Neben der Spur

Mit der Artikulation von Gefühlen soll der alte weiße Mann ja Probleme haben. Indianer weinen nicht, war das Credo meiner Erziehung. Und wenn ich doch scheinbar grundlos rumgeheult habe, konnte es schon mal passieren, dass ich eine Schelle bekam, damit ich einen Grund hatte. Geschadet hat mir das ganz sicher nicht!

Gerade aber am Ende des wichtigsten Tages dieser Reise bin ich randvoll mit Gefühlen. Und da Mann (auch) über seine Gefühle reden, sie rauslassen soll, tue ich das.

Der wichtigste Tag dieser Expedition war der Tag heute (12.08.). Wir sind nach acht langen und sehr anstrengenden Tagen weit oben am Berg vom Lager 2 ins Basislager abgestiegen. Und leider geschehen 80 Prozent aller Unfälle bei Bergbesteigungen auf dem Weg nach unten.
Lange Querungen lagen vor uns, die wegen dieser enormen Wärme, welche hier nach wie vor herrscht, kaum verlässlich abzusichern sind.

Es ist schwer zu beschreiben, wie sehr die Verantwortung auf einem lastet, die man für zehn Leute bei einem solchen Unternehmen hat. Ich habe mich ständig gefragt, warum ich mir das auf der Zielgeraden eigentlich ganz freiwillig angetan habe.
Ich hatte Nacht für Nacht Alpträume, sah ständig jemanden irgendwo abstürzen, in Spalten verschwinden oder Fixpunkte ausbrechen. Und Max, meinem großartigen und sehr starken Co-Guide, ging es ganz genauso.

Riesige Rucksäcke beim Abstieg ins Basislager. Wie haben wir das alles nur nach oben bekommen? Was für eine starkes Team ich doch habe!

Wie schon an den Tagen zuvor war die Nacht kurz. Ich sagte es schon in einem früheren Beitrag, dass es ein Fehler sei, an diesem Berg auszuschlafen. Also begannen wir um 3.00 Uhr morgens mit dem Kochen und dem Abbau des Lagers.

Auch wenn es bis auf 5500 m, so hoch liegt Lager 2, selbst in der Nacht kaum Minusgrade gibt, ist der tagsüber oft grundlos weiche Schnee in der Nacht deutlich fester. Das spart viel Kraft und Nerven. Oft ist die Spur vollkommen zertreten und die Fußabdrücke einen halben Meter tief. Doch wenn man zeitig genug losgeht, gibt es die Chance, noch ein oder zwei Stunden neben der Spur gehen zu können und eben nicht einzubrechen.

Warum das die anderen Mannschaften hier so gut wie niemals tun, wird mir ein Rätsel bleiben. Vermutlich ist es einfach nur Bequemlichkeit. Denn jeden einzelnen Tag mitten in der Nacht aufzustehen, ist auf die Dauer sehr quälerisch. Und 3.00 Uhr morgens war für uns sogar spät. An einem Tag haben wir schon um 22.00 Uhr mit dem Kochen begonnen.

Doch es lief alles wie am Schnürchen an diesem Abstiegstag heute. Ich hatte an einer Blankeisquerung ein 60 m langes Geländerseil mit acht Eisschrauben befestigt. An einer anderen Stelle installierte ich ein fast vollständig unbrauchbar gewordenes Fixseil neu. Außerdem sind meine Gäste inzwischen nach tagelangen Auf- und Abstiegen in Schnee, Firn und Eis sehr geübt im Umgang mit Pickel und Steigeisen.

Schon nach etwas mehr als drei Stunden war Lager 1 erreicht. Hier trafen wir auf Ehsan und Asad von unserer Küchencrew sowie Helmut, die uns beim Abbau von Lager 1 und beim Lasten tragen helfen wollten.
Als wir nach weiteren anderthalb Stunden Abstieg mit riesigen Lasten auf dem Rücken im Basislager eintrafen, gab es einen herzlichen Empfang durch unsere Basislagercrew. Die Freude der Leute erscheint mir tatsächlich echt, wissen sie doch ganz genau, was es für sie und ihren Arbeitgeber heißt, wenn etwas passiert.

Unsere pakistanischen Freunde freuten sich wie kleine Kinder über unsere gesunde Rückkehr und behängten uns mit Girlanden.

Nun ist dieser wichtigste Tag unserer Reise vorbei, und ich fühle mich so frei und unbeschwert und vor allem dankbar, wie selten zuvor in meinem Leben. Danken muss ich vor allem Max, der sich in einer Weise für diese Gruppe aufgeopfert hat, die ich niemals erwarten konnte. Dazu natürlich später mehr. Und das gilt genauso für Sven. Er war KEIN Co-Guide und hat dennoch für das große Ziel wie ein Löwe gekämpft und unglaublich viel für die Gruppe geleistet.

Und natürlich muss ich auch allen anderen danken. Wir sind die einzigen, die dem Spantik fair gegenüber getreten sind. Wir sind an diesem Berg echte Exoten. Und weil wir uns dafür entschieden haben, alles selbst zu tragen, die Lager selbst einzurichten und auch die Fixseile selbst zu verlegen, ist das alles hier für uns so wahnsinnig anstrengend gewesen. Das ist nicht jedermanns Sache. Man kann es auch viel leichter haben, mit Hochträgern, die einem alles anstrengende abnehmen.

Meine Gäste haben diese Herausforderung angenommen und sie auf eine Weise gemeistert, die ich gar nicht hoch genug achten kann. Vielen Dank dafür! Ich bin sehr stolz auf Euch alle.

Wir haben die Geschichte vom Spantik also von hinten angefangen. In den nächsten Tagen werde ich versuchen, sie Stück für Stück der Reihe nach zu erzählen.

Zum nächsten Artikel „Ich wollt, ich wär ein Huhn“

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2 Antworten

  1. Kai Bittner sagt:

    Wir sind sehr gespannt…freuen uns aber erstmal …dass alle wieder gesund im Basecamp angekommen sind. Und ja Olaf…diese Verantwortung zu schultern finde ich persönlich als die größte Leistung…das ist echt der Wahnsinn…wäre undenkbar für mich…die Befreiung welche Dich erfahren haben muss…als Ihr alle wieder unten wart… ist förmlich greifbar…In der Tat kann man sich fragen…warum tut er sich das noch an?…Du wirst die Antwort kennen…BergHeil…und Alles Gute für die Heimreise.
    PS: Ob es einen Gipfelerfolg gab…erfahren wir ja erst noch.

  2. Jana sagt:

    Ja endlich! Wie auf Kohlen sitzt man im heißen Deutschland und wartet ungeduldig drauf, ein Lebenszeichen zu bekommen und zu hören, dass es allen gut geht. Auch hier in der Ferne zittert man mit, besonders nach dem Foto im letzten Beitrag. 🙈 Dieser Schnee sah einfach nicht vertrauenserweckend aus und weiß wovon ich spreche, bin ich doch vor vielen Jahren am Weißhorn samt Gipfelgrat abgestürzt. Bei ähnlichen Verhältnissen.
    Umso schöner euch alle wohlbehalten wieder unten zu wissen. Bin auf die Tage am Berg gespannt!!!

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