Rückblick 2024, Teil 1

Irgendwie passt in diesem vergangenen Jahr etwas nicht zusammen. Und ich brauche auch nicht lange zu überlegen, was das ist. Ich bin soviel und vor allem so intensiv unterwegs gewesen, wie noch in keinem anderen zuvor seit ich mich im Jahr 2000 als Mountainguide, Alpinist und Vortragsredner selbstständig gemacht habe. Und ich bin 60 geworden.

Letzteres macht mir zu schaffen. Natürlich auch diese unerquickliche Zahl. Aber vielmehr ist es die Tatsache, dass ich nun immer mehr Tribut zollen muss für das, was ich tue. Wenn ein Motor nicht mehr rund läuft, wird der Verschleiß umso größer sein. Meine Lebensgefährtin hat das auf den Punkt gebracht. Sie bat mich, doch bitte noch etwas von mir für sie übrig zu lassen. Das beschäftigt mich, seitdem sie das gesagt hat, denn das will ich unbedingt.

Meine Geburtstagsgäste! Und gefeiert wurde nicht ich, sondern ich habe meine Gäste gefeiert, weil sie sehr dazu beigetragen haben, dass es mir gut geht und ich gemeinsam mit ihnen so viel erleben durfte.

Doch dieses Jahr war nun wirklich nicht dazu geeignet, dieser Bitte zu entsprechen. Ganz im Gegenteil. Alles hat eben seine zwei Seiten. Auf der einen Freiheit, Selbstbestimmung und ein zunehmender Schatz an großartigen Erlebnissen und Erfahrungen, aber auch an Menschen, die auf den gemeinsamen Touren von Klienten zu Freunden geworden sind.

Auf der anderen Seite die Schmerzen, welche sich einfach nicht mehr verjagen lassen. Ich kann meine eigenen Ansprüche nicht mehr erfüllen. Irgendwann merken das auch die anderen. Hoffentlich nicht schon im kommenden Jahr, denn das sieht  beim Blick in meinen Terminkalender nicht viel anders aus, als das gerade vergangene. Und wenn jemand fragen sollte, warum ich daran nichts ändere, so kommt hier gleich die Antwort: Von irgendwas muss man ja leben. Von Bürgergeld jedenfalls nicht, da werde ich lieber zum Solo-Kletterer.

Bernd und ich in der Brunntaler Eisarena. (Foto: Bernd Weimann)

Na gut, das fiel mir zu 2024 als erstes ein. Das nächste waren die zwei intensiven Wochen gleich am Jahresbeginn mit Susan und Bernd beim Eisklettern in den Hohen Tauern.

Das Eisklettern ist inzwischen seit vielen Jahren ein fester Bestandteil eines jeden Frühjahres, denn das Eisklettern boomt. Zwar ist es nach wie vor die Bergsportdisziplin, welche statistisch gesehen die wenigsten Anhänger hat. Ich allerdings merke das nicht. Und vermutlich wäre ich noch öfter in den Eisrinnen der Hohen Tauern unterwegs, wenn meine Nepaltouren nicht schon im Februar begännen.

Seit nun schon 26 Jahren führe ich Jahr für Jahr Gruppen in meiner zweiten Heimat. Mir würde wirklich etwas fehlen. Und zwar nicht nur, weil ich über die vielen Jahre so eine Art Heimatgefühl für diese Himalaya-Region entwickelt habe. Alles ist mir so vertraut. Geschäftspartner sind inzwischen zu engen Freunden geworden, wie Te Kumar, mein langjähriger Co-Guide oder Mingmar und sein Sohn Ang Nuru, die beiden Chefs meiner Partneragentur oder meine Freundin Lakpa und ihre Familie in Namche Basar.

Wie immer sehr herzlich, der Abschied im April von Lakpa und ihrem Sohn Rinji Norbu in dem kleinen Laden, von dem die sechsköpfige Familie lebt.

Insgesamt acht Wochen war ich mit meinen beiden Gruppen unterwegs.

Die erste Tour startete in Lumsa, dem Heimatdorf von Mingmar. Sie führte uns über den Pikey Peak, Junbesi und Kharikola nach Namche Basar und weiter in alle vier Khumbutäler. Dabei standen mit dem Renjo und dem Cho La auch noch zwei fast fünfeinhalbtausend Meter hohe Pässe auf dem anspruchsvollen Programm. Wirklich eine Traumtour, aber durch die vielen Höhenmeter und die weiten Wege sicher nichts für Trekkinganfänger.

Meine erste Gruppe auf dem fast 5400 m hohen Cho La- (Pass), dem Übergang vom Ngozumba Tal in das Khumbutal, wo sich das Basislager des Mount Everest befindet.

Die zweite Tour war dann der klassische Trek durch alle vier Khumbutäler, welche regelmäßig nach einem spektakulären Flug entlang der hohen Himalayakette Richtung Osten in Lukla startet. Ich genieße diese alljährlichen Reisen mit meinen Gästen außerordentlich, habe ich doch immer das Gefühl, etwas sehr sinnvolles zu tun.

Ich zeige ihnen meine zweite Heimat, die nicht zufällig die spektakulärste Gebirgsregion der Erde ist und verschaffe ihnen eine besonders hohe Qualität des Erlebens, denn die Erlebnisdichte ist bei unseren Trekkingtouren durch die Everest-Region enorm groß. Jeden Tag ein anderer grandioser Bergblick, eine neue Begegnung mit außergewöhnlichen Menschen und oft auch mit sich selbst. Denn das Khumbu ist ein Ort, wo die Chance besteht, eine neue Perspektive einzunehmen beim Blick auf die Dinge des Lebens in der Ebene.

Ich kann mich nicht sattsehen und -fotografieren an den blauen Eistürmen des oberen Khumbugletschers.

Das ist das eigentlich besondere auf dieser Tour. Doch dafür muss man loslassen können, sich ganz den Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen widmen, welche die grandiose Landschaft und die darin lebenden Menschen zu bieten haben. Doch leider wird das im Zeitalter der allgegenwärtigen Kommunikation zunehmend schwierig und für immer mehr meiner Gäste sogar gänzlich unmöglich. Dem zuzusehen, schmerzt manchmal schon sehr.

Mitte  April war ich wieder im Lande und nun galt es, rasch den Rückstand bei meiner Kletterfitness wettzumachen. Vier Monate hatte ich keinen Griff mehr angefasst und der erste Kurs stand vor der Tür. Es macht keinen guten Eindruck, wenn der Klettergast besser klettert als ich. Also ging es in jeder freien Minute raus an die Felsen: Greifensteine, Wolkenstein, Katzensteine, Elbtal waren die Stationen auf dem Weg zum ersten Kurs mit Patrick im Mai. Mit ihm gemeinsam unterwegs zu sein, ist immer eine Herausforderung, denn er ist ein Naturtalent.

Patrick und ich an den Rathener Höllenhunden im Mai.

Das war aber nur der Auftakt für eine sehr intensive vertikale Zeit in der zweiten Maihälfte und im Juni. Fast jede Woche ging es raus an die Felsen: Schlingenkurs, Vorstiegskurs oder mein Lieblingskurs im Gneis des Erzgebirges, wo ich meinen Gästen zeige, wie man sich mobil mit Keilen und Friends in bohrhakenfreien Routen im Vorstieg absichert. Doch muss ich zugeben, dass ich im Kopf oft gar nicht richtig bei der Sache war während meiner Bemühungen, wieder die Vorjahressommerendfitness im Klettern zu erreichen. Ich ließ mich zunehmend ablenken durch die Gedanken an den bevorstehenden Jahreshöhepunkt. Doch dazu mehr im zweiten Teil.

Schlingenkurs im brüchigen Rathener Sandstein. Adrian fädelt hier unter schon ziemlich realen Bedingungen eine knifflige Sanduhr. Das kostet ganz schön viel Körner, die dann bei einem echten Vorstieg weiter oben womöglich fehlen…

Ende Teil 1

 

 

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