Sicht nahmen. Dieser Umstand ärgerte mich ziemlich. Womöglich wieder ein Gipfelfoto im Nebel? Es dauerte nicht mehr lange, und wir waren vollständig von Wolken eingehüllt. Doch befanden wir uns inzwischen in den Schneerinnen direkt unterhalb des Gipfels, so dass wir uns orientieren konnten. Auf dem Rückweg würden uns unsere eigenen Spuren den Weg weisen.
Doch diese Rinnen in denen wir jetzt kletterten, wurden zunehmend problematisch. An manchen Stellen fast senkrecht und mit einer Schneekonsistenz, die man sich wie Styropor vorstellen kann. Schlägt man einen Eispickel oder die Frontzacken der Steigeisen in Styropor, so gehen sie so leicht rein, wie raus. Gott sei Dank gab es ab und zu Stellen, wo blankes Eis zu finden war, so dass wir uns Eissanduhren bauen konnten. Allerdings nur ein oder zwei auf einer ganzen Seillänge.
Von einem relativ sicheren Standplatz, musste ich sogar noch in eine Nachbarrinne queren, die leider auch bloß nahezu senkrecht aufwärts führte. Zum Glück beruhigte auch hier eine Eissanduhr die Nerven etwas.
Doch auf der Gipfelwächte selber, und das ist wirklich tragisch, fand ich keine Möglichkeit, irgend etwas sicher unterzubringen. Ich konnte weder eine Eisschraube eindrehen, eine Sanduhr bauen oder wenigstens einen Schneeanker verlässlich einschlagen. Das hieß für mich, dass ich vom Gipfel bis mindestens zur Eissanduhr abklettern müsste und vor allem, dass ich Jacob nicht nachholen konnte. Ich wollte nicht auch noch ihn in diese heikle Lage bringen. Jacob blieb also am letzten Standplatz unter dem Gipfel. Und ich glaube zu wissen, dass er mit meiner Entscheidung, dies so zu machen, sehr einverstanden war und auch immer noch ist.
Der Abstieg vom Gipfel zur Eissanduhr, welche die einzige Zwischensicherung auf dieser Seillänge zum Gipfel war, kostete eine Menge Nerven. Von der Eissanduhr konnte ich mich dann aber problemlos zu Jacob abseilen. Auch die nächsten beiden Seillängen wurde noch an Eissanduhren abgeseilt, ehe wir dann den nicht enden wollenden stundenlangen Abstieg begannen.
Als wir am Bergschrund ankamen, und Jacob bat mich, dieses zu berichten, wollte er so wie beim Aufstieg die heikle Stelle seilfrei überklettern. Ich plädierte jedoch dafür, hier noch einen aufwändigen Sicherungspunkt zu bauen und darüber abzuseilen. Und tatsächlich brach die Schneebrücke, als Jacob sie beim Abseilen betrat, zusammen. Dass ich sowas ahnte, hat aber nicht mit meinem übersinnlichen Instinkt, sondern nur mit Erfahrung zu tun. Morgens halten solche Brücken eben mehr aus als abends, wenn es tagsüber etwas wärmer war.
Um 4 Uhr morgens hatten wir zu kochen begonnen. Um halb sechs marschierten wir los. Genau dreizehn Stunden später trafen wir wieder im Hochlager auf 4700 m ein. Der Aufstieg vom 5200 m hoch gelegenen Wandfuß bis zum Gipfel hat sechs, der Abstieg wieder bis dort hin dreieinhalb Stunden gedauert. Für die ersten zwei Drittel der Wand benötigten wir genauso lange, wie für das letzte Drittel.
Und weil ich nicht von mir selbst ein albernes Bild im Nebel machen wollte, ist dies die erste erfolgreiche Bergbesteigung von der es kein Gipfelfoto gibt.
Wahnsinn! Herzlichen Glueckwunsch!
Chapeau…
wow…was für ein spannender Bericht. ich graduiere euch beiden für den erfolgreichen Gipfel. und vor allem bin ich froh, dass ihr wieder heil herunter gekommen seid.
Berg heil und noch eine fantastische zeit….verfolge fleißig weiter eure news 🙂
Meinen Glückwunsch zum Gipfel,wie immer tolle Bilder. Viele Grüße Volker
Glückwunsch!
Tolle Bilder! Spannende Geschichte!
Olaf,
Mir kommen gerade dir Traenen: nicht nur dass es dieses herrliche letzte Foto gibt, vielmehr dass du dem Jacob mit deiner Erfahrung vielleicht das Leben gerettet hast.
Und auch wenn ich mich wiederhole: Ich finde es echt super, derart ehrlich von euren Erfahrungen zu hoeren und daraus profitieren zu koennen !!!
Freut euch einfach ueber das Erreichte…
Glückwunsch für diesen besonderen Gipfel.
Das ist ja wie ein spannendes Buch, wenn man hier im warmen sitzt und mitliest.
Weiter so….