Das Ziel ist alles? Teil 1
Vor einiger Zeit fragte mich ein Zuhörer nach einem Vortrag, was mich denn für ein Teufel reiten würde, dass ich freiwillig Dinge tue, die immer extrem strapaziös, immer langwierig, immer sehr teuer und meistens auch noch gefährlich sind. Es war nicht die klassische Frage nach dem „Warum“ im allgemeinen. Er wollte meiner innersten Triebkraft nachspüren.
Warum dieses Gebirge, dieser Berg, genau diese Route? Welche Bedeutung hat gerade die Auswahl eines ganz bestimmten Projektes? Meine Antworten waren ihm zu unpräzise. Aber er ließ nicht locker. Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden hatte, was er von mir wollte. Und als mir dann ein Licht aufging, war die Idee zu diesem Text geboren.
Am Anfang ist das Ziel, eine Anleihe von ganz prominenter Stelle. (Johannes Evangelium Kap. 1) Unser Ziel muss in uns Begeisterung und Leidenschaft wecken können, die Triebkräfte also, welche uns alle Strapazen ertragen lassen, die so ein Eisriese im Himalaya oder ein Granitgigant in Patagonien für uns bereit hält.
Das selbst gesteckte Ziel hat für uns also einen alles überragenden Stellenwert. Es muss die Kraft besitzen, auf uns über die oft jahrelange Vorbereitung eine gleichbleibende Anziehung auszuüben. Wenn unser Ziel das nicht leisten kann, dann sind wir schon zum Scheitern verurteilt, bevor wir überhaupt aufgebrochen sind.
Das heisst also, nur wenn ein Ziel Emotionen auslösen kann, wird dieses extrem starke Verlangen aufkommen. Nur dann werden wir seinem Sog nicht mehr entrinnen können. Nur dann wird Begeisterung und Leidenschaft unser Handeln bestimmen. Und nur dann wird Erfolg möglich.
Ziele können also über die emotionale Ebene eine enorme Macht auf uns ausüben. Das hat aber tiefgreifende Konsequenzen für uns. Durchgeschüttelt von unseren starken Gefühlen wandeln wir auf einem sehr schmalen Grat. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.
Bildlegende: Noch viel aufwendiger war die Vorbereitung auf den Monte Sarmiento in Feuerland. Um zu dem extrem abgelegenen und sehr schwer erreichbaren Berg zu kommen, entschieden wir uns für die Anreise per Kajak. Aus finanziellen Gründen hatten wir gar keine andere Wahl. Über ein Jahr lang bereiteten sich Falk und ich auf die Anreise zu unserem Ziel vor. Unter anderem in der Seekajakschule von Peter Nicolai. Hier lernten wir nach einer unfreiwilligen Kenterung wieder zurück ins Boot zu kommen.
Ist etwas vorstellbar, wo ein Ziel klarer definiert ist, als der Gipfel eines Berges? Einfacher könnte die Metapher für Erfolg aber ebenso für das Scheitern nicht mehr sein. Waren wir oben, dann haben wir gesiegt, etwas erobert, über einen Gegner triumphiert. Waren wir nicht oben, dann haben verloren. So einfach ist das.
Ein nicht erreichter Gipfel zählt nicht, auch wenn wir nur wenige Meter unter ihm umkehren mussten. Und ohne ihn war im Grunde alles umsonst: Das wochenlange Lastenschleppen für die Hochlager, die Qual des Aufstieges in der Todeszone, die Angst in den schwierigen Passagen, das jahrelange Training und nicht zuletzt das viele Geld und die vergeudeten Monate.
Ausserdem werden ohne Gipfel die Erwartungen von Fans und Sponsoren enttäuscht. Es sind also keineswegs nur unsere Emotionen, die uns vorwärts treiben. Wir sind regelrecht zum Erfolg verurteilt, weil man ihn so glasklar definieren kann. Auch aus diesem Grund ist die Zielorientiertheit von Alpinisten so extrem hoch und der Grat auf dem wir unterwegs sind so schmal.
Denn die Triebkräfte, welche aus diesen beiden Ursachen resultieren, also Erfolgsdruck einerseits und die starken Gefühle, welche unsere Ziele in uns auslösen auf der anderen Seite, sind nicht selten ungeheuerlich! So ungeheuerlich, dass sie auch ganz schnell bis zur Selbstzerstörung führen können.
Wir haben es nicht zu letzt deshalb mit einer ausserordentlich ernsthaften Sportart zu tun, die oft genug auch von den Akteuren selbst schwer unterschätzt wird. Viele sind sich über die furchtbaren Konsequenzen von Fehlern einfach nicht im Klaren. Ich habe dafür Beispiele erlebt, die mich bis heute fassungslos machen. Und zwar nicht nur bei anderen, sondern leider auch bei mir selbst.
Das Bild unten zeigt den gegenwärtigen Zustand von meinem linken Fuss. Aber so etwas hat natürlich auch sein Gutes. Denn seit diesem Absturz werde ich bei jedem einzelnen Schritt daran erinnert, dass man in den Bergen gefälligst vorsichtig zu sein hat. Mein schmerzender Fuss hält mich nämlich dazu an, mir ganz genau zu überlegen, was ich da gerade tue, warum ich es tue und wie es um die Qualität des nächsten Schrittes bestellt ist.
Ein richtig krasses Beispiel für die zerstörerische Kraft, welche selbstgesteckte Ziele auslösen können, und das mich bis heute beschäftigt, ist die Begegnung mit spanischen Bergsteigern am Cho Oyu.
Doch dazu mehr in Teil 2