In Eis gegossene Schönheit

Eisklettern, die Zweite. Ich stolperte mehr oder weniger direkt aus Brüssel, wo ich auf Dienstreise war und sich in meinem Kopf alles um Klima- und Tropenwaldschutz drehte, in den Eispark Osttirol. Dementsprechend verlief der erste Klettertag. Es funktionierte – nichts. Ich weiß noch, dass ich sehr lange an einem Fixpunkt das Abseilen vorbereitete. Was genau ich dort anstellte und warum, das entzieht sich selbst meiner Kenntnis. Oben geblieben bin ich jedenfalls nicht. Und den Rest des Tages habe ich bereits aus dem Gedächtnis gestrichen.

Links im Hintergrund der großartige und deshalb auch vielbesuchte Eiskletterpark Osttirol. Rechts Daniela beim „Einklettern“ im Eispark.

Es bedurfte keiner Erklärung, dass wir das anders angehen mussten. Olaf hatte bereits verstanden, dass die vielen Mitkletterer im Eispark nicht gerade zu meiner Entspannung beitrugen. Also gingen wir am nächsten Tag zum Rechten Zotten Fall ins Defereggental. Wir waren allein auf weiter Flur. Mein Kletter-Guide erinnerte mich vorsichtshalber noch daran, doch bitte das Gehirn beim Klettern einzuschalten (besser hätte ich den ersten Tag nicht zusammenfassen können), dann arbeiteten wir uns 85 m in zwei Seillängen nach oben, und ich konnte den ersten Eisfall der Woche verbuchen.

Die Zottenfälle im Defereggental sind ein dankbares Ziel. Vor allem der rechte. Er ist genau der richtige für den Anfang! (Fotos: Daniela Göhler)

Daniela in der letzten Seillänge des Alebolenfalls.

In der Folge übertraf jeder Tag die vorangegangenen in mindestens einer Dimension: Der Eisfall länger oder schwieriger, die Landschaft malerischer oder der Tag als solcher aus unterschiedlichen Gründen einfach noch schöner. Der Alebolenfall am dritten Tag war vor allem lang (240 m) und präsentierte seine interessanteste Passage in der letzten Seillänge. 

Der Mittlere Seebachfall am nächsten Tag war fast wie eine Prüfung. So fühlte ich mich zumindest auf dem langen Anmarsch durch das traumhafte Innere Gschlößtal. Ich selbst hatte es zwar fast verdrängt, aber Olaf erinnerte mich – so nebenbei es eben ging – daran, dass ich im letzten Jahr nicht bis ganz nach oben gekommen war. An meine schmerzenden Unterarme wiederum konnte ich mich recht lebhaft erinnern. Die letzte Seillänge ist ausgerechnet die schwierigste (immerhin WI4-5), ich hatte also allen Grund zur Sorge. Ich kam oben an, ließ mir sicherheitshalber bestätigen, dass der „Sack“ jetzt offiziell als abgeholt galt und genoss die Glückseligkeit. 

Links der Zustieg zum Einstieg in den Mittleren Seebachfall. Rechts Daniela in der ersten Seillänge des Mittleren Seebachsfalls.

Das Aufsuchen der Eisfälle hat auch einen Nachteil, nämlich dass die Anmärsche sehr viel länger und anstrengender sind (im Vergleich zum ideal gelegenen Eispark). Ganz zu schweigen von den Zustiegen, einer steiler als der andere. Aber all das stört mich ehrlich gesagt nicht. Ganz im Gegenteil, ich liebe es, in die tief verschneiten und im Winter tatsächlich einsamen Täler zu marschieren. Ich mag die kalte Luft, die Wintersonne.

Oftmals sieht man dabei die Eisfälle aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Mal erscheinen sie riesig groß und steil, dann wieder eher moderat und sanft. Eines aber steht fest: Wenn man sich dann in der Vertikalen befindet, entpuppen sich auch die (aus der Ferne oder von unten) als „machbar“ anmutenden Passagen gerne als überraschend steil und heimtückisch…  

Links der wunderschöne Weg ins Innere Gschlößtal. Es gibt die in den Hohen Tauern weit verbreitete Meinung, dass dies das schönste Tal der Ostalpen sei. Rechts der in diesem Jahr besonders schöne Leitertaler Eisfall.

Nun ist das bei mir im Nachstieg ja (theoretisch) alles kein Problem. Aber ich frage mich immer wieder, wie es Olaf im Vorstieg an solchen Stellen ergeht? Es sieht immer souverän und elegant aus, aber wie macht er das? Ich schaue mir jedes Mal alles ganz genau an: Bewegungsabläufe, Körperspannung, Eisgeräte, Steigeisen. Inwieweit es mir dann gelingt, das auch nur annähernd zu replizieren, kann zum Glück keiner so richtig beurteilen. Es klettert ja keiner hinter mir. Und von oben, also aus der Perspektive des Vorsteigers, sieht sowieso alles anders aus. Das kann man nicht vergleichen  

Von Daniela im Vorstieg am rechten Zottenfall fotografiert. Um Deine Frage zu beantworten: Also ich frage da mich gerade, ob dieses Eisgerät oben in meiner linken Hand wirklich hält 🙂 Wenn nicht, dann ginge es ziemlich weit abwärts. Und ich wäre in diesem Fall gern in guten Händen am Stand… (Foto: Daniela Göhler)

Der fünfte Tag war der beeindruckendste von allen. Obwohl wir an diesem Tag gar keinen Eisfall geklettert sind, sondern uns dem Techniktraining widmeten. Wie ist das nun wieder möglich? Nun, wir gingen auf Erkundungstour und fanden uns wieder vor in Eis gegossener Schönheit. Der Weg dorthin dauerte mindestens dreimal so lange wie angegeben, und es war ziemlich warm, viel zu warm.

Aber am Ende des Tals herrschte eine andere Welt. Als erstes schlug uns Eiseskälte entgegen. Dann der Anblick der mächtigen Leitertal Fälle. Als dann noch die Sonne den oberen Teil der Eisfälle durchflutete (den Rest erreicht sie nie), erstarrten wir vor Überwältigung. Wir hatten den perfekten Moment erwischt. 

Es ist tatsächlich sehr beeindruckend, welche Farben- und Formenvielfalt ein profaner gefrorener Wasserfall zu bieten haben kann!

Für den letzten Tag hatte Olaf eine andere Art der Überraschung herausgesucht. Klettern vor der Kulisse des Großglockners. Ich hätte keinen Zentimeter weiter klettern können, aber den Rechten Lucknerhausfall schaffte ich gerade noch so. Und als Belohnung gab es Apfelstrudel im Lucknerhaus (draußen in der Sonne!). Was will man mehr?

Links die beiden Lucknerhauseisfälle. Rechts Daniela am Stand nach der ersten Seillänge im Rechten Lucknerhauseisfall. 

Ein paar Tage später fragte mich jemand, ob es zurück im Büro nicht langweilig sei. Die Frage ist gut. Die Antwort ist nein. Mir ist alles andere als langweilig. Meine Leidenschaft beim Klimaschutz ist mindestens genauso groß wie die beim Eisklettern. Und abenteuer leben ist für mich eine Quelle (erneuerbarer) Energie, damit das auch so bleibt.

Nach der letzten Seillänge dieses persönlichen Eisklettercoachings mit Daniela über dem Lucknerhaus (unten sichtbar). Hier gibt es den besonders leckeren Apfelstrudel 🙂

Text: Daniela Göhler (Vielen Dank dafür!)

Bildauswahl, Bildlegenden, Fotos: ich mit Ausnahme der Bilder Nr. 3,4,10

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9 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Das klingt nach einer tollen Woche!

    • Olaf Rieck sagt:

      Das klingt nicht nur danach! Es war eine tolle Woche: Tolles Wetter, tolle Unterkunft, sogar zumindest gute Eisverhältnisse. Aber all das ist nichts nutze ohne einen tollen Mitkletterer:-)

  2. Thomas Schmidt sagt:

    Toll geschrieben, @Damiela: das ist Abenteuer-Leben :-)))
    Vg + viel Spaß noch, Thomas

    • Daniela sagt:

      Absolut! Und weil es so gut tut mit dem Abenteuer und dem Leben, muss ich immer auch direkt wissen, wann es wieder los geht! Sonst könnte ich gar nicht mehr ruhig schlafen 😉

  3. Donna sagt:

    Daniela, you always amaze me with your sense of adventure and bravery! And such stunning scenery — a nice reminder of the amazing planet we inhabit. I am glad that you are re-energized to continue the fight to protect it 😉

    • Daniela sagt:

      So true, Donna. I promise to do what I can! When we walked into that beautiful valley, I was thinking of our fantastic trip to Janet’s Cabin in Colorado…

  4. Charlotte sagt:

    Daniela, ich gebe zu, dass ich am Ende Deiner Abenteuerreisen immer ganz froh bin, dass du wieder in wärmeren und rutschsicheren Gefilden wandelst , aber beeindruckt bin ich dennoch jedes Mal. Ich weiss auch, dass Du süchtig nach dem Kitzel, der Natur, der Herausforderung bist. Go for it! Die Photos lassen Majestätisches erahnen.

    • Daniela sagt:

      Du weißt so einiges, liebe Charlotte. Auch über andere Arten der Herausforderung, bei denen es ungemütlich oder rutschig wird oder anfängt zu brökeln… Und dann weiß ich mich bei dir in sicheren Händen! Das ist wie beim Klettern 🙂

  5. Helmut Hartmann sagt:

    Auch ich bin in den Bann der eisigen Schönheiten geraten. Als wir 2019 zur Vorbereitung auf unseren Trip nach Nepal zum Nirekha Peak mit Olaf ein Eisklettertraining absolviert haben hat es mich so richtig erwischt. Die majestätischen Säulen und Formationen, die Lichtspiele und die natürliche Gewalt dieser Konstrukte durchfluteten mich mit Ehrfurcht und Staunen. So kann ich Danielas Leidenschaft für die kalten Riesen nicht nur nachvollziehen, sondern teilen. Auch ich durfte ein paar Tage mit Olaf in diesen atemberaubenden Gebilden klettern und verweilen, diese Schönheiten genießen: ein unermessliches Glück für mich!

    Es ist ein auch unermessliches Glück für uns alle, dass wir in diesen Zeiten des Klima- und Gesellschaftswandels so etwas noch erleben und genießen dürfen. Unsere nachfolgenden Generationen werden wahrscheinlich auf eine ganz andere Welt treffen. Diese kann und wird sicherlich auch Ihre Reize haben, doch das was wir jetzt noch erleben können wird dann wahrscheinlich verloren sein. Einen großen Teil der Schuld daran tragen unsere und unserer Eltern’s Generation. Wahrscheinlich nicht bewusst und sicherlich nicht beabsichtigt, jedoch geschuldet dem technischen Fortschritt und der Zivilisation im allgemeinen. Deshalb sollten wir jetzt alles in unserer Macht liegende tun um diesen Prozess der immer schneller werdenden Zerstörung unserer natürlichen Ressourcen zu stoppen oder zumindest in soweit zu bremsen, dass die Natur die Möglichkeit hat sich zu erholen. Wir sind nur Gast auf diesem Planeten und müssen uns auch dementsprechend benehmen. Jeder Einzelne steht in der Verantwortung den Klimawandel, den steigenden Nationalismus und dem immer irrsinniger werdenden Einsatz von technischen Hilfsmitteln Einhalt zu gebieten. Braucht man wirklich für jede Fahrt ein Auto, Elektrofahrrad, muss man immer „online“ sein, alles elektronisch teilen,…
    Auch wenn viele der Meinung sind, dass ein Einzelner nicht viel bewirken kann dem lege ich das Zitat vom Dalai Lama ans Herz: „Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.“

    Am Ende des Tages muss jeder für sich selbst bewerten, ob er für sich und seine nachfolgenden Generationen das Richtige getan hat. Ich für meinen Teil versuche auf jeden Fall mit einem guten Gewissen irgendwann diese Erde zu verlassen, weiß aber dass ich dafür an meiner Einstellung, Gewohnheiten und Tun noch einiges ändern muss.

    Olaf zeigt es uns bei unseren Unternehmungen immer wieder mit ungeschönter Härte was mit unserem Planeten passiert, jedoch hat er auch das Gespür uns für die noch vorhandene Schönheit und Wildheit zu begeistern. Daniela hat es treffend formuliert: Abenteuer Leben (und somit Olaf) ist eine Quelle der Energie um diesem Wahnsinn mit neuer Stärke entgegen zu treten. Und um es wieder zurück zu den in Eis gegossenen Schönheiten zu bringen: Alles ist vergänglich, so mächtig und schön es auch im Moment erscheint…

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