Aus Fehlern wird man klug? Teil 1

Das stimmt nur, wenn Fehler einen nicht gleich das Leben kosten. In Branchen, in denen Fehler einen womöglich umbringen, ist es besser, wenn man sie vermeidet. Und deshalb ist es auch nicht überraschend, dass kaum eine Branche so intensiv an ihrer Fehlerkultur arbeitet wie die Luftfahrt: Unglücke und Abstürze sind heute so selten wie nie zuvor. Verantwortlich dafür ist neben den sehr sicheren Flugzeugen vor allem ein kluger Umgang mit Fehlern, der im Crew Resource Management (CRM) von Flugzeugbesatzungen geübt wird.

Die drei Zinnen von Nordwesten gesehen.

Während in der Luftfahrt immer eine ganze Kette von menschlichen Fehlern zum Absturz führt, reicht bei uns Kletterern oft ein einziger. Nirgendwo werden Fehler so unmittelbar und unbarmherzig bestraft, wie bei uns. Und doch tun wir uns mit unserem Fehlermanagement häufig noch immer schwer.

Ich war letztens in einer Kletterhalle. Es war proppevoll. Plötzlich ein dumpfer Schlag. Jemand war vom Umlenker 12 m auf den Boden geknallt. Totenstille in der Halle. Der junge Mann lebte, hatte sich aber schwer verletzt. Notärzte kamen innerhalb weniger Minuten.

Nur eine Viertelstunde später, der Verletzte war abtransportiert, hätte niemand an dem Verhalten der Leute in der Halle erkennen können, dass irgendetwas geschehen war. Das ist sicher nichts Ungewöhnliches. So sind wir Menschen nun mal.

Als ich aber unbedingt vom Personal wissen wollte, was denn da nun passiert ist, was für ein Fehler zu dem Absturz geführt hat, wurde man ungehalten. Das ginge mich nichts an. Ich blieb hartnäckig. Selbstverständlich ging mich das was an. Jeden einzelnen in dieser Halle ging das was an. Doch dieser Unfall wurde totgeschwiegen. Kein Aushang, keine Fehleranalyse, nichts.

Auch wenn es kaum zu glauben ist: Der junge Kletterer hatte sich an die wohl einzige Stelle eingebunden, die heute noch an einem Gurt reißen kann, wenn man sie mit dem Gewicht eines Menschen belastet (Pfeil). Sein Einbindeknoten hing noch oben im Umlenker. UND!! sein Sicherungspartner hatte diesen kapitalen Fehler auch nicht bemerkt. Sehr tragisch!

Ich würde mir einen noch viel offensiveren Umgang mit Fehlern wünschen. Doch warum uns das so schwerfällt, kann ich ganz exemplarisch an mir selbst durchexerzieren. Redet man über eigene Fehler, dann wirft das zwangsläufig ein Licht auf unsere Kompetenz. Und die sollte möglichst niemand anzweifeln können. Doch wir müssen uns selbst dazu bringen, ganz offen über die Dinge zu sprechen, die falsch gelaufen sind. Das Problem ist nämlich nicht der Fehler, sondern der nicht entdeckte bzw. totgeschwiegene Fehler. Aus solchen Fehlern kann niemand lernen, er kann immer wieder passieren. Das gilt in der Luftfahrt, beim Klettern, aber auch überall sonst in unserem Leben.

Außerdem ist es für einen selbst sehr hilfreich, noch einmal darüber nachzudenken, wieso und vor allem in welcher Situation man Fehler gemacht hat, wie man sie hätte vermeiden können und sich ganz nebenbei darüber zu freuen, dass man dies überhaupt noch kann! Das wappnet einen hoffentlich für das nächste Mal. 

Mir ist beim Klettern in den Dolomiten ein Fehler passiert, der nur darum glimpflich ausgegangen ist, weil meine Sicherungsfrau auf der Hut war. Wir sind in die „Egger-Sauscheck“ (Toni Egger und Hans Sauscheck 1953), eine klassische Route an der Kleinen Zinne, eingestiegen. Nebenan, in der inzwischen teilsanierten berühmten „Gelben Kante“ (Emilio Comici, 1933) standen ein halbes Dutzend Seilschaften am Einstieg Schlange. Wir waren die Einzigen. Das hat natürlich Gründe. Und nun geht es mit der Fehleranalyse schon los.

Die „Egger-Sauscheck“ in der Südwestwand der Kleinen Zinne.

In den vielfach vorhandenen Tourenberichten kann man ganz Unterschiedliches lesen: Von Bruchhaufen und „Saudreck“ bis „Fels ist von guter Qualität“. Auch der sehr gute Kletterführer von Mauro Bernardi spricht von guter Felsqualität. Es war also wie so oft. Einschätzungen in den Bergen sind häufig extrem subjektiv. Diese Erfahrung mache ich nun schon seit 35 Jahren immer und immer wieder. Was mich vor allem an dieser Route anzog, war die grandiose Linie in der beeindruckenden Südwestwand der Kleinen Zinne. Schon oft hatte ich davorgestanden und die tolle Linie bewundert.

Doch es wurde rasch klar, dass wir uns da eine ernste Tour ausgesucht hatten. Die Griffe und Tritte sollten tatsächlich durchweg als kritisch beurteilt werden. Die vorhandenen Absicherungen sind alte oder uralte Normalhaken in oft atemberaubendem Abstand. Hier muss zwingend vor allem wegen der oft mangelhaften Festigkeit des Gesteins so sorgfältig wie möglich zusätzlich mobil abgesichert werden. Die Schlüsselstelle der Route in der zweiten Seillänge ist aber bestens abgesichert und mit 6+ auch recht gut bewertet. Manche würden ihr auch eine 7- zugestehen.

In der 6. Seillänge geht es dann nach einem ebenfalls recht gut mit Normalhaken abgesicherten Überhang an die riesige Schuppe im mittleren Wandteil. Hier wird es tatsächlich brüchig und die Absicherung ist oft problematisch. In den drei Seillängen an der Schuppe ist sowohl beim Klettern als auch bei der unbedingt notwendigen zusätzlichen Absicherung Konzentration und Sorgfalt gefragt.

Luisa in der 4. Seillänge in leichterem Gelände.

Nach der Schuppe gelangt man auf einen Absatz, etwa zehn Meter lang und anderthalb bis zwei Meter breit. Es ist, als hätte die Kleine Zinne eine Tür einen Spalt breit geöffnet. Wir befanden uns nun ganz oben auf der Türkante und schauten von oben in diesen Spalt, an bzw. in welchem wir gerade hochgeklettert waren. Ein schöner und spektakulärer Ort zum Innehalten, Schauen, Rasten, Essen und Trinken. Und auch bequem, um nach dem Weiterweg zu suchen. Drei Seillängen lagen noch vor uns.

Das Topo der Route, also eine Zeichnung der Route aus dem Kletterführer von Mauro Bernardi, Cortina d´Ampezzo, hatte ich natürlich auf meinem Telefon dabei und schaute sie mir an. Es sollte vom Stand direkt nach links und dann gerade hoch an einem Riss entlanggehen. Schwierigkeitsgrad 5. Ich hielt Ausschau nach irgendwelchen Besteigungsspuren oder einem Schlaghaken, sah aber nichts. Da es von der Kletterschwierigkeit ja einfach sein sollte, machte ich mir fatalerweise nicht so viele Gedanken, sondern kletterte los. Und zwar genauso wie es der Führer vorgab, nämlich etwa zwei bis drei Meter links vom Stand. Doch gab es dort keinen Riss, obwohl er eindeutig im Topo eingezeichnet war. Dies zu ignorieren, war der erste Fehler. Es war Wandkletterei, die kaum vernünftig abzusichern war.

Luisa in der 5. Seillänge noch unterhalb der großen Schuppe.

In etwa vier Metern Höhe setzte ich einen Ball Nut. Das ist eine Chimäre zwischen Klemmgerät und Keil. Das Gerät funktioniert nach dem Schiebekeil-Prinzip. Bei einem Sturz werden die zwei Segmente gegeneinander verschoben und verkeilen sich. Ich hatte kein großes Vertrauen zu dieser Zwischensicherung. Trotzdem kletterte ich weiter. Das war Fehler Nummer zwei. Fieberhaft suchte ich nach weiteren, sinnvollen Sicherungsmöglichkeiten, fand aber keine. Trotzdem kletterte ich weiter und war drauf und dran, meine Zwischensicherung zu übersteigen. Das bedeutet, dass mein Abstand von der Zwischensicherung größer zu werden drohte als der Abstand der Sicherung zu der Plattform auf der Schuppe.

Und dann geschah Fehler Nummer drei. Es ist mir ein Rätsel, wieso ich das gemacht habe. Anstatt so statisch und vorsichtig wie möglich zu klettern, weil ich ja wusste, wie kritisch die Festigkeit des Gesteins hier zu bewerten ist, machte ich den wohl einzigen dynamischen Zug in der ganzen Route. Und genau in diesem Moment hatte ich Pech, denn der Zielgriff brach aus, und ich flog runter.

Ende Teil 1

zum Teil 2

Luisa in der 7. Seillänge. Hier nun schon im mittleren Teil der Riesenschuppe.

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2 Antworten

  1. Erhard Klingner sagt:

    Wie wohltuend und wichtig solche Artikel sind! Mein Lebensmotto: Aus Fehlern kann man lernen! In jedem Alter.
    Bitte weiter so! Und gerne auch gegenseitig bei nebeneinander kletternden Seilschaften in der Halle und Draußen. Übrigens wieder beobachtet: Ein Partnercheck ist nur einer, wenn man ihn wirklich und richtig macht. Erhard 80, alle Fehler überlebt, aber einige tun jetzt noch bissel weh!

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