Zeit fürs Denken
Das Wetter (was sonst?) und die daraus resultierende Entscheidungsnot beschäftigen uns gerade. Alle kommen vom Berg herunter und wir gehen nicht rauf. Das Wetter soll nun doch schlecht werden zumindest bis Mitte der Woche. Eigentlich sollte es heute Nacht schon umschlagen!
Aber ich sitze hier in meinem Zelt und halte es vor Hitze kaum aus. Mehr kann ich nicht ausziehen und selbst Durchzug kühlt nicht. Auch das könnte man als schlechtes Wetter bezeichnen: Der Eisbruch wird instabil und die Zelte in den Hochlagern tauen aus und machen sich selbstständig. Was tut man in einer solchen Situation? Nichts? Abwarten? Auf die Prognosen pfeifen? Ich habe alles auf meine Nylonbehausung gepackt was geht, um die Hitze im Zelt von 45 auf 35 °C zu drücken. Und ich mache mir so meine Gedanken.
Warum bin ich eigentlich an diesem 8000er ohne künstlichen Sauerstoff und ohne Hochträger gekommen? Fast alle anderen hier haben Sherpas oder zumindest pakistanische Hochträger und künstlichen Sauerstoff dabei! Fair an einen Berg zu gehen, ist total aus der Mode gekommen. Doch womöglich sind die anderen klüger als ich?
Ich sollte vielleicht auch langsam mal zur Kenntnis nehmen, dass niemand da draußen, der es nicht selbst gespürt hat, wissen kann, wie es sich anfühlt, mit einer Sauerstoffsättigung im Blut von 70 % in der Todeszone unterwegs zu sein oder mit 98 %. Und deshalb ist es den meisten Zuschauern auch völlig egal, ob Flaschensauerstoff benutzt wurde oder nicht. Was zählt ist nur der Erfolg.
Doch zum Erfolg an einem 8000er durch Hochträger zu kommen, die einem seine Ausrüstung schleppen, Seile spannen, die Lager aufbauen, kochen und dazu noch Flaschensauerstoff zu atmen, ist lächerlich. Womöglich ist es aber trotzdem dumm, auf all das zu verzichten und dann zur Strafe für seine Dummheit auch noch zu scheitern?
Wie also lautet die Antwort auf die Frage, wie viel wir für unsere Ambitionen aufs Spiel setzen dürfen? Ist es das urmenschliche Bedürfnis nach Anerkennung, welches uns Risiken eingehen lässt, die wir hier zumindest überhaupt nicht mehr kalkulieren können?
Nicht einmal auf die professionellste Wetterprognose, die man für Geld kaufen kann, ist Verlass. Können wir uns auf die gewaltigen Schneefelder oberhalb von Lager 3 verlassen oder werden sie sich entladen, gerade wenn wir sie queren wollen?
Dürfen wir unseren Seilen und den Fixpunkten trauen? Und wie sieht das mit dem eigenen Körper aus? Ist mit dem auch noch in 8000 m Höhe zu rechnen?
Oft rennen wir in unserem Leben ins Unglück, weil wir unsere Ambitionen und Wünsche höher angesetzt haben, als sie für uns erreichbar sind. Und hier machen wir das sogar sehenden Auges und in vollem Bewusstsein, weil wir eben gar nicht wissen können, was dort oben an unserem Riesenberg für Gefahren und Schwierigkeiten auf uns lauern und ob wir denen überhaupt gewachsen sind. Und dort können wir auch nicht mal eben aus der Bahn treten, wie ein Marathonläufer oder vom Rad bzw. aus dem Wasser steigen wie ein Triathlet. Wir sind Gefangene unserer einmal getroffenen Entscheidung.
Und wenn etwas passiert, dürfen wir schon gar nicht auf die Hilfe von außen rechnen. Geht es oberhalb von Camp 3 bei mir nicht weiter, dann muss ich den anderen sogar verbieten, mir zu helfen, weil sie sich dann wegen meiner Selbstüberschätzung in tödliche Gefahr begeben.
So sitze ich also hier, schwitze, mache mir Gedanken um unser Tun und warte auf schlechtes Wetter, was nicht kommt. Das ist auch ein Novum für mich.
Und bei allen Ängsten und Zweifeln, die mich immer wieder und nicht bloß in den Basislagern der Gebirge dieser Welt beschleichen, genieße ich in vollen Zügen die kolossalen Berggiganten um mich herum.
Ich genieße und bin vor allem auch sehr dankbar für die Tatsache, dass ich in einer Zeit leben darf, die es mir ermöglicht, mein Leben frei nach meiner Fasson zu gestalten.
Die, denen ich das alles zu verdanken habe, konnten das nicht. Mein Großvater kämpfte 14 Jahre in Kriegen oder ums Überleben in russischer Gefangenschaft und das nur, um alles was er hatte, zu verlieren.
Meine Eltern lebten in ständiger Angst, dass ihre Söhne etwas in der Schule sagen könnten, was nicht auf Linie der allmächtigen SED lag. Trotzdem mussten sie diese verhasste Partei wählen, wie 99 % aller anderen auch, nicht zu letzt, um die Ausbildung ihrer Söhne nicht zu gefährden. Sie konnten nicht reisen, nicht sagen, was sie dachten und begnügten sich deshalb zwangsweise mit der Enge ihres Schrebergartens.
Und wir? Tun wir eigentlich genug oder überhaupt irgendetwas dafür, die freiheitlich-demokratische Ordnung, der wir ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand verdanken, zu beschützen?
Darüber nachzudenken, lohnt sich in der heutigen Zeit mehr denn je, da die Zerfallserscheinungen unserer freien westlichen Welt immer offensichtlicher werden.
So kann man seine Zeit auch verbringen beim Warten auf den aktuellen Wetterbericht. Aber des Wartens sind wir eigentlich mehr als überdrüssig. Wir wollen los, den Gipfel versuchen, uns mit diesem gewaltigen Berg messen, uns selbst überwinden, an unsere Grenzen stoßen und trotzdem heil wieder zurückkehren.
Mit oder eben auch ohne Gipfel.
P.S. Nach der Auswertung aller Informationen die uns zur Verfügung stehen, haben wir entschieden, dass wir am Dienstag mit dem klaren Ziel aufbrechen wollen, einen Gipfelversuch zu starten.
Viel Erfolg! …und kommt gesund wieder zurück!
Eure Grusspostkarte ist in Berlin angekommen. Dankeschön.
Alles, alles Gute und sportliche Grüße
Axel
Ihr drei Hübschen!
Ich wünsche euch ganz viel Erfolg, Wetterglück, ausreichend Leidens- und vor allem Genussfähigkeit in den nächsten spannenden Tagen!
Hier werden euch so viele Daumen gedrückt, dass eigentlich nichts schief gehen kann 🙂
Ich denke an euch!!
…schön geschrieben, Olaf! Und das Ihr das filmende Auge dabei, ist genial. Damit hatte ich nicht gerechnet. Neuer Höhenrekord für die Drohne? Ich, wir alle drücken Euch beide Daumen, dass es möglichst gleich beim ersten Versuch klappt. Und ja, auf 8000m, ohne künstlichen Sauerstoff – darüber geht sprichwörtlich nix!
Hallo Jacob, Olaf und Sven,
auch wenn ich statt dieses nachdenklichen Blog-Eintrages lieber eine Erfolgsmeldung gelesen hätte, denke ich, dass ein „faires“ Scheitern immer noch besser ist als ein „unfairer“ Gipfelsieg. Ich bin aber sicher, dass Ihr den hinkriegen werdet, fair natürlich. Ich drücke Euch ganz fest die Daumen. Macht’s gut und grüßt auch die drei anderen herrlichen Menschen an Eurer Seite.
Herzliche Grüße aus dem nicht sehr sommerlichen Leipzig von Stephan … und Petra S.
Olaf…Du solltest ein Buch schreiben über Deine Erlebnisse der letzten Jahrzehnte…Es ist immer ein Genuss Deinen Zeilen/Gedanken zu folgen. Ich drücke hier auch ganz fest beide Daumen, dass es morgen klappt…Trefft Die richtigen Entscheidungen…aber strapziert das Glück nicht über….kommt heile wieder runter…egal wie weit Ihr hoch kommt.
Es ist verrückt…wir sind hier in der Toskana und ich radel so meine Runden über die wunderschönen Hügel…und wenn ich nicht mehr kann oder ein Defekt mich heimsucht, dann greife ich zum Telefon und rufe mein Mädel an…die holt mich ab…und alles ist gut.
Da bekommt man fast ein schlechtes Gewissen…aber nur fast.😂.
Also…VIEL ERFOLG👍🏻👍🏻
Hallo ihr drei!
Wir wünschen euch viel Glück und Durchhaltevermögen in den kommenden Tagen – und dass ihr euren Traum leben könnt, den Gipfel aus eigener Kraft zu erreichen sowie wieder zu verlassen! Hier werden fleißig die Daumen gedrückt, sooft wir sie entbehren können. An dieser Stelle nochmal Danke, dass ihr uns über diesen Blog an eurem Abenteuer teilhaben lasst, auch wenn es sicherlich manchmal einiges an Disziplin kostet trotz der anstrengenden Tage noch solche ausgezeichneten Beiträge ins Netz zu bringen.
Also dann: viel Erfolg und mögen euch das Wetter und der Berg wohl gesonnen sein!
Volker, Regine, Kerstin, Karl, Friedemann und Ludwig