Die Spannung steigt
Ich will ja nicht meckern. Ganz im Gegenteil! Aber eines steht fest. Gutes Wetter setzt uns hier gerade mächtig unter Druck. Denn das Wetter ist sogar geradezu perfekt und das nun schon seit sechs Tagen!
Trotzdem darf möglichst keine Minute davon vergeudet werden. Im Basislager sitzen, weil man einen dringend notwendigen Ruhetag einlegen muss, strapaziert meine Nerven. Denn jede Schönwetterperiode geht irgendwann zu Ende.
Deshalb waren wir in den vergangenen fünf Tagen auch sehr fleißig. Das Lager 1, 1000 Höhenmeter über dem Basislager gelegen, ist eingerichtet. Eigentlich könnte man es schon als vorgeschobenes Basislager bezeichnen. Zwei Zelte, 15 Gaskartuschen und für vier Tage Nahrung gibt es inzwischen dort. Außerdem meine Kameratechnik, die Drohne, Akkus, die Daunensachen, zwei Kocher, Isomatten. Wir haben es richtig nett dort oben.
Sogar dem Lager 2 statteten wir gestern (29.09.) schon einen Besuch ab. Auch dort gibt es jetzt schon Nahrung für zwei Tage, fünf Gaskartuschen, drei Eisgeräte und diversen klettertechnischen Kleinkram.
Übrigens verursacht mir ein Materialdepot hoch oben am Berg immer ein mulmiges Gefühl. Ganz schnell ist der Krempel womöglich eingebüßt. Die größte Tragödie diesbezüglich ist zwar schon ein Weilchen her, macht mich aber immer noch ein bisschen wehmütig.
1996 bei meiner ersten Expedition zu einem 8000er in Pakistan haben wir ein komplettes, sorgfältig in ein Depot verpacktes Lager hoch oben am Berg verloren, weil es nach starken Schneefällen nicht mehr zu erreichen war. Und damals waren das nagelneue Ausrüstungsgegenstände, die für uns Nachwendeossis regelrechte Schätze darstellten. Da haben wir sicher ein paar Leuten eine große Freude gemacht.
Wenn wir morgen zum dritten Mal jeder noch eine weitere Last ins Lager 1 tragen, sind wir in der Lage, etwa eine Woche hoch oben am Berg zu bleiben. Selbst ein ernstgemeinter Gipfelversuch ist deshalb durchaus möglich. Bis hierher sieht alles sehr gut aus. Doch leider gibt es einen Wermutstropfen.
Die Schlüsselstelle unserer Route über den Westgrat ist ein etwa 100 m hoher und fast einen Kilometer breiter Eisabbruch. Den müssen wir überklettern. Aber der soll in diesem Jahr besonders schwierig und gefährlich sein.
Das wissen wir von einer Expedition, die vor uns am Westgrat unterwegs war und gestern leider vor dem Eisabbruch umkehren musste. Es führte einfach kein sicherer Weg hinauf. Die technischen Schwierigkeiten und die objektiven Gefahren seien einfach zu groß gewesen.
Was bedeutet das für uns, ist jetzt die große Frage? Versuchen wir trotz der schlechten Prognose einen Durchstieg? Oder können wir den Eisabbruch rechts umgehen? Das allerdings erscheint mir nun fast noch weniger ratsam. Wie ein Damoklesschwert hingen die Eismassen über uns.
Wir werden uns die Sache in den kommenden Tagen ganz eingehend aus der Nähe anschauen und dann die hoffentlich richtigen Entscheidungen treffen. Nun wird es also definitiv spannend hier bei uns am Shivling.
Fotos: Jacob Andreas
Lieber Olaf, schön, wieder etwas von Euch zu lesen und zu sehen. Ich denke, Du wirst als erfahrener Bergsteiger, in Abstimmung mit Deinen Mitstreitern, die richtige Entscheidung treffen können. Was heißt „die“- es sind ja laufend Entscheidungen zu treffen, Große und Kleine, sorgfältig und mit Bedacht, immer hart an der Kante des Machbaren. Wir wünschen viel Glück, Durchhaltevermögen, gutes Wetter, Gesundheit und natürlich auch Spaß.
Herzliche Grüße aus dem verregneten Leipzig- Anne und Jens