Nepals größter Gletscher
Am vergangenen Dienstag (11.03.) gab es für mich wieder einmal eine verblüffende Erkenntnis. Wir sind von der Gokyo-Alm nach Dragnag aufgebrochen, um von dort aus den Cho La-Pass (5420 m) in Angriff zu nehmen . Der kürzeste Weg dorthin führt über den Ngozumba-Gletscher.

Die ersten Schritte in Richtung Ngozumba-Gletscher und Dragnag. Im Hintergrund der Cho Oyu und die Gokyo Alm mit den Lodgen.
Ich fand die zwei Stunden über den Gletscher bisher ehrlich gesagt nicht besonders spannend. Vermutlich, weil ich das schon dutzende Male gemacht habe. Auch bin ich schon häufig den Baltoro-Gletscher in Pakistan hoch und auch runter gelaufen. Und der ist 60 Kilometer lang.
Und nun habe ich gelernt, dass dieser Tag, an dem wir den Ngozumba überqueren, für viele meiner Gäste zu einem der aufregendsten und spannendsten Erlebnisse der ganzen Reise werden kann. Umso besser.

Der Abstieg auf den Gletscher ist immer ein bisschen heikel. Loses, absturzbereites Geröll erfordert höchste Aufmerksamkeit.
Diese Gletscherüberquerung ist technisch gar kein Problem. Aber der Ngozumba selbst ist beileibe nicht irgendein Gletscher. ER ist der größte Gletscher Nepals. Über 30 Kilometer misst er in der Länge. Im unteren Teil ist er zirka 1,5 Kilometer breit (oben im Nährgebiet allerdings deutlich breiter). Seine Fläche wird mit rund 60 Quadratkilometern angegeben.
Der Ngozumba ist ein klassischer Talgletscher. Sein Nährgebiet sind die gewaltigen Südostabstürze von Cho Oyu (8201 m) und Gyachung Kang (7952 m).

Die Bedeckung des Gletschers mit Geröll ist schon ziemlich massiv. Aber dass sich Eis darunter befindet, ist an manchen Stellen nicht zu übersehen.
Seine Fließgeschwindigkeit beträgt 36 m pro Jahr, allerdings fließt nur der obere Teil des Gletschers, der untere, genauer gesagt die letzten 6,5 Kilometer zeigen keine Bewegung mehr. Das ist das sogenannte Zehrgebiet.
Der untere Teil ist sehr stark von Sedimenten bedeckt, wodurch das Abschmelzen deutlich verlangsamt wird und der Gletscher deshalb auch weiter talwärts reicht als er ohne diese Auflage reichen würde.

Hier schauen wir vom Gipfel des Gokyo Ri auf den unteren Teil des Ngozumba-Gletschers mit unserer ungefähren Route über das Eis.
Ob ein Gletscher schrumpft, wächst oder weder zu- noch abnimmt, also stagniert, wird durch die sogenannte Equilibrium Line Altitude (ELA) bestimmt.
Diese Linie ist die Grenze zwischen der sogenannten Akkumulationszone, also dem Bereich in welchem der Gletscher wächst, weil mehr Schnee und Eis hinzu kommt als abschmelzen kann, und der Ablationszone. Das ist der Teil des Gletschers, wo er an Volumen verliert, weil mehr Material abschmilzt als durch Niederschläge oder Lawinen hinzukommen.

Es geht permanent hoch und runter und kreuz und quer über den Gletscher. Wir suchen uns den einfachsten und sichersten Weg.
Die ELA ist ein gut bestimmbarer Gratmesser dafür, ob ein Gletscher im Rückgang begriffen ist oder wächst.
Am Ngozumba verschiebt sich die ELA seit vielen Jahren immer weiter nach oben, das heißt, der Ngozumba schrumpft. Pro Jahr verliert er gegenwärtig etwa 1 m an Länge. Auch an Mächtigkeit büßt der Ngozumba seit vielen Jahren ein.

Man glaubt es kaum, aber der Ngozumba hat auch Bewohner. Dieses Foto habe ich mitten auf dem Gletscher aufgenommen. Es zeigt einen sehr zutraulichen Himalayan-Pika. Im Deutschen wird er als Himalaya-Pfeifhase bezeichnet. Der Himalaya-Pfeifhase wurde als eigenständige Art den Pfeifhasen (Gattung Ochotona) zugeordnet. Über seine Lebensweise weiß man sehr wenig. Er ernährt sich ausschließlich von Pflanzen und ist nur am Nordrand des Himalayas verbreitet.
Nach der Überquerung des Ngozumbas haben wir in Dragnag ein üppiges Mittagessen eingenommen, einige widmeten sich der Körperpflege unter der Dusche und alle haben gechillt. Denn wir mussten Kräfte sammeln für den nächsten Höhepunkt auf unserer Tour, den 5420 m hohen Cho La-Pass.

Immer ein heiß herbei gesehnter Augenblick: Der Ofen wird mit Yakmist randvoll aufgefüllt und mittels recht ansehnlicher Mengen Brandbeschleuniger angefeuert.
Der stand nun am Mittwoch (12.03.) auf dem Programm. Die Passgänger waren Angela, Svea, Katrin, Ekkehard, Thomas, Kai und Oliver. Auch Te Kumar und ich waren mit von der Partie. Jana, Jessica und Frank hatten sich ja für die deutlich längere Variante unten herum entschieden.
Kurz nach sechs Uhr morgens sind wir in Dragnag gestartet. Es war regelrecht warm, kaum ein paar Grad unter Null, und das Wetter schien uns für die bevor stehende Anstrengung schon im Voraus belohnen zu wollen.
Die Verhältnisse beim Aufstieg konnten besser nicht mehr sein. Es lag nicht eine Schneeflocke auf dem gesamten Weg bis auf den höchsten Punkt des Passes. Und deshalb ging es gut voran. Schon um halb elf Uhr waren die ersten von uns immer noch bei bestem Wetter oben.
Alle machten trotz der zurückgelegten knapp 700 Höhenmeter einen fitten Eindruck, und da es nun bis zu unserem Ziel, der Alm Dzongla, nur noch noch bergab ging, brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen.

Die Passgänger auf dem höchsten Punkt des Cho La. Meine Blickrichtung, also die des Fotografen, ist in Richtung Westen aus welcher wir aufgestiegen sind.
Auch die kurze Passage über den kleinen Gletscher, der auf der Abstiegsroute zu überqueren ist, machte uns keine Probleme, zumal fast alle mit Grödeln ausgestattet waren. Grödel sind kleine und sehr leichte Behelfssteigeisen, die aber in bestimmten Situationen sehr nützlich sein können.
Schon kurz nach zwei Uhr erreichten wir gesund und guter Dinge, wenn auch ein wenig erschöpft, die Yakalm Dzongla auf 4850 m.
Am Donnerstag (13.03.) hatten wir, also die Passgänger, quasi einen Ruhetag. Nur die kurze und wenig anstrengende Etappe von Dzongla (4850 m) nach Lobuche (4900 m) stand auf dem Programm. Kaum Höhenmeter und nur zweieinhalb Stunden Gehzeit.

Auf dem sehr eindrucksvollen Weg von Dzongla nach Lobuche läuft man direkt an den beiden 6000ern Cholatse und Taboche vorbei.
Die „Untenherumgeher“ hatten da schon mehr zu leisten: 500 Höhenmeter von Dingboche bis nach Lobuche. Trotzdem trafen sie nur unwesentlich später als die „Passgänger“ in Lobuche ein, und es hub ein großes Umarmen an. Die Wiedersehensfreude war groß.
Nun wieder vereint, nähern wir uns dem Höhepunkt unserer Tour. Und zwar im Sinne des Wortes. Morgen oder übermorgen (15.03.), das hängt vom Wetter ab, werden wir den Kalar Patthar besteigen. Er ist mit 5650 m der höchste Punkt unserer Reise.

Die Passgänger sind gerade in das Khumbutal eingebogen. Hier geht es zum Kalar Patthar und zum Everest-Basislager. Und deshalb ist es das mit Abstand am häufigsten besuchte Tal der Everest-Region. – Links der 7165 m hohe Pumo Ri, dann folgt rechts von ihm der 6714 m hohe Lingtren. Weiter rechts der 6636 m hohe Khumbutse, und ganz rechts sehen wir den unteren Teil des 7861 m hohen Nuptse.
Und natürlich wollen wir den heiligen Boden des Everest-Basislagers betreten, dort wo auch schon die Titanen des Alpinismus von Edmund Hillary bis Reinhold Messner in ihre Schlafsäcke gekrochen sind.
Hoffentlich spielt das Wetter mit, welches in diesem Jahr nicht ganz so makellos daher kommt, wie ich es für meine Gäste gewünscht habe.
Ob das mit dem Wetter und dem Everest-Blick vom Kalar Patthar geklappt hat, erfahrt ihr im nächsten Blogbeitrag. Und wenn ich an dem schreibe, sind wir schon auf dem Rückweg.
Die Zeit vergeht hier wie im Flug. Jedenfalls für mich…
Zu den anderen Blogbeiträgen dieser Reise:
Lieber Olaf, vielen Dank für den wieder sehr interessant ausgestalteten Blogbeitrag. Beim Cho la-Foto kommen spontan Erinnerungen. Wir hatte 2017 dort ebenfalls tolles Wetter und eine grandiose Bergsicht. Wahrscheinlich buchst Du das immer mit?! 😉 Sehr clever! Ich erinnere mich aber auch, dass ich ziemlich beissen musste, um dort zu stehen. Insofern beweist man durchaus Grösse und Weitsicht, im Vorfeld festzulegen, ein „Untenrumgeher“ zu sein. „Purer Höhenwahn“ wäre für alle anderen kein Vergnügen.
In diesem Sinne, einen guten Abstieg.
LG Jens
Schön euch alle wieder vereint zu sehen!
Liebe Grüße an euch alle!
Hallo liebe Veronica und lieber Jens,
vielen Dank für Eure Kommentare. Und herzliche Grüße aus Namche Basar!