Punktlandung
Es ist eine große Last von mir abgefallen. Aber es ist nicht nur Erleichterung, die ich spüre. Ein klein wenig Wehmut vermischt mit Traurigkeit ist auch dabei. Zum einen liegt das daran, dass dies meine letzte Tour sein wird, auf der ich Gäste auf einen über 6000 m hohen Berg im Himalaya geführt habe.
Ich hatte Spaß dabei, weil ich immer das Gefühl toll fand, Menschen ein großartiges und vor allem unvergessliches Erlebnis zu verschaffen. Außerdem lernt man Leute nirgendwo so gut kennen und auch schätzen, wie weit außerhalb ihrer Komfortzone.
Die wenigsten schaffen es, dort ihre Maske aufzubehalten und so trifft man hoch oben am Berg auf völlig unverstellte und ganz und gar authentische Menschen.

Im Basislager hatten wir den „Luxus“ eines kleinen Steinhäuschens. Dort hatte unser Koch seinen eisigen Arbeitsplatz und ein paar Sitzgelegenheiten gab es auch.
Doch je älter ich werde, desto deutlicher spüre ich die Last der Verantwortung. Früher konnte ich das alles leichter nehmen. Jetzt, mit der großen Erfahrung und den vielen teilweise tragischen Erlebnissen, wiegt diese Last einfach zu schwer, als das ich sie weiterhin tragen kann und will.

Aufstieg ins Hochlager auf 5800 m. Nur leicht ansteigend und spaltenfrei. Auch Träger können ins Hochlager gehen. Über dem Kopf von Andreas (letzter im Bild) sieht man den sogenannten Zentralgipfel und rechts davon den höchsten Punkt, auch als Nordgipfel bezeichnet.
Und leider ist auch dieses Mal nicht alles glatt gegangen. Mein Traum, alle Gäste auf den höchsten Punkt dieses Berges zu führen, ist nicht in Erfüllung gegangen. Für mich fühlt sich das wie eine Niederlage an, obwohl ich mein bestes gegeben habe. Aber womöglich war das nicht genug?
Von Khare (4900 m) aus sind wir am 10.04. ins 5230 m hoch gelegene Basislager aufgestiegen und haben dort unsere erste Nacht im Zelt verbracht. Am Tag darauf ging es hinauf ins Hochlager auf 5800 m. Noch vor 12 Uhr kamen wir dort oben an.
Den Nachmittag verbrachten wir mit Ausruhen, Dösen, Schlafen und Essen. Denn der nächste Tag sollte der entscheidende sein.
Um ein Uhr morgens am 12.04. klingelte der Wecker. Eine halbe Stunde später gab es Tee und Cornflakes bzw. für die harten unter uns wurde Porridge verabreicht.
Pünktlich um zwei Uhr standen alle Gipfelaspiranten gestiefelt und gespornt bereit. Bloß gut, denn es war bitterkalt. Auf Trödeler zu warten, kann dann sehr unangenehm werden.

Auch als die Sonne aufgegangen war, blieb es noch geraume Zeit sehr unangenehm kalt. Vor allem weil es nun deutlich windiger wurde. Im Hintergrund links ist der Makalu zu sehen. Er ist mit einer Höhe von 8485 m der fünfthöchste Berg der Welt.
Leider fehlten drei meiner Gäste. Sie hatten sich entschieden, auf einen Gipfelversuch zu verzichten.
Die anderen marschierten in drei Seilschaften den Berg hinauf. Eine führte Te Kumar, eine ich. Für die dritte Seilschaft hatte ich Mingmar engagiert, ein junger, bärenstarker und schon sehr erfahrener Sherpa, der in Khare zu uns gestoßen war.

Luisa und Bernd bei einer Rast auf dem Weg zum Hauptgipfel. Im Hintergrund ist der 6462 m hohe sogenannte Zentralgipfel zu sehen, den soeben Jan und Andreas gemeinsam mit Mingmar, dem jungen Sherpa, bestiegen hatten.
Ich wollte unbedingt in drei Seilschaften aufsteigen, um so besser gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Außerdem hielt ich es für notwendig, dass er und Te Kumar einige etwas heikle Stellen unterhalb des höchsten Punktes mit Seilen versichern.
Das hatten die beiden schon am Tag zuvor erledigt, als ich mit der Gruppe vom Basislager zum Hochlager aufgestiegen bin.

Um zum höchsten Punkt zu gelangen, musste um Spalten, welche den Gipfelgrat an mehreren Stellen unpassierbar gemacht haben, herumgequert werden.
Insgesamt brachen also 10 Leute an diesem entscheidenden Morgen auf.
Die Kälte machte einigen von uns von Beginn des Aufstieges an sehr zu schaffen, denn es war eine sternenklare, eiskalte Nacht. Dazu kam ein böiger Wind, der die schneidende Kälte noch einmal verschärfte.
Der Mera Peak ist ein außerordentlich zahmer Berg. Technische Schwierigkeiten gibt es so gut wie keine. Auch die Spaltengefahr ist gering. Trotzdem darf man auf das Seil oberhalb des Hochlagers nicht verzichten.
Aber der Aufstieg zieht sich scheinbar endlos in die Länge und ist in dieser Höhe natürlich sehr anstrengend.
Auf 6300 m Höhe, das Ziel schon zum Greifen nahe, entschieden sich drei meiner Gäste zur Umkehr. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, wärmte aber noch nicht, dafür wurde der Wind immer stärker.
Große Höhe, Erschöpfung und klirrende Kälte gepaart mit starkem Wind bedeutet immer Erfrierungsgefahr. Sich bei diesen Bedingungen für eine Umkehr zu entscheiden, ist sicher klug, wenn auch sehr bitter so kurz vor dem Ziel.

Bernd und Luisa auf dem höchsten Punkt des Mera Peaks. Und der tapir ist sowieso immer dabei. Denn buchstäblich alles, was so an Klamotten und Schuhen an mir dran ist, stammt aus dem Bergsportladen meines Vertrauens.
Te Kumar stieg mit den dreien ab.
An dieser Stelle fiel auch die Entscheidung von Jan und Andreas, auf den höchsten Punkt des Mera zu verzichten und gemeinsam mit Mingmar auf den nur 15 m niedrigeren Zentralgipfel zu steigen. Das ist ihnen auch souverän gelungen.
Luisa und Bernd aber wollten bis ganz hinauf. Das bedeutete jedoch eine etwa zweistündige Verlängerung des Auf- bzw. Abstieges. Und hier fordert der Mera vor allem bei den Querungspassagen entlang des Gipfelgrates noch einmal vollen Einsatz und höchste Konzentration.
Gegen 7.30 Uhr standen wir drei auf dem 6476 m hohen Gipfel des Mera Peaks.
Das ganz besondere war, dass wir an diesem Tag, anders als an allen Tagen zuvor, das nahezu perfekte Wetter hatten: Es war zwar kalt und windig. Aber das darf es auf fast 6500 m im Himalaya auch sein. Doch ganz und gar unerwartet war die glasklare und völlig wolkenfreie Sicht auf die vom Morgenlicht angestrahlten Eisriesen.
Fast durchgängig hatten wir die gesamte Reise über trübes und sehr diesiges Wetter. Oft gab es schon ab Mittag Nebel. Deshalb auch der so zeitige Aufbruch an unserem Gipfeltag. Doch dieser präsentierte sich vom Wetter her völlig anders. Perfekte Sicht auf das großartige Herz des Himalayas!

Der Blick nach Norden auf Everest und die Südwände von Nuptse und Lhotse. Links sind noch der Pumo Ri und die Ama Dablam sichtbar.
Ein Gipfelmeer lag uns zu Füßen. Fünf 8000er sind vom Mera aus zu sehen: Everest, Lhotse, Makalu, Cho Oyu und etwas entfernter der Kangchenzönga. Man erkennt die Ama Dablam, den gewaltigen Chamlang, den Baruntse, den Pumo Ri, den Guachung Kang und Dutzende andere mehr.

Beim Abstieg kurz vor dem Hochlager. Wir schauen auf die Felsen, unter denen das Hochlager eingerichtet wird. Im Hintergrund darüber der gewaltige Chamlang (7300 m).
Ich weiß keinen vergleichbaren Ort auf diesem Planeten, den auch ein Normalsterblicher erreichen kann, welcher einen derart spektakulären Ausblick bietet, wie der Mera Peak.
Doch für dieses einmalige Erlebnis hat Bernd leider einen zu hohen Preis bezahlt.
Mehr dazu im nächsten Blog.

Diese süße und sehr verkuschelte Hundedame hat an unserem Gipfeltag in 5800 m Höhe ein Baby zur Welt gebacht. Kaum zu glauben, dass sie sich dafür gerade diesen wahnsinnig kalten und sauerstoffarmen Ort ausgesucht hat. Babydog trinkt gerade. Man sieht auf dem Foto sein Hinterteil.
zu den anderen Beiträgen dieser Tour:
Wahnsinn,welche Leistung, ich war und bin die ganze Zeit in Gedanken bei euch. Ich gratuliere und bewundere euch,ihr könnt sehr stolz auf euch sein. Dies gemeinsam zu erleben müssen unwahrscheinliche Glücksgefühle sein.
Und lieber Olaf wieder sehr spannend geschrieben.
Liebe Grüße aus Leipzig, ganz besonders an Luisa und Ronny
Wahnsinn…Glückwunsch an die erfolgreichen Gipfelbezwinger…Louisa ganz großartig…es sieht auch echt kalt aus.
Herzlichen Glückwunsch an die erfolgreichen Besteiger des Mera Peak. Respekt den Umkehrern. Bernd wünsche ich, dass der gesundheitliche Preis für den Gipfel nicht gar so hoch war. Ich weiß, wie sehr er sich den Erfolg gewünscht hat. Besonders die Kälte wäre auch für mich ein riesiges Problem gewesen. Olaf, deine Entscheidung, keine Touren mehr auf über 6000 m Höhe zu führen, aber auch deinen Wehmut kann ich gut nachvollziehen. Man wird eben nicht jünger. Viele Grüße aus dem seit Monaten extrem trockenen Lieskau sendet euch Detlef
Herzlichen Glückwunsch allen Teilnehmern, egal, ob sie tatsächlich ganz oben waren oder lieber im Hochlager geblieben sind. Es gehört schon sehr viel Mut und Weitsicht zu dieser Entscheidung. Meine Hochachtung. Den Gipfelstürmern ebenso, ich stelle es mir sehr schwer vor, trotz der Kälte und des Windes, stetig weiter zu laufen – aber man hat ein Ziel.
Und dann noch die Passüberquerung!
Kommt alle gesund wieder nach Hause.
LG Veronika
Herzlichen Glückwunsch an alle Gipfelbezwinger! Und Respekt für die, die sich kurz vor dem Gipfelerfolg dagegen entschieden haben!
Man sieht sogar auf den Fotos, wie kalt es war! Wahnsinn, dass da oben ein kleines Hündchen das Licht der Welt erblickte!
Ich hoffe, dass es den Bernd nicht allzu schlimm erwischt hat und dass in der nächsten News die Entwarnung kommt!
Passt auf euch auf und bleibt gesund!
Liebe Grüße an dich, Olaf, und natürlich auch an die anderen, Veronica