Teil 1 – Die Crux mit der Angst

Die einen lieben sie, können ohne sie nicht leben, sind sogar süchtig nach ihr. Die anderen hassen sie, weil sie sich aus ihrem eisernen Würgegriff nicht befreien können und sie ihr gesamtes Leben bestimmt. Jeder kennt sie, jeder hat Erfahrungen mit ihr gesammelt, die so unterschiedlich sind wie die Menschen selbst.

Die Angst klettert immer mit im brüchigen Sandstein an der Elbe. (Foto: Alexander Graeber)

Die Evolution hat sie uns mit auf unseren Weg gegeben, um uns vor Gefahren zu schützen. Sie sei unsere Überlebensversicherung. Doch sie hält sich oft nicht daran. Manchmal überfällt sie uns wie ein wildes Tier selbst dann, wenn gar keine reale Gefahr droht und wir uns dessen auch bewusst sind. Doch unsere analytischen Fähigkeiten helfen uns plötzlich nicht mehr weiter. Sie ist da, und sie schert sich einen Dreck darum, dass wir sie jetzt so gar nicht brauchen, um unser Überleben zu sichern. Sie ist lästig, macht uns schwach, ist sogar gefährlich, wenn sie sich in Panik verwandelt oder uns lähmt. Sie ist ein Tyrann.

„Südwand“ am Dachskopf. Riss mit nur einem Ring. Und an dem bin ich noch lange nicht… (Foto: Jacob Andreas)

Ich sehe diese Art von Angst manchmal in den Augen meiner nachsteigenden Klettergäste. Und dann entdecke ich auch Scham, weil sie wissen, dass ich weiß, dass sie sich sehr wohl bewusst sind, dass es keine reale Gefahr gibt, vor der sie Angst haben müssten. Aber sie ist trotzdem da und deshalb gibt es natürlich auch keinen Grund, sich für sie zu schämen!

Was kann ich tun gegen diese nur scheinbar irrationale Angst, die meinen Klettergästen da unten an meinem Seil zu schaffen macht? Kann ich überhaupt etwas tun?

Es liegt auf der Hand, dass es ein bisschen spät ist, wenn der Kampf gegen diese Angst erst beginnt, während einer in schwindelerregender Höhe am Seil hängt und mit panischer Angst vor dem Fallen partout nicht loslassen will, obwohl sein Seil von oben kommt. Das muss losgehen, wenn alle noch sicheren Boden unter den Füßen haben.

Das Vertrauen zu seinem Sicherungsmann ist das wichtigste beim Klettern. Und dabei ist es egal, ob man vor- oder nachsteigt. Steht da der oder die richtige unten, klettere ich jedenfalls gleich einen Grad besser.

Es gibt drei mächtige Gegenspieler der Angst: Vertrauen, Kompetenz und Routine. Und die schauen wir uns im Folgenden ein wenig näher an.

Der wichtigste Kontrahent der Angst ist das Vertrauen. Das Vertrauen in das Seil, das Sicherungsgerät, den Gurt, in die eigenen Fähigkeiten und natürlich auch in den Sicherungsmann da oben, also in mich. Dieses Vertrauen bei einem Kletter-Neuling in der Vertikalen zu wecken, und nur um die geht es hier gerade, ist die wichtigste Aufgabe eines Kletterlehrers.

Wie also schaffe ich dieses Vertrauen? Ich beginne damit, meinen Klettergästen zu erklären, warum Kletterausrüstung sicher ist, worin der grundlegende Unterschied eines Vor- und Nachstieges liegt, was Reibung zwischen dem Seil und dem Sicherungsgerät bewirkt, welches die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden der Sicherung sind, wie das in der Praxis aussieht und vor allem wie es sich anfühlt. Das alles muss in Bodennähe geschehen und zwar so, dass auch ich irgendwann davon überzeugt bin, dass jeder genau verstanden hat, wie alles funktioniert.

So ein Blick nach unten, 30 m Luft unter dem Hintern und nur ein paar Knotenschlingen in den Riss gestopft, kann einem sehr zu schaffen machen. Hier in der „Violetten Verschneidung“ am Höllenhund.

Dabei entsteht nicht nur Vertrauen sondern langsam auch Widersacher Nr. 2, die Kompetenz. Wenn man weiß wie alles funktioniert, weil man es verstanden hat, dann wird man viel angstfreier sein Leben dieser Ausrüstung anvertrauen können. Gleichzeitig und zwar vor allem wenn wir beginnen, selbst Hand anzulegen, wächst unsere Kompetenz. Wir wissen nun, wie ein Sicherungsgerät arbeitet und können es selber bedienen. Wir beginnen uns in der Vertikalen zu bewegen und werden jetzt auch sicherer im Umgang mit unserem Körper. Wir beginnen Spaß dabei zu haben, die Bewegungsrätsel zu lösen, welche uns der Fels stellt. Wir gehen ganz auf in der Tätigkeit des Kletterns. Jetzt zählt nur noch der nächste Zug und die Angst verliert zuerst an Bedeutung und dann verliert sie mehr und mehr ihren Schrecken und im besten Fall wird der Flow beim Klettern so intensiv, dass wir sie ganz vergessen.

Eine Sanduhr ist besser als keine Sanduhr. Von Vertrauen kann hier allerdings keine Rede mehr sein…

Und je öfter wir das tun, desto größer wird unser Vertrauen und unsere Kompetenz. Und wenn beides mehr und mehr zunimmt, wir also immer sicherer im Umgang mit der Ausrüstung und uns selbst beim Klettern werden, erzeugen wir ganz automatisch den dritten Gegenspieler der Angst, ihren mächtigsten Feind. Dieser Feind ist so wirkungsvoll, dass er weit über das Ziel hinausschießen wird, wenn wir nicht sehr aufpassen!

Ich spreche von der Routine. Sie kann ungewollte oder sogar bedrohliche Ausmaße annehmen wie man an vielen tragischen Beispielen sehen kann. Ich denke da sofort an Kurt Albert oder Ralf Gantzhorn. Hier war ganz viel Vertrauen in sich selbst, die Partner, die Ausrüstung vorhanden, ganz zu schweigen von der ungeheuren Kompetenz. Tausende Male sind sie geklettert, abgeseilt, haben sich und andere gesichert. Sie wussten, dass ihre Ausrüstung hervorragend funktioniert und sehr sicher ist. Die Handgriffe wurden im Schlaf beherrscht, waren automatisiert. Sie waren sehr routiniert bei allem was sie in den Bergen taten. Das ist die wirkungsvollste Waffe gegen die Angst. Doch jeder weiß, wie gefährlich Routine sein kann, gerade weil sie in der Lage ist, die Angst nahezu vollständig zu besiegen.

Wir müssen uns zwingen, dies niemals zu vergessen!

Links im Talweg am Höllenhund (Foto: Jacob Andreas) Der brüchige Sandstein in Rathen ist so ungefähr das unzuverlässigste, was die Felsen dieser Welt zu bieten haben. Trotzdem klettere ich hier besonders gern, weil das Gemisch aus Angst, Mut, Erfahrung und Kompetenz hier in hohem Maße aufregend und erfüllend ist. Rechts klettere ich die „Reißigkante“ am Artariastein im Bielatal. Der Sandstein ist hier viel fester und das Herz schlägt weniger wild um sich. (Foto: Diana Richter)

Doch ich spreche immer noch von Kletterneulingen und nicht von Leuten, die einen großen Teil ihres Lebens am scharfen Ende des Seils verbracht haben. Auch zunehmendes Vertrauen, wachsende Kompetenz und sich langsam einstellende Routine können nicht immer verhindern, dass Angst in einem aufsteigt, wenn die Tiefe an uns saugt und wir uns beim Blick in den Abgrund unweigerlich vorstellen müssen, wie wir am Wandfuß zerschellen. Dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als diese Angst zuzulassen und darauf zu hören, was sie uns mitteilen will. Doch wir müssen auch lernen, sie zu ertragen und sie sogar für unsere Zwecke zu nutzen. Manchmal müssen wir sie aber einfach nur niederkämpfen.

Und das letzte Bild ist das mit der wichtigsten Botschaft. Mut ist ja schön und gut. Aber sie ist eine gefährliche Tugend. Mein erster Versuch im „Frontalangriff“ an der Mittelwand im Bielatal schlug fehl, und ich zog einen Sack auf, wie die Sachsen sagen, wenn sie sich nicht trauen und unverrichteter Dinge wieder runterkommen müssen. Die Angst will einem etwas mitteilen, schrieb ich im Artikel. Hier hat sie mir gesagt: Komm runter du Idiot, sonst landest Du noch im Rollstuhl. Das habe ich dann auch beherzigt. (Foto: Ulf Wogenstein)

Herr über unsere Angst zu bleiben, macht ja den ureigensten Reiz des Kletterns aus. Wir, die wir schon oft am Abgrund des Kontrollverlustes standen, wissen, wie großartig es sich anfühlt, wenn wir unsere Selbstsicherheit zurückerobert hatten, welche Kräfte wir dabei mobilisieren konnten und wie gut wir uns nun fühlen. Wir gehen immer wieder gestärkt aus diesen Erlebnissen hervor. Und genau das ist das eigentliche Ziel unseres Tuns!

zu Teil 2 – Mut, die gefährliche Tugend

zu Teil 3 – Demut

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Eine Antwort

  1. Christian Pech sagt:

    Jeder (erfahrene) Kletterer hat bestimmt schon mal ein Erlebnis gehabt, bei dem durch Routine fast etwas schief gegangen ist. Man hat alles schon tausend mal gemacht, kann jeden Handgriff im Schlaf. Dann ist man einen Moment unachtsam oder abgelengt und schon passiert das, was eigentlich nur den anderen passieren kann. Schließlich ist man ja so erfahren, routiniert. Also immer schön konzentriert bleiben, alles nochmal kontrollieren.
    Am Jäckelfels gibt es ja den Weg „Lohn der Angst“. Vor einiger Zeit gab es da mal einen Beitrag von Biwak. Da konnte man genau nachvollziehen, was du im letzten Absatz geschrieben hast.

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