Eine Insel zum Verlieben

Ein paar Tage liegt es nun schon zurück, unser Klettercamp in Sardinien. Und doch ist sie schon wieder da, die Sehnsucht nach Sonne, den türkisblauen Badebuchten, den wilden Berglandschaften des Supramonte und vor allem nach dem rauen, festen Kalk der unzähligen Kletterfelsen. Da brauchte ich mich eigentlich nicht zu fragen, wieso mich die zweitgrößte Insel des Mittelmeeres so anzieht?

Cala Gonone im Osten der Insel am Golf von Orosei gelegen, ist mit großem Abstand der wichtigste Standort für die Klettertouristen aus Europa und der ganzen Welt.

Ich tue es aber trotzdem!

Natürlich rangieren ganz vorn in der Anziehungskraft die vielfältigen Möglichkeiten, meiner und der Kletterleidenschaft meiner Gäste nach Herzenslust nachgehen zu können. Aber das geht sehr gut auch anderswo. Ich habe ja nun schon viele Klettergebiete kennengelernt, von Patagonien bis nach Norwegen, von Peru bis nach Thailand. Doch Sardinien ist etwas Besonderes. Soviel steht fest.

Sonne, Strand, Meer und dann auch noch Kletterfelsen soweit das Auge reicht, eingebettet in die sardische Geruhsamkeit. In Sardinien ticken die Uhren anders.

Die Klettergebiete sind auf der gesamten Inseln verteilt und bieten alles, was des Kletterers Herz begehrt. Und das begehrt völlig unterschiedlich. Die einen wollen perfekt abgesicherte Genussrouten in scharfem, rauem Kalkstein, möglichst nicht überlaufen und schon gar nicht abgespeckt.

Apropos überlaufen! Diesbezüglich sollte man ein wenig auf seine Reisezeit schauen. In der Haupt-Klettersaison im Frühjahr und Herbst kann es in den angesagten Spots rund um Cala Gonone an der Ostküste schon unangenehm voll werden. Doch selbst dann genügt es, nur ein Stückchen weiter zu fahren und bald ist man auch in der Hauptsaison wieder allein.

Das Highlight in Cala Gonone, unserem Basislager auf Sardinien, war einmal mehr der traumhaft schöne Balkon mit dem Blick über den gesamten Golf von Orosei. Und natürlich kommen trotz der ganzen Kletterei Strand, Sonne, Baden und auch die netten Kneipen nicht zu kurz.

Die anderen reizt der Nervenkitzel, das Abenteuer oder gar das Risiko. Und auch jene finden auf Sardinien Routen jeglicher Couleur: Einsame Spots mit Mehrseillängenrouten, in denen die Adrenalinjunkies ordentlich was leisten und sich auf Wunsch auch selbst absichern müssen.

Die Insel nennt eine der schönsten und gleichzeitig höchsten Wände des gesamten Mittelmeerraumes ihr eigen: Die mehr als 400 m hohe Punta Giradili eine Autostunde südlich von Cala Gonone ebenfalls direkt an der Küste gelegen. Hier kann man, entsprechendes Können vorausgesetzt, das ganz große Abenteuer in der Vertikalen erleben.

Durch den gelben Riesenpfeiler der Südwestseite der Punta Giradili (li) ziehen einige der spektakulärsten Kletterrouten ganz Sardiniens. Weit weniger nervenaufreibend, bestens abgesichert und nicht gar so ausgesetzt klettert man in der Surtana (re), einer schmalen, waldreichen Talebene die von mehreren eindrucksvollen Fels-Pfeilern gesäumt wird. Hier ist das Mekka der Mehrseillängenfreaks, die es dann doch eher gemäßigt haben wollen.

Aber Sardinien hat noch so viel mehr, als nur unzählige Kletterspots zu bieten. Die Insel kommt mir vor, wie ein kleiner Kontinent, auf dem buchstäblich alles vorhanden ist: Gebirge, dichte Wälder, offene Weideflächen, Felder, Seen, Küsten aller Art und ganz nebenbei eine Jahrtausende alte Kultur und dementsprechend viele, spannende archäologische Fundstätten. Und ganz besonders wichtig ist das wunderbar milde Klima, welches die Ausübung unseres Sports eigentlich das ganze Jahr über zulässt.

Das schätze ich als Kletterer natürlich vor allem anderen. Aber die vielen malerischen Ortschaften, gemütlichen Kneipen und nicht zu Letzt die nachahmenswerte, entspannte, sardische Lebensart haben es mir persönlich jedes mal aufs Neue besonders angetan. Und das alles bekommt man auf Sardinien bei sehr viel weniger offensichtlichem Tourismus, als das anderswo der Fall ist.

Denn am meisten beeinflusst wird die Insel bis heute durch die Hirten. Weit mehr als der Tourismus prägen sie, ihre Traditionen und Bräuche das Bild der Insel. 

Jerzu (li), etwa 100 Kilometer südlich von Cala Gonone gelegen. Für mich einer der schönsten Plätze der Insel ist Porto Flavia (re) mit der vorgelagerten Insel Pan Di Zucchero, an deren schneeweißen Wänden man auch wunderbar klettern kann. Ein Boot zu bekommen, was einen hin- und wieder zurückbringt, ist überhaupt kein Problem.

Ihre Herden weiden auf Gemeinschaftsland. Ein Nutzungsprinzip, das sich bis in die Bronzezeit zurückverfolgen lässt. Damals lebte auf Sardinien das Volk der Nuraghen, eine Zivilisation, die den ganzen Mittelmeerraum prägte. An dieser Gemeinschaftsnutzung rüttelten später selbst die Großgrundbesitzer nicht. Heute bezahlt ein Hirte pro Tier und Jahr einen festgelegten Betrag an die Gemeinde und ist selbstständiger Unternehmer. Und ganz interessant ist, dass neuerdings auch junge Sarden das an Traditionen reiche Hirtenleben für sich wiederentdecken und diese Lebensweise selbst im 21. Jahrhundert als echte Perspektive sehen.

Die Cala Fuili (li) und die berühmte Cala Goloritze (re) die allen Ernstes zur schönsten Badebucht Europas gekürt wurde. Sie darf aktuell nicht mehr mit Booten angesteuert werden und so kann man sie nur noch schwimmend oder in einem etwa einstündigen Fussmarsch von oben erreichen. Die Cala Goloritze hat gleich zwei Wahrzeichen, den L´Arco di Goloritzè (oben re) und die Aguglia (unten li), eine beeindruckende, 144 m hohe Felsnadel, die einfach mal den absoluten Freeclimbing Höhepunkt auf Sardinien darstellt! Sogar ein richtiges Gipfelbuch gibt es dort oben. Da freut sich der Sachse doch gleich noch ein bisschen mehr über seinen Gipfelerfolg. (Foto unten li: Wikipedia, Foto unten re: Janina Graeber) 

Es gäbe noch so viel mehr über Sardinien zu erzählen. Allein der zweibändige vorzügliche Kletterführer wäre einen eigenen Blogbeitrag wert. Von Maurizio Ovilia geschaffen, bietet er schier unerschöpflichen Lesestoff zur Insel aber auch zu jedem einzelnen Kletterspot. Ein beeindruckendes Führerwerk, welches auf Grund seiner klugen und exakten Ausführung ganz entscheidend zum Klettergenuss auf Sardinien beiträgt.

Und diesen Kletterführer haben wir auch ganz fleißig genutzt. Obwohl das Wetter insgesamt keinen so optimalen Eindruck machte, sind wir dennoch jeden Tag geklettert. Sven,  mein Co-Guide und ich haben in sage und schreibe 40 Routen Seile eingehängt. Das sind weit über 1000 Klettermeter. Hätte ich es nicht eigenhändig aufgeschrieben, ich könnte es kaum glauben. Und da meine tapferen Mädchen auch selbst vorgestiegen sind, waren es sogar noch mehr Routen.

Simona (li) steigt im unteren Sektor von Margheddie eine schwere 5c vor. Für mich waren diese Vorstiege von Simona und Anne sicher der nervenaufreibendste Teil dieses Klettercamps. Sven sichert mich (re) im wunderschönen Klettergarten in Siniscola beim Seileeinhängen. Was für einen genialen Job wir doch hatten in Sardinien…

Bleibt den Lesern nur noch, einfach mal hinzufahren oder zu fliegen und zu schauen, ob ich nicht ein bisschen übertrieben habe mit meiner Begeisterung. Und zwar am besten gemeinsam mit mir.

Nehmen Sie Kontakt auf, wenn Sie mögen gleich hier!

 

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