Klettern auf den Lofoten, Teil 2
Mich zog an den Lofoten nicht allein die Tatsache an, dass der Kletterer hier umgeben wird von über 1000 m hohen Granitriesen und tiefblauen Fjorden mit malerischen Fischerdörfern an ihren Ufern. Die Lofoten haben ohne Zweifel die abwechslungsreichste und großartigste Landschaft zu bieten, in denen sich Kletterer europa- und auch weltweit tummeln können.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum mich die Aussicht faszinierte, auf dieser Inselgruppe, die zwischen 100 und 300 Kilometer nördlich des Polarkreises im Nordatlantik liegt, zu klettern.
Seit 2006, als ich mit der fast 7000 m hohen Ama Dablam in Nepal einen der großartigsten Gipfel der Erde erreichte, versuche ich den einen oder anderen derjenigen Berge zu besteigen, welche immer wieder genannt werden, wenn es um die schönsten geht. Deshalb war ich 2018 mit Uwe Daniel am Südpfeiler des Stetind, welcher zweifellos zu einer der eindrucksvollsten Felsgestalten der Welt gezählt wird.
In dieser mehr als 500 m langen Kletterroute auf den Stetind gibt es kein einziges Stückchen festinstalliertes Metall. Die gesamte Absicherung sowohl beim Klettern selbst als auch an den Ständen, an denen der Sicherungsmann nachgeholt wird, muss selbst gebaut werden.
Nachdem wir beide oben angekommen waren, hatte ich wie nie zuvor das Gefühl, eine Route wirklich auf faire Weise geklettert zu sein. Das war für mich die Art zu klettern, die mir am meisten entsprach. Zwar war ich ja an den Sandsteintürmen der Sächsischen Schweiz sozialisiert und deshalb schon in hunderten von völlig cleanen Routen unterwegs gewesen. Aber eine 500-Meter-Wand auf einen grandiosen Gipfel wie den Stetind, war selbstverständlich ein ganz anderes Kaliber. Diese Art von Glück und Zufriedenheit nach dem Ausstieg aus einer Kletterroute war mir neu.
Unser erstes Kletterziel auf den Lofoten war der Djupfjord-Pillaren (linkes Bild) oberhalb des gleichnamigen Sees. Hier sollte sich eine der schönsten Kletterwege der Lofoten befinden: Die „Bare blabær“ („Nur Blaubeeren“). Sieben bis acht Seillängen, homogen und nicht allzu schwer. Dafür fast komplett von unten bis oben Riss und Rissverschneidung. Nicht gerade mein Spezialgebiet. Aber wenn wir hier einen Blumentopf gewinnen wollten, dann musste ich ganz schnell in dieser Disziplin draufsatteln. Rechts mit einer Seilschaft die unteren zwei Drittel der „Bare blabær“.
Ich lernte, dass alle Klettergebiete rund um den Stetind, und dazu gehören eben auch die Lofoten, praktisch bohrhakenfrei sind. Es gibt also genau hier nahezu unendlich viele Möglichkeiten, zu wiederholen, was wir am Stetind erlebt hatten.
Die Voraussetzung dafür, überhaupt ohne Bohrhaken klettern zu können, ist die Beschaffenheit einer Route. Geklettert wird an natürlichen, mit mobilen Sicherungsmitteln absicherbaren Linien wie eben an Rissen, die mit Klemmkeilen und Friends gesichert werden können. Alles andere wird einfach nicht beklettert. Eine zeitgemäßere Form, sich in der Vertikalen zu bewegen, ist nicht mehr vorstellbar. Sozusagen das genaue Gegenteil des gerade in den Alpen boomenden Klettersteigtourismus.
Die einen verbauen hunderte Tonnen Metall in ihre Felsen, damit buchstäblich jeder Kletterfeeling erleben kann, und die anderen achten streng darauf, dass nicht ein einziger Bohrhaken in ihre Felsen kommt. Mir gefällt das sehr, denn mal abgesehen davon, dass unverbohrter, die Kletterer sagen „cleaner“ Fels schöner aussieht, erlaubt er auch ein wesentlich intensiveres Klettererlebnis.
Die erste Route, die wir uns auserkoren hatten, zählt laut Kletterführer zu den absoluten Topwegen in der Region. Die „Bare blabær“ präsentierte sich in einer perfekten Linie an Finger- und Handrissen sowie endlosen Rissverschneidungen.
Die „Bare blabær“ bietet fulminante Rissklettereien, wie sie in unseren Gefilden kaum zu finden sind, schon gar nicht vollkommen bohrhakenfrei. Hier musste nicht nur auf alle möglichen Arten geklemmt werden. Hier kam auch alles zum Zuge, was ich so an meinem Gurt hatte: diverse Sorten und Größen von Keilen, Hexentrics, Tricams, Friends, Gipsys.
Wir hatten uns für den Anfang genau die richtige Route ausgesucht. Beherrschbar von der Schwierigkeit, gut abzusichern und nicht allzu lang. Die Länge spielt gerade hier keine unerhebliche Rolle, denn das Wetter an Norwegens Küsten kann sehr wechselhaft sein.
Und es ist oft schwierig und äußerst kostspielig, sich aus einer cleanen Route zurückziehen zu müssen. Sei es nun, weil die Wetterprognose mal wieder nicht stimmt oder weil man die Schlüsselstelle einfach nicht klettern kann oder weil die Absicherungen vielleicht doch nicht ein ausreichend gutes Gefühl vermitteln und plötzlich unbeherrschbare Angst aufkommt.
Aus mit Bohrhaken und Ständen abgesicherten Routen kann man buchstäblich bei jedem Wetter und von überall aus der Route Richtung Einstieg flüchten. Aus „cleanen“ Wegen kommt man oft gar nicht mehr runter oder nur unter Verlust der wertvollen Keile und Friends. Die Flucht nach oben ist meistens die einzige Alternative. Deshalb ist die genaue Auswahl der Route, in welcher die Schwierigkeit mit dem Können der Akteure möglichst übereinstimmt, die Auswahl von Menge, Art und Qualität der Sicherungsausrüstung, eine ausreichende Routine in ihrer Handhabung und die Kenntnis des Wetterberichtes enorm wichtig. Und ganz essentiell ist auch das Wissen, wie man wieder runter kommt von seinem Berg, wo das doch über die Aufstiegsroute ganz bestimmt nicht geht!
Gerade diese letztgenannten Aspekte des sogenannten Trad-Kletterns (traditionelles Klettern) kommen mir persönlich sehr entgegen. Denn hier werden Felsen eben nicht zu Sportgeräten degradiert, und sie gehören nicht dir und du kannst nicht mit ihnen machen, was Du willst sondern vielmehr gehörst du ihnen, wenn du einmal eingestiegen bist.
Doch wie schwer es sein kann, selbst seine eigenen, klugen Ratschläge zu befolgen, sollten wir noch erfahren.
Mach nur so weiter, lieber Olaf ! Dann werde ich spätestens ab Teil 5 Deine Newsletter vor Neid abschalten!?
Na dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen um einen fleißigen Leser wie Du es bist. Es gibt nur drei Teile !