Aus Fehlern wird man klug! Teil 2
Meine Sicherungsfau, Luisa, sah das Unheil vermutlich kommen. Sie reagierte blitzschnell und holte in den Sekundenbruchteilen meiner Flugphase Seil ein und verkürzte so die Länge meines Sturzes. Trotzdem schlug ich neben ihr auf den Boden auf. Meine Sicherungsfrau hat gut aufgepasst. Aber das ist auch ihr Job. Trotzdem sollte man lieber nicht davon ausgehen, dass Leute so geistesgegenwärtig reagieren können. Glück gehabt. Geradezu riesengroßes Glück hatte ich, dass genau dort, wo ich aufschlug, kein größerer Stein lag. Es sah aus, als hätte die jemand für mich weggeräumt.
Und der dritte glückliche Umstand war meine Sicherung. Sie hatte doch tatsächlich gehalten. Ich war zwar aufgeschlagen aber nicht ungebremst. Die Seildehnung hatte immerhin einen großen Teil der kinetischen Energie meines Sturzes aufgenommen. Das aber hat gereicht, dass ich mir bei diesem Sturz aus etwa acht Metern Höhe eben nicht alle Knochen gebrochen habe. Ich hatte mir das rechte Handgelenk verstaucht, mich am rechten Daumen verletzt, die linke Schulter und mein Becken geprellt und mir ziemlich unangenehme, weil tiefe Abschürfungen an den Händen und am linken Arm zugezogen. Aber das war natürlich alles Peanuts gegen das, was geschehen wäre, wenn ich ungebremst zwischen kuhkopfgroßen Blöcken aufgeschlagen wäre. Die gab es nämlich auch auf diesem Absatz. Mehr Glück als Verstand, würde ich sagen und eine fitte Sicherungsfrau.
Ich stand wohl zum ersten Mal in meinem Leben richtig unter Schock. Zuerst dachte ich, dass ich nun ebenfalls zum ersten Mal in meinem Leben den Helikopter rufen müsste. Doch dann riss ich mich zusammen und kletterte weiter. Schließlich war nichts gebrochen. Und nun beginnt das eigentlich interessante an dieser Geschichte.
Links der Ausschnitt vom Topo aus Mauro Bernardos Kletterführer vom Stand auf dem Absatz oberhalb der Schuppe und der sich anschließenden Seillänge. Rechts das Topo von eben dieser Stelle von einer renommierten Internetseite, auf welcher man Topos herunterladen kann. Man erkennt auf den ersten Blick, woher dieses Topo stammt. Auch andere Topos, die ich fand, sind von Herrn Bernardi abgemalt worden. Bohrhaken habe ich dort oben übrigens nicht gefunden, so wie sie im Topo eingezeichnet sind. Vielleicht habe ich sie übersehen? Doch ich las, dass Sanierungen in dieser Route rückgängig gemacht worden sind. Deshalb könnte es sein, dass sie einfach nur verschwunden sind.
Wieder stand ich vor der Frage, wo es denn nun lang geht. Diesmal stieg ich nicht links sondern rechts vom Stand in die 9. Seillänge ein. An einem gut absicherbaren Riss entlang. Ich hätte unbedingt erkennen MÜSSEN, dass es nur dort entlang gehen kann, schon wegen der Absicherungsmöglichkeit. Und wie zum Beweis steckte ein paar Meter über dem Boden auch ein Normalhaken, den ich zumindest hätte sehen können aber aus irgendwelchen Gründen übersehen habe.
Mein eigentlicher Fehler war also, dass ich zuerst links vom Stand einstieg, weil es im Kletterführer so verzeichnet war. Das stimmt zwar, aber da gab es eben keinen Riss, obwohl der nun eindeutig im Kletterführer verzeichnet ist. Das hätte mich stutzig machen MÜSSEN. Vielleicht hätte ich noch weiter links klettern sollen? Gab es dort einen Riss? Daran erinnere ich mich nicht mehr. Doch das ist auch ganz egal, denn der Riss rechts vom Stand ist bestens absicherbar, gut zu klettern, der Schwierigkeitsgrad 5 stimmt gut mit dem überein, was dort abgerufen wird und es steckte auch noch ein Schlaghaken.
Was lerne ich nun daraus?
Ich sollte in unzähligen abenteuerlichen Routen eigentlich verinnerlicht haben, dass man genau hinschauen muss. Es soll laut Führer deutlich links vom Stand aus gesehen an einem Riss weitergehen. Doch wenn sich dort kein Riss findet? Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man falsch liegt! Vielleicht noch weiter links? Oder womöglich doch rechts, wenn dort, wie in unserem Fall, ein Riss verläuft? Vielleicht haben wir es lediglich mit einem Fehler im Topo zu tun? Oder wurde einfach nur der Stand versetzt? Immerhin ist die letzte Auflage des Kletterführers zehn Jahre alt.
Ich erinnere mich genau. Ich hatte bei meinem ersten Versuch in der 9. Seillänge ein unsicheres Gefühl. Wollte eigentlich wieder runter, als ich nur diese scheinbar windige Ball-Nut-Sicherung legen konnte. Aber ich hätte abklettern müssen, die Sicherung rauspopeln und dachte, eine 5 wird schon irgendwie gehen. Ich war müde. Es war der vorletzte Tag einer sehr anstrengenden zweiwöchigen Tour durch die Dolomiten, in welcher wir fast jeden Tag sowohl körperlich als auch mental recht anstrengende Routen geklettert sind. 69 Seillängen ausschließlich im Vorstieg bis zu diesem Vorfall.
Wenn ich mir meine eigene Fehleranalyse so durchlese, dann sind es vor allem Nachlässigkeiten, die zu der Beinahekatastrophe geführt haben. Ich hätte genauer hinschauen müssen. Ich hätte keinen dynamischen Zug machen dürfen in einer Situation, über einem kleinen Ball-Nut, in welcher Aufschlaggefahr drohte. Ich hätte immer die besser absicherbar erscheinende Möglichkeit wählen müssen, obwohl die schwerer aussah, weil ich Risse nicht besonders schätze. Was nur dumm ist, weil man sie fast immer gut mit mobilen Geräten absichern kann.
Noch einmal diese Situation Revue passieren zu lassen, ist ganz sicher eine sehr wertvolle Sache für mich. Aber ich denke, dass Nachlässigkeit und Bequemlichkeit resultierend aus Müdigkeit, Zeitdruck oder Unvermögen und mangelnder Erfahrung in unserem Metier ganz oft die eigentliche Ursache von Fehlern sind.
Aus Fehlern anderer zu lernen, ist sicher die klügste, weil sicherste und vor allem einfachste Art, sie nicht selbst zu begehen. Nur dazu muss man sie kennen. Doch das setzt voraus, dass wir alle den Mut haben, über unsere Fehler zu reden und anschließend zu überlegen, wie man sie vermeidet. Tut man das nicht, wo immer es sich anbietet, begeht man schon den ersten Fehler.
Lieber Olaf,sooo viel Glück wie du hattest, da kann man Luisa gar nicht genug dafür danken, dein größter Schutzengel überhaupt.
Wie du selbst schon mal richtig gesagt hattest, wenn sich die Routine eingeschlichen hat, dann kann es auch schnell mal gefährlich werden und im schlimmsten Fall kann es auch ganz schnell vorbei sein.
Pass auf dich auf, du möchtest doch ganz bestimmt noch lange fit bleiben und außerdem wirst du von ganz vielen Sportlern noch gebraucht.
Liebe Grüße Ingrid
Mit dem letzten Absatz hast Du vollkommen Recht. Man muss nicht jeden Fehler wiederholen.
Wichtig ist aber auch, dass man sich immer wieder selber hinterfragt. Wie Du das in den beiden Artikeln tust.
Und das macht nicht jeder Kletterer/Bergsteiger. Man kann oft Situationen beobachten, die gerade nochmal gut gegangen sind. Die Beteiligten aber gar nicht merkten, was sie gerade für Mist gemacht haben. Ist alles gut gegangen, also war alles richtig. Die Bereitschaft sich selbstkritisch beim Klettern zu beobachten ist nicht bei allen vorhanden. Ist aber wichtig, um lange möglichst unfallfrei klettern zu gehen.
Allerdings glaube ich, dass nur Leute, die auch bereit sind, sich mit ihren Fehlern auseinanderzusetzen, solche Beiträge lesen und beherzigen.