Jahresendklettern
Wenn ein Expeditionsbergsteiger zum Sportkletterer auf Zeit mutiert, dann entwickelt er auch die gleichen Bedürfnisse wie ein solcher. Vielleicht fällt es ihm leichter, mal den ein oder anderen Bohrhaken auszulassen, weil er nicht genug Expressschlingen besitzt. Womöglich gerät er auch nicht gleich in Panik, wenn ein Bohrhaken bedenklich viel Rost angesetzt hat. Aber im Großen und Ganzen liebt er plötzlich Sicherheit, Sonne und warmen, rauen Fels.
Einmal pro Jahr gönne ich mir sowas in der kalten Jahreszeit, um ein neues Klettergebiet kennenzulernen und um mal ein paar Tage entspannt, feinstaubunbelastet, aber vor allem an richtigem Fels und nicht nur an Plastegriffen zu trainieren. Eine Art Trainingslager also. Und was liegt da näher, als dem Winter in Richtung Süden zu entfliehen, den ich ja im gerade vergangenem Jahr zur Genüge schon am Shivling genießen durfte.
Das allerdings funktionierte in Sizilien nur bedingt. Ich habe es mir an der Südspitze Europas auch in der kalten Jahreszeit irgendwie wärmer vorgestellt. Die Temperaturen waren wohl denen in Leipzig zwischen den Jahren gar nicht so unähnlich. Die ersten Tage wechselten sich Sonne, Regen und sogar Hagel fast im Minutentakt ab. Die Zugabe war gleichbleibend starker Wind, den man zeitweise ohne Übertreibung auch als Sturm bezeichnen konnte.
Man hätte also diesbezüglich vielleicht ein bisschen enttäuscht sein können, wenn da nicht die großartigen Klettermöglichkeiten von San Vito lo Capo gewesen wären. Denn vom Klettern haben wir uns trotz des unbeständigen Wetters nicht einen Tag abhalten lassen.
San Vito liegt an der Nordwestspitze der Insel und ist bei den Italienern für seinen schneeweißen Traumstrand berühmt. Wir waren hierher gekommen, weil es auf sehr begrenztem Raum eine nahezu unbegrenzte Auswahl an Kletterrouten in allen Schwierigkeitsgraden gibt. Die Besonderheit in dieser Region ist ein kilometerlanger, vorwiegend nach Westen ausgerichteter Felsriegel direkt an der Küste. Er besteht aus rauem, löchrigem und sehr fotogenem, weil knallbuntem Kalkstein, der geradezu perfekt zum Klettern geeignet ist.
Zwischen 30 und 60 Metern hoch, findet sich hier sogar die ein oder andere Mehrseillängentour. Die übergroße Zahl der inzwischen fast eintausend Kletterrouten an dieser Felsformation hat nur eine Seillänge, ist aber dafür oft 30 Meter lang oder sogar noch länger. Mindestens 70 Meter sollte das Seil also schon haben.
Links klettert Mario gerade eine spektakuläre fast 40 m lange Route namens „Erik G.“. Wer immer das auch gewesen sein mag. Eine Route wie aus dem Bilderbuch. Eine ebensolche ist die rechts, in der mich Mario fotografiert hat. Sie heißt „Don Alfredo“ und ist eine ziemlich anspruchsvolle Tour in allerbestem Fels. Beide Routen befinden sich am südlichen Ende des Felsriegels im Sektor „Seagull“.
Am meisten beeindruckt hat mich in San Vito allerdings der Monte Monaco. Sein über 400 Meter hoher Ostpfeiler aus kompaktem Kalkfelsen ist eine der höchsten Felswände in ganz Sizilien. Er erhebt sich fast direkt aus azurblauem Meer und hat auf mich eine geradezu magnetische Anziehungskraft ausgeübt. Leider war das Wetter viel zu wechselhaft, um an einer der grandiosen, bis zu 13 Seillängen zählenden Routen klettern zu können. Ich muss also zwangsläufig noch einmal hierher zurückkommen.
Das allerdings wird mir nicht schwerfallen. Denn es ist einfach, nach Palermo oder Catania zu fliegen. Von dort ist es dann im Mietwagen nie wirklich weit zum nächsten Klettergebiet. Hier angekommen, wird auf Sizilien niemand etwas dagegen haben, wenn man mal unter den Felsen zeltet. Zeltplätze oder preiswerte Unterkünfte sind aber auch fast überall zu finden. Und wenn jemand Wert auf guten Wein und leckeres Essen legt, wird er in Sizilien ebenfalls ganz sicher auf seine Kosten kommen.
Die bleibendsten Erinnerungen werden aber nicht die vielen wirklich guten Klettermöglichkeiten, der sizilianische Wein oder die Pizza sein. Auch nicht das durchwachsene Wetter, der stürmische Wind oder die gewaltige Brandung. Am meisten beeindruckt hat mich die Fröhlichkeit und vor allem die Entspanntheit der Sizilianer. Es hat richtig Spaß gemacht, sich von der guten Laune der Leute anstecken zu lassen und ihre selbstlose Gastfreundschaft unbeschwert zu genießen. Darauf freue ich mich bei meinen nächsten Besuch auf Sizilien am meisten.
Wow, das sieht wirklich nach einem tollen Klettergebiet aus! Tolle Bilder! Und dann noch eine Hochzeit, wie schön!!
Den Wind hatten wir im März auch…nur da war man dankbar darüber, weil der Fels ja fast ganztags in der Sonne liegt und selbst bei 16 Grad Lufttemperatur schon fast zu heiß zum Klettern wird. Dennoch sind solche Jahreszeiten wunderbar, weil wenige Touristen da sind.
San Vito hat auf jeden Fall die besten Kletterspots, wo man selbst nach einer Woche noch keine Langeweile verspürt. Wir waren aber auch im restlichen Teil der Insel auf der Suche nach Spots, wurden auch fündig, aber leider sind die meisten Sektoren völlig verwildert, da sie selbst von den Einheimischen selten geklettert werden. Dabei ist alles bestens abgesichert. Einen weiteren Besuch ist Sizilien auf jeden Fall wert! Nicht auch zuletzt wegen dem tollen Essen…
Hmm.. das klingt doch ganz nach was Feinem für den Jacob. Gutes Essen und Wein – damit kann ich um. Und dann noch Klettern an sonem fetzigen Fels. Olaf, was denkst du? Mal fit dort anreisen und dann den Ostpfeiler klettern. Das wär doch was!
Unbedingt. Hast Du ihn Dir angesehen? Ein Traum!
Das sieht wirklich toll aus. Erst recht bei diesem derart bescheidenen Wetter hier in Good Old Germany. Lohnt es sich, auch als noch nicht so erfahrene Kletterin dort Hand an den Fels zu legen? Sah schon ziemlich steil aus..
Grüße aus Berlin
Laureen
Hallo Laureen, in San Vito ist wirklich alles an Möglichkeiten auch für weniger erfahrene Kletterer oder selbst für Anfänger dabei. Wir hatten mit Jörg auch einen im Team und dem hat es sehr viel Spaß gemacht.
Herrlich Ihre Fotos ùnd Berichte.
Ich betrachte ùnd lese alles, obwohl ich selbst nicht klettere. Darf ich weiter an Ihren Expeditionen auf diese Weise teil nehmen?
Natürlich gern, unbedingt sogar. Aber vielleicht sollten Sie doch auch mal persönlich in die Berge gehen? Es gibt so viele Möglichkeiten, dass auch als Nichtkletterer und Nichtbergsteiger zu tun. Zum Bespiel um zu wandern und sich die tollsten Berge der Welt von unten anzusehen. Denn von dort aus sehen sie am großartigsten aus 🙂
https://www.olafrieck.de/himalaya-trekking/
Danke für Ihre Ermunterung, aber den Zeitpunkt für Kletterexpeditionen und echtes Trekking habe ich verpaßt. Mein Level waren Studienwanderreisen mit Studiosus und leichteres Trekking. Das habe ich wenigstens genossen.
Aber wenn ich Ihre Fotos und Berichte sehe, spüre ich förmlich und zum erstenmal, daß mir das auch hätte gefallen können. Nun ist es zu spät, aber ich freue mich, an Ihren Expeditionen virtuell teilnehmen zu können.