60 Tote

Am 14. Oktober überraschte ein heftiger Wettersturz hunderte Wanderer und ihre nepalesischen Begleiter in Nepal. Betroffen war vor allem die Region um den 8000er Annapurna. Die Wanderroute um diesen Berg ist die inzwischen meistfrequentierte Trekkingroute in ganz Nepal. Ausgelöst wurde das Unwetter durch den Zyklon „Hudhud“, der sich über dem Golf von Bengalen gebildet hat und schon in Indien schwere Schäden anrichtete.

Die DPA meldete am 19. Oktober, dass inzwischen mit über 60 Toten in der Annapurna-Region gerechnet werden muss, weil es für die Vermissten fünf Tage nach dem Wintereinbruch keine Hoffnung mehr gibt. 43 Leichen seien inzwischen geborgen, 19 Menschen werden noch vermisst. Andere Angaben sprechen sogar von noch 40 Vermissten. Was für eine Tragödie! Und wieder sind es in der Mehrheit Einheimische, die bei diesem Unglück ums Leben kamen. Nach Behördenangaben ist diese Katastrophe die folgenschwerste in Nepal seit Menschengedenken. Das lässt keinen kalt, schon gar nicht jemanden wie mich, der seit mehr als zwanzig Jahren selbst dort unterwegs ist.

Wir wollten den Ngozumpa-Gletscher überqueren, um von Gokyo über den Cho La nach Gorak Shep zu kommen. Doch für die Träger war das fast unmöglich. Es sei denn, wir würden ihnen den Weg bahnen. Und das haben meine Gäste und ich dann auch getan.

Wir wollten den Ngozumpa-Gletscher überqueren, um von Gokyo über den Cho La nach Gorak Shep zu kommen. Doch für die Träger war das fast unmöglich. Es sei denn, wir würden ihnen einen Weg bahnen. Und das haben meine Gäste und ich dann auch getan.

Was ist schief gelaufen? Wurden Fehler gemacht? Es wird ja immer sogleich nach Schuldigen gerufen. Häufig am lautesten von denen, die ahnen, dass womöglich niemand anderes als sie selbst schuld sein könnten. Die Reaktion ist wie schon im Frühjahr beim Unglück am Everest reflexartig. Vor allem die Regierung Nepals sei schuld. Das sagt zum Beispiel der Chef des Verbandes der Nepalesischen Trekkingagenturen. Er meint, dass die Guides schlecht ausgebildet seien, Notunterkünfte für Träger fehlten, oder, in meinen Augen ganz besonders originell, endlich das Prinzip ein Trekker-ein Guide durchgesetzt werden müsse.

Zahlreiche der überlebenden Wanderer sind nun wiederum der Meinung, dass die Agenturen bzw. deren Führer schuld seien. Viele Gruppen wären aufgebrochen, obwohl Warnungen vor einem Wettersturz kursierten. Und just in diesem Augenblick sind wir schon beim Kern der Sache. Von wem eigentlich stammten diese Warnungen? Wer ist dort überhaupt in der Lage, Wetterberichte abzurufen? Wer trägt Hightech-Ausrüstung am Thorong La und wer in zerlumpten Klamotten die Lasten? Und wer hat denn eigentlich das Sagen auf dem Trek? Immer der Guide oder allzu häufig die, die ihn bezahlen? Die Frage ist doch: Wer trägt die Verantwortung dafür, wann und ob überhaupt losgegangen wird, zum Beispiel über einen Pass wie den fast fünfeinhalbtausend Meter hohen Thorong La auf der Annapurnarunde?

Sie sind diejenigen, ohne die aber auch gar nichts läuft in Nepal. Und deshalb haben sie bei mir immer das letzte Wort ob etwas machbar ist oder nicht. Und ich habe grundsätzlich bei allen Touren einen erfahrenen Sirdar (Trägerchef) dabei, der die Interessen meiner Träger vertritt.

Sie sind diejenigen, ohne die aber auch gar nichts läuft in Nepal. Und deshalb haben sie bei mir immer das letzte Wort, wenn es darum geht, ob etwas machbar ist oder nicht. Und ich habe grundsätzlich bei allen Touren einen erfahrenen Sirdar (Trägerchef) dabei, der die Interessen meiner Träger vertritt.

Als erstes gilt die Feststellung, dass im Himalaya ständig mit mehr oder weniger extremen Wetterstürzen gerechnet werden muss. Schon ganz und gar im Oktober, dem Monat, wo alle glauben, sie seien vor schlechtem Wetter sicher. Das weiss ich nun aus eigener Erfahrung zur Genüge. Und an solchen Wetterphänomenen ist niemand schuld, jedenfalls bestimmt keiner in Nepal.

Das zweite ist, dass natürlich die Agenturen dafür verantwortlich sind, wer da die ausländischen Trekker durch die Berge führt. Und zwar vor allem die in Nepal. Dass der nepalesische Staat nicht plötzlich damit beginnen wird, Bergführer auszubilden, ist den Chefs der Agenturen dort am ehesten bewusst. Die ausländischen Reiseveranstalter, die ihre Gäste nach Nepal schicken, sind aber ebenso in der Pflicht, genau hinzuschauen, was für eine Arbeit vor Ort von den nepalesischen Partneragenturen geleistet wird. Es reicht eben nicht, wenn die Guides fremde Sprachen beherrschen.

Und wenn man sich womöglich auch in die Strapazen und oft auch die Qual seiner Träger hineinversetzen kann, weil sie selbst oft genug zu spüren bekommen hat, so ist es auch viel einfacher, auch  mal "ES GEHT NICHT" zu sagen.

Und wenn man sich womöglich in die Strapazen und oft auch die Qual seiner Träger hineinversetzen kann, weil man sie selbst oft genug zu spüren bekommen hat, so ist es natürlich viel einfacher, auch mal „ES GEHT NICHT“ zu sagen.

Des Pudels Kern ist aber etwas anderes: Jeder, der eine Reise in den Himalaya unternimmt, muss sich klar darüber sein, dass Nepal, Indien oder auch Pakistan eben nicht die Schweiz ist. Nepal ist eines der ärmsten Länder der Erde. Man kann hier niemals die Maßstäbe anlegen, die man vielleicht in den Alpen anlegen wird. Doch genau das tun viele. Die Rundum-Sorglos-Mentalität kann einen aber ganz schnell ins Verderben führen. Eigenverantwortung ist zwingend nötig, wie übrigens überall auf der Welt, wenn man in der immer unberechenbaren Natur unterwegs ist. Doch in extremen Regionen, wie der Himalaya nun mal eine ist, gilt dies sicher noch viel mehr als anderswo.

Und nicht nur Eigenverantwortung. In einem klugen Kommentar  zu einem Blogbeitrag über das Thema las ich folgenden Satz: „In Nepal trägt man als Kunde mehr Verantwortung für die Träger und auch für den Guide als diese für einen selbst“. Genauso ist es. Und wenn man sich dies auf seinem Trek immer bewusst macht, dann fällt es vielleicht auch leichter auf den Pass oder den Gipfel zu verzichten, weil einem die Sicherheit seiner nepalesischen Helfer wichtiger ist.

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5 Antworten

  1. Thomas Schmidt sagt:

    Gut „gesprochen“ Olaf,
    Ich habe darüber auch nachgedacht und bin zu ähnlichen „Erklärungen“ gekommen – dass man gerade bei solchen Touren stets „kritisch“ sein und nie den eigenen Kopf ausschalten sollte…
    Habe das zuletzt am Kilimandscharo erlebt, wo sowohl Guide als auch Agentur uns einen zusätzlichen Akklimatisierungstag am letzten Lagerplatz „ausreden“ wollten, weil ein solcher nicht üblich sei. Wir haben uns dennoch dafür entschieden und das war gut so.
    So würde ich sagen, dass es vernünftig ist, am Thorung La ein Zelt oder mindestens einen Biwaksack dabei zu haben, auch wenn das unüblich ist – man so etwas dort „eigentlich“ nie braucht. Es muss halt immer erst was „passieren“, leider.

    Auf Olaf’s Touren werden solche Fehler zum Glück nicht vorkommen, da bin ich sicher 🙂

  2. Stefan Döring sagt:

    Die Menschen in Nepal machen das Land und die Berge zu dem was sie sind. Leider wird dies alles als selbstverständlich genommen. Die Arbeit die geleistet wird von Sherpa/Träger Guide oder wie auch immer genannt nicht genügend gewürdigt, ein Sherpa dem ich dort begegnen durfte gab meinen Tripp mit der aussage you are a good group erst was besonderes, wir trugen unsere last selbst aber durften mit diesen so besonderen Menschen einen tollen Abschnitt leben verbringen.
    Egal welcher weg/wie zusammen beschritten wird zählt das Verantwortungsbewusstsein derer die den weg gehn wollen

  3. Anja E. sagt:

    Lieber Olaf,
    Danke für den sehr guten Beitrag und die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich habe die Nachrichten bereits eine Weile dazu verfolgt. Ich bin immer noch ganz fassungslos, was in diesem Jahr in Nepal passiert.
    @ Thomas Sch. Natürlich kommt das bei Olaf nicht vor. 🙂 Das kann ich 100% bestätigen 😉 Weil in diesem Jahr erst erlebt, dass wir in der Gruppe entschieden haben eben kein unnötiges Risiko einzugehen bzw. unangebrachte Selbstüberschätzung walten zu lassen, nur um die Grenzen weiter zu verschieben?!

  4. Lisa H. sagt:

    Lieber Olaf,
    danke für Deinen Betrag zu diesem Unglück. Bin diesen Treck für eine Reportage im Jahr 2000 gegangen. Schon damals kam es mir vor wie ein Wanderweg rund um die Kampenwand an einem schönen Sonntag. Ich habe dort „Wanderer“ getroffen, die besser im Tal geblieben wären. Aber die Reiseagenturen versprechen untrainierten Menschen das ganz grosse Erlebnis. Sie sind meist schlecht ausgerüstet und für einen Wettereinbruch überhaupt nicht gerüstet. Und was die Sherpas betrifft: die gehen auch noch im Oktober mit FlipFlops oder Gummistiefeln auf dieser Touren. Warum? Sie müssen diese Touren machen, um ihre Familien zu ernähren. Der Andrang der Touristen ist groß und da werden mal ganz schnell unerfahrene „Bergführer“ engagiert. Man muss die Verantwortlichen für diese Tragödie an vielen Stellen suchen…

  5. Sehr geehrter Olaf,
    genauso ist es! Danke für den objektiven Beitrag!
    Grüß von der Alm,
    Bernhard

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