Spantik-Fazit
Es ist Samstag, der 02. Dezember 2022, 8 Uhr morgens. Das Wetter draußen ist grau und das Straßenbild geprägt von Schneeregen. Ich sitze mit Max und Olaf am Frühstückstisch und beobachte den Dampf, der aus meiner Kaffeetasse aufsteigt, während die beiden über einen Berg diskutieren, dessen Name für mich wie eine Mischung aus „Spandex“ und „Sputnik“ klingt. Meine Müdigkeit wird mit Langeweile verwechselt, und so kommt es schließlich zu einer Unterhaltung, welche die nächsten 1,5 Jahre meines Lebens bestimmen und verändern wird.
Max: „Entschuldige bitte, dass wir die ganze Zeit von dieser Expedition reden.“
Ich: „Redet ruhig weiter, ich finde das total spannend. Vielleicht kann ich ja selbst eines Tages mal eine solche Reise machen.“
Olaf: „…na dann komm doch einfach mit!“ Seit dieser Geburtsstunde der Spantik-Expedition ist viel Zeit vergangen. Es wurde geplant, umgeplant, verworfen, neu geplant. Ausrüstung wurde geprüft, repariert, neu gekauft, angepasst. Trainingspläne wurden geschrieben, befolgt oder nicht befolgt. Riesige Einkaufswagen wurden durch einen bekannten Großhandelssupermarkt geschoben und Ausrüstungstonnen mit vielen Kilo essbarem gefüllt.
Es ist schier unglaublich und ziemlich beeindruckend, wie viel Zeit, Geld und Mühe in so ein Unterfangen gesteckt wird. Und zwar teilweise mehrere Jahre, bevor es überhaupt losgehen soll!
Währenddessen wuchs unsere Gruppe immer weiter, bis schließlich das tolle Team zusammengestellt war, mit dem ich am 22. Juli in unser Abenteuer aufbrechen durfte. Vom absoluten Anfänger bis zum Vollprofi mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung, vom Eiskletterer über den Hochtourengeher bis hin zum „Steigeisen – was ist das eigentlich genau?“-Kandidaten war alles dabei. Dieser unterschiedliche Erfahrungsschatz ist ganz sicher einer der Aspekte, der unsere Gruppe so spannend gemacht hat.
Als absolute Anfängerin habe ich mir vorgenommen, so viel über das Bergsteigen zu lernen, wie es irgendwie geht, die Natur zu genießen und ansonsten keine Erwartungen zu haben. Was soll ich sagen? All meine Erwartungen (die ich natürlich trotzdem hatte) wurden übertroffen.
Die Natur in dieser Region der Erde kann man nur mit gesteigerten Adjektiven beschreiben: Alles ist größer, schöner, beeindruckender als anderswo. Ich habe unzählige Male versucht, meine Eindrücke zu fotografieren, und trotzdem waren die Bilder im Vergleich stets unbefriedigend. Im Basislager und ringsherum wuchsen Blumen, die ich so noch nie gesehen hatte. Die Esel waren sehr niedlich und die Gletscher(ab)flüsse gigantisch. Weiter oben haben die schieren Massen an Schnee und Eis mich zum Staunen gebracht, und die umliegende Bergwelt hat mir viel Respekt abgenötigt.
Auch die Leistungen, die wir erbringen mussten und erbracht haben waren außergewöhnlich: Schwere Rucksäcke mit Ausrüstung, schwere Stiefel mit schweren Steigeisen, viele Stunden lang durch den tiefen Schnee, und das meist dick eingepackt bei unangenehmer Kälte oder Hitze. Am allermeisten haben mich aber Olaf und Max beeindruckt, die stets mit einer unglaublichen Ruhe die Kontrolle und den Überblick behalten haben, wenn sie mit einer großen Gruppe zwischen den Hochlagern unterwegs waren und nicht weniger als unser Leben auf dem Spiel stand.
Leider wurden auch meine negativen Erwartungen übertroffen: Die erste Woche war ich durchgängig krank, zunächst mit einem Husten, der mich und jedes auditiv begabte Wesen in meinem Umfeld die ganze Nacht wachgehalten hat. Dann nistete sich ein sehr nachdrücklicher Keim ein, so dass unser Arzt anzweifelte, ob ich es überhaupt bis ins Basislager schaffen würde. Während der gesamten Reise waren regelmäßig 1-2 Personen krank, und wir waren zutiefst beeindruckt, dass unsere pakistantische Crew von den Hunza Guides offenbar immer wohlauf und guter Laune war.
Und so starteten wir bei unseren ersten Aufstiegen zum Einrichten der Lager gewissermaßen unter erschwerten Bedingungen. Trotzdem haben wir alle tapfer gekämpft, um unsere Lasten zu tragen, die Lager einzurichten, die Akklimationsaufstiege zu meistern. Sven, Max und Olaf haben das fast unmögliche vollbracht, sind vor uns aufgestiegen und haben die Fixseile verlegt. Trotz härter werdenden Bedingungen haben wir zusammengehalten und uns unsere gute Laune bewahrt.
Am „Tag der Tage“ habe ich mich dann freiwillig entschieden, keinen Gipfelversuch zu unternehmen. Mehrere Leute aus unserem Team waren krank, wir alle hatten zwei Nächte in Folge nur 2-3 Stunden geschlafen, und ein alter Hase unter den Spantik-Bergführern einer anderen Gruppe berichtete uns, dass es 9 Stunden dauern würde, den Gipfel zu erreichen. (Und nochmal halb so lange hinunter.) Kurz gesagt: Es erschien mir alles andere als vernünftig, ohne einen Ruhetag im Lager 3 zum Gipfel aufzubrechen.
Und so sind nachts nur 8 von 9 Personen vom Lager 3 in Richtung Gipfel aufgebrochen. Ich habe meine Freunde verabschiedet, erholsam geschlafen und bei Sonnenaufgang eine Tasse Kaffee genossen, während ich die Bergwelt um mich herum bewundert habe. Anschließend trudelten die Gipfelaspiranten und Gipfelhelden ein und bekamen von mir ebenfalls heiße Getränke.
Ob ich traurig bin, nicht auf dem Gipfel gewesen zu sein? Ob ich meine Entscheidung bereue? Die Antwort lautet in beiden Fällen: Nein. Ein Mitglied unserer Expedition, das schon auf vielen Gipfeln stand, sagte zu diesem Thema: „Der Gipfeltag ist eigentlich das unspektakulärste an der ganzen Reise. Man läuft mehrere Stunden frierend durch die Nacht, ohne etwas von der grandiosen Natur ringsherum sehen zu können. Dann macht man 10 Minuten lang Selfies auf dem Gipfel, bevor man vollkommen erschöpft wieder herunter stolpert.“
Und während ich mir sicher bin, dass es bei 11 Personen 11 verschiedene Meinungen gibt, kann ich für mich persönlich ganz klar sagen: Ich habe nicht das Gefühl, etwas entscheidendes verpasst zu haben.
Die großen Highlights unserer Reise haben wir alle gemeinsam oder fast alle gemeinsam erlebt: Der Trek zum Basislager am Rand des beeindruckendsten Gletschers, den ich je gesehen habe. Die gute Stimmung, die Geburtstagsfeiern, die geselligen Abende und die Kameradschaft in unserem Basislager.
Und dann die schier endlosen Wege von einem Lager zum anderen, bei denen wir uns gegenseitig aus dem Schnee ausgegraben haben, wenn jemand zu tief einbrach, um allein wieder herauszukommen. Die Eisflanken, an denen wir mit den anderen mitgefiebert haben, wenn sie vor uns am Geländerseil entlanggegangen oder sogar hineingefallen sind. Der steile, unglaublich lange Aufstieg am Fixseil, bei dem wir uns gegenseitig motiviert und Mut zugesprochen haben. Die ausgelassene Stimmung, als jemand auf die Idee kam, in den Hochlagern Bänke und einen Tisch zu graben – unsere „Bar“, an der wir sitzen konnten. Oder auch unser Ausflug zu den „heißen Quellen“, bei dem wir mit 9 Leuten auf der Ladefläche eines Jeeps mitgefahren sind und dann eine halbe Stunde pausieren mussten, weil das Auto vor uns bei voller Fahrt einen Reifen verloren hat.
All das hat uns zusammengeschweißt und uns gezeigt, dass es oft nur als Team geht, egal, ob man den anderen nun aus dem Schnee ausgräbt oder ihn einfach nur mit etwas Humor über eine schwierige Situation hinwegtröstet. An diese Momente werde ich zurückdenken, wenn ich in Zukunft von unserer Reise berichte.
Und an diese Momente werde ich denken, wenn die nächste Expedition in den Startlöchern steht und jemand sagt: „…na dann komm doch einfach mit!“
Text: Luisa Kurowski, Bilder+ Bildlegenden: Olaf Rieck
zu den anderen Blogbeiträgen der Reise zum Spantik:
Was für ein schönes Fazit, Luisa! Da bekommt man doch glatt wieder Fernweh – wie so oft beim Lesen dieses Blogs in den letzten Wochen. Danke für das Teilhaben-Lassen, Olaf.
Das zu lesen ist einfach schön und weckt die Sehnsucht.
Wohl nur auf ebenso großartige Berichte von den nächsten Expeditionen oder Touren.
Danke Luisa und Olaf fürs Teilhaben