Was uns die Berge lehren
Millionen deutscher Soldaten wurden im Zweifrontenkrieg in den Schützengräben verheizt, doch er ging seelenruhig klettern. Der Einberufung entkam er, weil er seit 1912 unangemeldet bei seiner Halbschwester in Dresden wohnte. Die meiste Zeit schlief er sowieso unter den Felsen. Die Rede ist von Emanuel Strubich.
Geschichte schrieb der zu dieser Zeit beste Kletterer der Welt 1918 am Wilden Kopf im Sächsischen Elbsandstein. Nur mit einem Seil um den Bauch und ohne Sicherungsring kletterte er Schwierigkeiten, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus waren. Sie lagen weit über dem, was damals anderswo für die Grenze des Menschenmöglichen gehalten wurde. Überhaupt waren die Sächsischen Kletterer zu dieser Zeit die Vorreiter was Stil und Ethik im Sinne von Paul Preuss anbelangte, übrigens ein Zeitgenosse Strubichs.
Wer heute vor dem Wilden Kopf steht und sich vorstellt, mit welcher Ausrüstung und welchem Anspruch Strubich damals los kletterte, kann nur mit dem Kopf schütteln.
Was hatten diese Jungs für Ideale? Die von Paul Preuss kann man in seinen denkwürdigen sechs Grundsätzen nachlesen. „Das Können sei des Dürfens Maß“ war seine Maxime.
Seit dem sind mehr als 100 Jahre vergangen und zu allen Zeiten suchten die Menschen in den Bergen das gleiche. Sie ragen aus der Zivilisation heraus, deshalb entfloh man zu ihnen damals wie heute. Doch das war nie die einzige Motivation. Schon zu Preuss und Strubichs Zeiten nicht. Auch sie wollten beachtet und bewundert werden und waren bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen.
Heute haben sich die Prioritäten diesbezüglich verschoben: Weg von einer hohen Qualität des Erlebens außerhalb der Zivilisation, hin zu einer hohen Qualität der erzeugten Bilder vom Erlebten und der mit ihnen erhofften Beachtung in den verschiedenen vor allem sozialen Medien.
Wegen ihnen leben wir in Zeiten der globalen Vergleichbarkeit. Wenn heute ein talentierter Kletterer ganz oben in der Liga der Profis mitspielen will, muss er nicht nur scheinbar übermenschliche Leistungen vollbringen. Er muss auch die entsprechend coolen Bilder dazu liefern. Und will auch der Amateur wahrgenommen werden, so gilt mindestens das mit den Bildern auch für ihn.
Gleichzeitig hat der Sicherheitsaspekt geradezu religiösen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen. Ein unlösbarer Widerspruch! Denn das sind drei Dinge, die nicht zusammenpassen: Atemberaubende Leistungen, Sicherheit und einen perfekt gestylten Trailer bei Youtube!
Der Fotograf Robert Bösch hat diesen Widerspruch mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Je besser die Bilder sind, umso weniger war die Expedition am Limit.“
Hierfür ein Paradebeispiel und dazu sehr aktuell ist die filmisch perfekt in Szene gesetzte Aktion des sympathischen Alex Honnold am El Capitan. Unfassbar, was der Protagonist dort abliefert. Doch für mich hat diese Sache einen eklatanten Schönheitsfehler. Er bricht den ersten Versuch seiner Free-Solo-Begehung ab! Wie kann das sein ohne Seil? Ist er auch freesolo abgestiegen? Wenn ich so kletterte und meine Arme oder mein Kopf machten nicht mehr mit, dann flöge ich runter! Genau darum geht es ja beim Klettern ohne Seil. Aber Alex Honnold lebt noch.
Als Strubich nach dem ersten Weltkrieg im Sächsischen Sandstein Leistungen vollbrachte, die tatsächlich haarscharf an der Grenze des damals Menschenmöglichen war, verglich er sich lediglich mit seinen wenigen Konkurrenten in seiner unmittelbaren Umgebung. Die Orte dieser Vergleiche waren die Kneipe, die Gipfelbücher oder höchstens ein paar Artikel in den regionalen Zeitungen.
Heute müsste er sich mit der gesamten Weltelite vergleichen. Und das macht entweder depressiv, wie mich manchmal, weil einem gnadenlos die eigene Bedeutungslosigkeit klar wird. Manchmal lässt es deshalb Leute Dinge tun, die sie besser gelassen hätten. Am häufigsten aber führt es zu fast schon lächerlichem Selbstbetrug.
Die Achttausender und hier vor allem der Everest sind der Schauplatz dieses für mich völlig unbegreiflichen Schauspiels. Da lassen Leute buchstäblich alles, was eine solche Besteigung schwierig und anstrengend macht, von anderen erledigen, schalten das Risiko weitestgehend durch von den Sherpas verlegte Fixseile aus, lassen sich von ihren persönlichen Hochträgern eine neue Sauerstoffflasche anschließen und reklamieren dann trotzdem für sich, zum nicht mehr ganz so erlesenen Kreis der Everestsummiter zu gehören. Und zu allem Überfluss sind dann die Veranstalter solcher Reisen auch noch stolz darauf, dass ihre Kundschaft nach dem Everest aussieht, als käme sie aus dem Büro.
Noch trauriger wird es, wenn beim Kampf um Klicks, Vortragshonorare und Sponsorenverträge gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Und das wird es oft. Ich muss da zwangsläufig an Christian Stangl und seine eingebildete K2-Besteigung denken. Als sein Lügengebäude zusammenbrach, stellte sich sogar heraus, dass er tatsächlich nicht einmal das Basislager verlassen hatte. 70 Stunden war er „unterwegs“ saß also in seinem Zelt am Bergfuß. Wie hat er das mit seiner Notdurft gelöst?
Wir müssten es irgendwie schaffen, nicht die durchgestylten Bilder, die gekletterten Schwierigkeitsgrade oder die Höhe der Berge zum Maß aller Dinge zu erheben, sondern die Qualität des Erlebens selbst. Schade nur, dass man die nicht messen und somit vergleichen kann. Welcher Sponsor kauft schon die Katze im Sack?
Doch es gibt Grund zu Optimismus. Denn es ist ja leicht, zu erleben, wie großartig es sich anfühlt, wenn man etwas schwieriges aus eigener Kraft, mit gutem Stil und ohne Netz und doppeltem Boden schaffen konnte.
Ich spüre das immer wieder, wenn ich aus bestens abgesicherten Sportklettergebieten in meine geliebte Kletterheimat, den Elbsandstein zurückkehre. Während ich anderswo die entspannt gekletterten, weil mit Bohrhaken gespickten Sportkletterrouten schneller vergesse, als ich sie in mein Tourenbuch eintragen kann, brennen sich die abenteuerlichen Wege eines Strubichs und Co. in Sachsen für immer ins Gedächtnis.
Vielleicht nicht heute oder morgen. Aber die Rückbesinnung auf den Wert dessen, was uns die Berge lehren, wo wir uns gleichzeitig ganz klein aber auch ganz groß fühlen können, wird die Zukunft sein in einer auf Quantifizierbarkeit fixierten Welt, wo alles immer schneller, unverbindlicher und anonymer zu werden droht. Denn wo können wir uns, wann immer uns danach gelüstet, Ernsthaftigkeit, Zufriedenheit und Lebensfreude besorgen? Wenn wir sie nicht gerade zu Sportgeräten degradieren, geht das in den Bergen ganz wunderbar. Und dafür müssen wir nichts weiter tun, als hinzugehen.
Huhu Olaf,
Du hast auf jeden Fall schon mal 3 Stimmen in unserer Abstimmung, soviel also zu deiner Bedeutungslosigkeit – dem guten Eindruck, den du hinterlassen hast…
Vg und gespannt, wie es ausgeht, Thomas
Na ich erst! Wieviele Stimmen gibt es denn? Viele Grüße Olaf
Genau wegen dieser Einstellung zu den Leistungen am Berg sind Deine Gäste sehr gern mit Dir unterwegs.