Lust auf Tradition

Ich gestehe! Ich bin ein Traditionalist der harten Sorte, zumindest wenn es um das Klettern im Sächsischen Sandstein geht. Und wenn man so etwas sagt, dann begibt man sich heutzutage auf dünnes Eis. Immer häufiger muss man sich dafür rechtfertigen oder gar streiten, wenn man zum Beispiel Leute in der Sächsischen Schweiz auf ihre Gepflogenheiten beim Umgang mit dem empfindlichen Elbsandstein anspricht. 

An der Schlüsselstelle im Direkten Strubichweg an der Großen Hunskirche (Foto: Janina Graeber).

Aber ich bin in guter Gesellschaft, und das macht Hoffnung auch und gerade in einer Zeit, wo unsere sächsischen Klettertraditionen in Gefahr sind. Das Projekt “Johanniswacht” des Sächsischen Bergsteigerbundes macht das momentan ebenso plastisch deutlich wie das immer häufiger praktizierte Klettern im Toprope. Deshalb ist es sehr befriedigend, wenigstens durch das eigene Beispiel ein kleines bisschen dazu beizutragen, die sächsischen Klettertraditionen zu bewahren. Sie machen das größte und zweifellos schönste außeralpine Klettergebiet Europas mit ihren über 1000 bizarren und bis zu 80 Meter hoch aufragenden Türmen zu etwas besonderem.

Es sind mehr als 150 Jahre bewusster Umgang mit dem empfindlichen Fels und der Natur auf der einen und seinem eigenen Tun auf der anderen Seite. Der Atem von Geschichte umweht den Kletterer hier auf Schritt und Tritt. Hier steht die Wiege des freien Kletterns, entstand die erste Schwierigkeitsskala und der erste Kletterführer weltweit.

Links im „Blickpunkt“ am Fritziturm im Bielatal (Foto: Diana Richter). Rechts großartiges Ambiente über der Elbe im „Direkten Südweg“ an der Steinschleuder (Foto: Diana Richter).

Egal wo ich mich mit anderen Kletterern unterhalte, ob in Feuerland, Alaska oder im Himalaya, alle haben schon vom abenteuerlichen, ehrlichen und ernsten Stil im Elbsandstein gehört. Das sollte man auf keinen Fall dem sicherheitsversessenen Sportklettermainstream opfern. Es gibt genug Möglichkeiten, um angstfrei dem ungehemmten Konsumieren von Fels zu frönen. Der Sächsische Sandstein ist dazu einfach zu fragil.

„Lebensuhr“ an der Dürrebielenadel (Foto: Sebastian Wahlhütter).

Vor allem deshalb muss man als Kletterer mit Griffen, Tritten und auch den Sicherungsmöglichkeiten, die der Sandstein bietet, möglichst vorsichtig umgehen, damit sie nicht wegbrechen oder sich übermäßig abnutzen. In vielen Routen sind bestimmte Griffe für die Einstufung der Schwierigkeit und die Kletterbarkeit von entscheidender Bedeutung. Steigt man als Vorsteiger in einen Weg ein, in dem durch Griffausbruch bestimmte Schlüsselgriffe fehlen, kann das schnell zu einem ziemlichen Problem werden.

Die meisten Sandsteinneulinge, welche aus den Kletterhallen ins kleine Sächsische Gebirge strömen, ahnen nichts davon. Woher sollen sie auch wissen, dass man im Elbsandstein die Griffe behutsam nach unten belasten muss, um sie zu erhalten. Sie achten nicht darauf, ob Tritte ausreichend unterfüttert sind und wie man sie am schonendsten beansprucht. Und sie tun das schon gar nicht, wenn sie an ihrer Sturzgrenze klettern. Der Sandstein ist ihnen so was von egal. Und das ist auch völlig logisch, denn sie haben Angst.

Links  in der „Reißigkante“ am Artariastein (Foto: Diana Richter). Rechts der „Wächterriss“ am Ülmtülp in Schmilka (Foto: Christian Pech).

Genau das ist übrigens auch der Grund, warum mir regelrecht das Herz blutet, wenn ich sehe, wie das hemmungslose Toprope-Klettern immer mehr um sich greift. Denn hier kann auch einsteigen, wer einer Route gar nicht gewachsen ist. Einfach mal probieren, was soll schon dabei sein? Wer es nicht bringt, wird abgelassen und kann es gleich noch einmal versuchen. Wieder und wieder! Manchmal habe ich die Befürchtung, dass diejenigen, die noch sauber bis auf den Gipfel vorsteigen und anschließend ihre Nachsteiger zu sich hinauf sichern, bald in der Minderheit sein werden. 

Durch seine Besonderheiten und die Bewahrung der alten Traditionen bis in die Gegenwart ist die Sächsische Schweiz weltberühmt geworden. Hier ist das Klettern noch eine ernste und sehr anspruchsvolle Angelegenheit. Während man die bohrhakenabgesicherten Routen anderswo schneller vergisst als man sie in sein Tourenbuch eintragen kann, brennen sich die abenteuerlichen Vorstiege in Sachsen häufig für immer ins Gedächtnis. Das gilt es auch für zukünftige Generationen zu bewahren. 

„Ostwand“ am Schiefen Turm (Foto: Uwe Daniel).

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich als Kletterer gerade hier sozialisiert worden bin. Der Sandstein an der Elbe hat mich vor allem gelehrt, dass es am Fels viel mehr zu erleben gibt, als nur meine eigene sportliche Leistung: Die Zweifel, ob ich dem gewählten Aufstieg auch wirklich gewachsen bin, von dem ich vielleicht schon seit Jahren träume. Die inneren Kämpfe mit meiner Angst und meinen Schwächen, wenn die letzte Knotenschlinge schon wieder meterweit unter mir im Fels steckt. Die besondere Verbundenheit mit meinen Sicherungsleuten. Meine Niedergeschlagenheit beim Rückzug. Aber vor allem ist es die ungehemmte Euphorie auf dem Gipfel, wenn ich das alles hinter mir lassen und ohne Netz und doppelten Boden die von der Natur und den Erstbegehern vorgegebene Aufgabe lösen konnte.

Nach einem solchen Klettererlebnis auf den Gipfel auszusteigen, bedeutet für mich, neue Energie zu tanken. Lebenskraft wird aufgeladen. Ich fühle mich nirgendwo so lebendig wie beim Klettern im Elbsandstein. Es ist die pure Lebensfreude, die mich dort oben durchflutet. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass ich mich, egal wo ich auf der Welt klettere, schon bald zurück in meine sächsische Kletterheimat sehne. Denn nur hier fühle ich mich kletternd wirklich zu Hause.

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