Der Schwäbische Grand Canyon, Teil 1

Es sind per Luftlinie nur schlappe 14 Kilometer, auf welchen die noch junge Donau die Schwäbische Alb durchbricht. Aber diese paar Kilometer haben es in sich. Es ist nicht nur ein Tal entstanden, welches das Herz eines Naturliebhabers höher schlagen lässt. Auch die Herzen von uns Kletterern pochen deutlich schneller bei seinem Anblick. Denn durch die Erosion wurden Felswände aus fossilreichem Kalkstein freigelegt, welche beiderseits des Flusses teilweise senkrecht aufragen. Auf den höchsten Wänden schaut der Kletterer aus über 200 m Höhe auf die Donau hinab! Hier findet sich sogar die höchste außeralpine Felswand Deutschlands. Und genau an dieser Wand, Schaufels genannt, hat vor über 90 Jahren auch alles begonnen.

Der Blick vom Gipfel des Stuhlfelsens auf das Örtchen Hausen im Tal. Gegenüber schauen wir auf die Hausener Wände, welche die größte Routendichte im gesamten Donautal aufweisen.

Karl Binder hieß der Mann, dem irgendwann jedes Mittel recht war, um „seinen“ Turm zu bezwingen. Der Turm, welcher vor dieser über 100 m hohen Felswand aufragt, hatte ihn mehrfach wie einen lästigen Parasiten aus seinem Felsgewand geschüttelt. Als es für Binder mit Seil und Schlaghaken kein Weiterkommen gab, überbrückte er den Spalt zwischen Massiv und Turm kurzerhand mit zwei zusammengebundenen Leitern. Auf dem Bauch rutschend schob er sich auf der schwankenden Konstruktion über den Abgrund.

Dieses kletterethisch eher zweifelhafte Unternehmen fand am 25. Mai 1927 statt und markiert den etwas unrühmlichen Beginn des Kletterns im Donautal. Binder und seine Freunde setzten dem sogar noch eins drauf. Sie installierten ein Seil zwischen Turm und Massiv und kassierten von jedem, der sich nun auch einmal am Seil hangelnd auf die Turmspitze begeben wollte, eine Mark ab. Die Schwaben waren eben schon immer geschäftstüchtig.

Das ist er der Turm, dem Karl Binder 1927 mit zusammengebundenen Leitern zu Leibe rückte. Heute heißt er Ebinger Turm und darf weder mit Leitern noch sonstwie bestiegen werden. Leider!

Doch schon drei Jahre später wurde dann der erste echte Meilenstein im Donautal durch Fritz Lorch und Emil Blickle gesetzt. Sie durchstiegen zum ersten Mal die Wand des Schaufels in der vollen Höhe und eröffneten den heutigen „Normalweg“. Drei Seillängen bis zum oberen 5. Schwierigkeitsgrad. Dieser Weg gilt als die erste moderne Kletterroute im Donautal und wird bis heute gern und oft begangen. 

Links steigt mir Urs den „Normalweg“ am Schaufels nach, also die Route, welche als erster fair gekletterter Weg im Donautal angesehen wird. Rechts klettert eine Seilschaft ebenfalls am Schaufels die Route „Via Veterano“. Scheint auch ein Weg für mich zu sein 🙂

Das einzige, was ICH bis vor ein paar Wochen über das Donautal wusste, war, dass dort vermutlich die Donau fließt und wohl auch Felsen vorkommen sollten. Mir kam aber nicht im entferntesten in den Sinn, dort klettern zu wollen. In den Wetterstein ist es von Leipzig aus deutlich näher, und da gibt es viel mehr Felspotential. Selbst in die Berchtesgadener Alpen ist es aus der mitteldeutschen Tiefebene nicht weiter als ins Tal der Donau.

Eine spannende Besonderheit des Donautales sind einige Ruinen von uralten Befestigungen und Burgen auf den Kalksteintürmen. Dies hier war mal ein Wohnturm mit einer Unterburg, welcher im 12. Jahrhundert von den Herren von Alt-Gutenstein erbaut wurde. Schon im Jahr 1377 wurde das Anwesen wegen einer Fehde zerstört.

Dann aber kam die Anfrage nach einem persönlichen Klettercoaching von Urs. Urs lebt in einem kleinen Ort nahe des Bodensees. Bei der Recherche nach bodenseenahen Klettergebieten stößt der Suchende zwangsläufig auf das Donautal. Nur schlappe 70 Kilometer sind es von seiner Wohnungstür bis zu den Felsen über der Donau.

Das war die Gelegenheit, diesen Kletterspot dann doch einmal zu besuchen, von dem ich inzwischen gelesen hatte, er sei einer der bedeutendsten Klettergebiete Deutschlands. Da bin ich als Elbsandsteiner doch sofort hellhörig, hat die Sächsische Schweiz doch 1200 Gipfel auf die weit mehr als 15000 Kletterwege führen.

Urs und ich auf dem Gipfel des Stuhlfelsens über unserem Basislager, der Ortschaft Hausen.

Rasch hatte ich Urs diese Möglichkeit fast vor seiner Haustür schmackhaft gemacht, und so staunte ich Anfang September zum ersten Mal darüber, wie schön es im Donautal ist. UND das tatsächlich großartige Felsgestalten hier zu finden sind. Allerdings lediglich 29 die auch beklettert werden dürfen auf etwa 850 Wegen. Dass mit der Bedeutung ist also Ansichtssache, dass mit der Schönheit des Tales und der Großartigkeit der Felsen, die schlagartig große Lust macht, raufzuklettern, nicht. Ich war freudig überrascht.

Die nächste angenehme Überraschung gab es beim erstmaligen Durchblättern des brandneuen Donautal-Kletterführers. Der ist so neu, dass im Vorwort sogar schon das „weltumfassende Corona-Experiment“ seine Erwähnung findet. Aber dazu und zu den vielen anderen interessanten Details im Schwäbischen Grand Canyon mehr im Teil 2.

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8 Antworten

  1. Claudia sagt:

    … na da müssen wir ja auch mal hin 🙂

  2. Gabi Reißner sagt:

    Schwaben würden niemals „Grand Canyon“ sagen.
    Für sie ist das einfach das „Däle“.

  3. Gabi Reißner sagt:

    Es heißt soviel wie „kleines Tal“ und zeigt, dass hier ein wenig untertrieben wird.

    • Olaf Rieck sagt:

      Da muss der „Ausländer“ ja richtig Vokabeln pauken, wenn er den echten Schwaben verstehen will. Es ist ein kleines und wunderschönes Tal, das „Däle“, in dem ich bald wieder klettern möchte. Viele Grüße und danke für die Minilektion.

  4. Felix sagt:

    Herzlichen Dank für den schönen Bericht über unser „Däle“ 😉 …habe mit gestattet, es auf unserer IG Klettern Homepage zu verlinken. Hoffe das ist ok für Dich.

    • Olaf Rieck sagt:

      Das ist sehr okay und ich freue mich, dass dieser Beitrag Euch gefallen hat. Teil 2 folgt heute oder morgen. Der 2. Teil muss sein, weil mal erwähnt werden muss, wie toll in Schuss Ihr Euer Klettergebiet haltet und wieviel Arbeit und Mühe dort investiert wird. Das hat mich schwer beeindruckt!!

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