In der Falle, Teil 2

Das war eine der denkwürdigsten Nächte auf dieser Reise. Schneit es noch? Ja es schneit noch. Das Rieseln der Flocken auf dem Zeltdach ist unüberhörbar. Wieviel Schnee liegt schon? Zu viel für die Träger? Werden sie morgen früh streiken wie beim unserem letzten Versuch vor 10 Jahren? Oder vielleicht noch schlimmer: Werden sie gehen und es passiert etwas?

Meine Träger in ihrem Nachtlager am Morgen des Aufstieges. Bestens gelaunt. Was sind das für harte Kerle!

Darum sorge ich mich am meisten. Das schlimmste was passieren kann, wenn wir nicht über den Pass gehen, ist, dass wir unsere Flüge verpassen. Das schlimmste was passieren kann, wenn wir gehen, will ich mir lieber nicht ausmalen.

Dass 10 meiner treuesten Gäste hier sind, ebensoviele meiner tapferen Trägerfreunde und mein Co-Guide Te Kumar, daran bin ich schuld. Also bin ich es auch, falls jemandem etwas zustößt.

Frühstück morgens um 4 in Panch Pokhari, dem Basislager des Amphu Labtsa. Die Träger rüsten schon zum Abmarsch.

Wenn mir solche Gedanken durch den Kopf gehen und ich den Schnee auf das Zeltdach rieseln höre, dann wird das mit dem Schlafen ganz bestimmt nichts. Keine Minute…

Kurz vor der Aufstehzeit um 3.00 Uhr morgens schaltete ich den Wecker aus und begann mich, in dem winzigen Zelt anzuziehen.

Unser Lager  in Panch Pokhari. Pünktlich um 5 Uhr morgens ging es los. Wieder waren alle rechtzeitig zur Stelle.

Der Schneefall hatte aufgehört, vom Himmel funkelten jetzt die Sterne. Das war schon mal gut. Und es lag bei weitem nicht soviel Schnee wie beim letzten Versuch.

In der Trägerunterkunft rumorte es schon. Ich stieß auf lachende Gesichter. Wie können diese Jungs gut gelaunt sein bei der Aussicht, eine Last über einen schwierigen, mehr als 5800 m hohen Pass zu tragen?

Vom Wetter her der zweite perfekte Bergtag auf dieser Tour. Wie im Bilderbuch!

Für mich eines der großen Rätsel des Universums. Wie schaffen die das? Weshalb lachen die buchstäblich immer? Was ist ihr Geheimnis? Unsereins bekommt ja schon einen dicken Hals, wenn vor uns jemand an der Ampel nicht losfährt…

Chatur, mein Shirdar, also der Chef meiner Träger, grinste mich an. Er sah in mein fragendes und besorgtes Gesicht und wusste genau, wie es mir ging. „Don´t worry, boss, no problem for us.“

Steil war es schon im Aufstieg. Hier an einer Steilstufe, an welcher wir schon mal die Hände aus den Taschen nehmen mussten.

Wenn er sagt, dass es für die Träger in Ordnung ist, dann werden wir auch gehen. Ich habe uneingeschränktes Vertrauen in Chatur und bewundere seine Souveränität.

Als wir noch beim Frühstück saßen, brachen sie auf. Völlig selbstverständlich, ohne die geringste Angst und fröhlich schwatzend und lachend.

Um 5 Uhr gingen auch wir los. Es war wieder ein herrlicher, eiskalter Morgen, genau wie am Mera Peak.

Tiefblick beim Aufstieg auf den teilweise noch vergletscherten Pass.

Wird Bernd seine erfrorenen Finger heil über diesen Pass bekommen? Warum zum Teufel ist er nach dem Mera nicht nach Khare abgestiegen und hat sich ausfliegen lassen?

Das Gelände war von Anfang an anspruchsvoll. Verschneites Geröll, steile Anstiege, felsige Steilstufen, über die man sogar klettern musste. Ein altes und sehr dünnes Drahtseil erleichterte manche Passagen nur unwesentlich. Aber wenigstens konnte man sich an ihnen sichern.

Im Aufstieg auf etwa 5600 m Höhe.

Auf der Passhöhe angekommen, bleibt einem die Spucke weg, wenn man den Abstieg sieht. Hier funktionert das Runterkommen nur mit Abseilen, zumindest auf den ersten 50 bis 60 Metern. Auch das Gepäck muss abgelassen werden.

Buchstäblich keinen Moment haben wir uns auf der Passhöhe aufgehalten. Keine Teamfoto, nichts. Wir hatten alle Hände voll zu tun, von hier oben heil wegzukommen. Außerdem ist der Weg vom Fuß des Passes bis nach Chukhung endlos weit.

Auf der Passhöhe war es eng, ungemütlich und der Tiefblick furchteinflößend.

Das Ablassen des Gepäcks und meiner Gäste dauerte Stunden. Anschließend ging es an teilweise mit Drahtseilen versicherten Passagen weiter abwärts. Kumar und ich halfen den etwas unsicheren Gästen. Die anderen gingen voraus.

Der Abstieg war nordseitig ausgerichtet. Hier lag eine ganze Menge mehr Schnee als auf der Aufstiegsseite. Bestimmt 30 cm. Teilweise half uns das, machmal machte der Schnee sehr steile Passagen regelrecht gefährlich.

Das Gepäck wird Stück für Stück abgelassen.

Dauernd fragte ich mich, wie die Träger es bewerkstelligt haben, hier heil runterzukommen.

Irgendwann hörten die Fixseile auf. Ich versuchte, stattdessen eigene Seile zu spannen, was aber aus Mangel an Fixpunkten nur unzureichend gelang.

Doch irgendwann waren wir alle aus dem absturzgefährlichen Gelände raus, unversehrt, sehr erleichtert und ich dazu noch überglücklich.

Auch meine Gäste haben wir abgelassen. Das war die mit Abstand sicherste Variante. Hier war Lutz an der Reihe.

Wenn mir am Mera ein Stein vom Herzen gefallen ist, als alle wieder heil im Hochlager eingetroffen waren, polterte nach dem Amphu Labtsa ein ganzer Steinhaufen dort hinunter.

Der Abstieg nach Chukhung war wegen der Länge und den vorausgegangenen Strapazen noch einmal eine ziemliche Willensanstrengung, die aber alle souverän geleistet haben.

Der nach dem Ablassen folgende Abschnitt war auch noch sehr steil und mit fixen Drahtseilen versichert.

Knapp 12 Stunden nach unserem Aufbruch in Panch Pokhari, dem Basislager des Amphu Labtsas, trafen wir in Chukhung ein.

Ein wirklich denkwürdiger Tag ging da gerade zu Ende, denn ich kann mich kaum an einen aufregenderen Tag erinnern. Und zwar nicht nur in den vergangenen acht Wochen, sondern überhaupt.

Hier kann man sehr deutlich sehen, womit wir es zu tun hatten. Kumar steigt gerade unsichert im steilen Gelände ab. Meine Gäste sind hier schon durch, und ich bin tausend Angsttode gestorben.

Ich bin vor allem meinen Trägern dankbar, dass sie diesen für sie wahnsinnig anstrengenden und anspruchsvollen Tag so souverän gemeistert haben.

Und das gleiche gilt natürlich auch für meine so taffen und tapferen Gäste. Diesen Tag werde ich so schnell nicht vergessen!

Glücklich in Chukhung angekommen.

zu den anderen Blogbeiträgen dieser Tour:

Mera – Der höchste Punkt

Die neuen Alten

Kulturbeitrag

Trekkingroutine

Am Ziel

Punktlandung

In der Falle, Teil 1

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2 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Die Spannung des Tages ist auch beim Lesen spürbar! Gott sei Dank seid ihr alle gut in Chukhung angekommen!
    Der Rest müsste ab jetzt auch gut zu meistern sein, denke ich …..

  2. Oliver Handler sagt:

    Ich bin sehr froh, dass ihr alle gut den Amphu Lapsa überstanden habt. Viele Grüße an Te Kummar, Bijay und alle anderen Träger. Kommt gut ans Ziel und dann hast du dir redlich ein bisschen Entspannung verdient. 😉

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