Höhentauglich
William Bligh. Noch nie den Namen gehört? Aber von der Meuterei auf der Bounty wohl schon. Er war der Kapitän dieses Schiffes. Sein Name stand in unzähligen Büchern und Filmen für einen harten, rücksichtslosen Despoten. Aber das hatte wohl mit der historischen Persönlichkeit wenig bis gar nichts zu tun. Einige gesicherte Fakten wiesen schon immer darauf hin, dass da irgendwas nicht stimmen konnte. Zum Beispiel stiegen 18 Seeleute mit Bligh nach der Meuterei in das winzige, offene Beiboot, mit dem er ausgesetzt wurde. Das war fast die Hälfte der Mannschaft.
Vermutlich wären noch mehr eingestiegen, aber das Boot war übervoll. Es lag 20 cm tiefer im Wasser als die maximale Lademarke erlaubte. Offensichtlich hatten diese Männer ungeheures Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Kapitäns. Und das war auch berechtigt. Denn der navigierte die völlig überladene Nussschale in 41 Segeltagen 5800 Kilometer!! bis zum niederländischen Stützpunkt auf Timor. Dabei betrugen die Rationen pro Tag und Mann 65 g Zwieback und 125 ml Wasser. Die Not und die Enge auf dem Boot ist unvorstellbar. Das war also nicht nur eine überragende seemännische Leistung. Bligh muss auch ungeheure Fähigkeiten als Führungspersönlichkeit besessen haben.
Warum mich schon immer Geschichten über Segler faszinieren? Segeln hat doch wohl gar nichts mit Bergsteigen zu tun. Nach meiner Ansicht ganz falsch. Keine andere Sportart weist so viele Parallelen zum Bergsteigen auf wie das Segeln. In einem Boot ist der Segler genau wir in einem Lager hoch oben am Berg Gefangener der einmal getroffenen Entscheidung. Wenn ein Hurrikan herantobt oder eine Flaute ihn festhält kann er zwar mit seiner Entscheidung hadern, den sicheren Hafen verlassen zu haben, sie augenblicklich revidieren, dass kann er nicht. Wie unter einem Brennglas quasi unter Laborbedingungen muss sich nun das Team auf engstem Raum bewähren und der Skipper, also der Chef auf dem Boot, seine Mitsegler führen. In einem engen Boot, wo niemand dem anderen ausweichen kann, ist Führung sicher sehr anspruchsvoll. Und ganz ähnlich ist es bei uns auch.
Seit nunmehr fast 25 Jahren bin ich jedes Jahr mit Teams als Expeditionsleiter und noch öfter mit Trekking-Gästen in den Bergen unterwegs. Wie oft habe ich mir vor allem in schwierigen Situationen den Kopf darüber zerbrochen, wie ich meine Leute am besten führen und motivieren könnte. Ich habe das nie gelernt, und ich bin mir sicher, dass ich endlos viele Fehler gemacht habe. Bestimmt würden einige meiner ehemaligen Mitstreiter zustimmend aufstöhnen, wenn sie das hier jetzt lesen könnten.
Es gab in dieser langen Zeit unzählige Situationen, in denen alles davon abhing, nach einem zähen Ringen die richtigen Entscheidungen zu treffen und sie dann gemeinsam mit meinem Team auch konsequent umzusetzen. Oder aber rechtzeitig zu erkennen, dass die Entscheidung falsch gewesen ist und revidiert werden muss. Für den Entscheider, dem alle an den Lippen hängen, oft extrem quälerisch. Häufig muss aber auch die einstmals richtige Entscheidung rigoros über den Haufen geworfen werden, weil sich die Verhältnisse, das Wetter oder die Konstellationen im Team veränderten.
Aber ich habe natürlich aus meinen Fehlern gelernt. Zumindest gibt es ein paar vielversprechende Indizien dafür. Zum Beispiel bin ich ganz stolz, dass so viele meiner Gäste immer wieder mit mir nach Nepal fahren. Mindestens 20 Prozent meiner aktuellen Kundschaft rekrutiert sich aus meinen ehemaligen Gästen. Manche waren schon drei oder sogar vier Mal mit mir unterwegs. Und seit einigen Jahren gibt es auch auf meinen Expeditionen ein Team, welches sich immer wieder zusammenfindet.
Aber ein Team und vor allem sein Anführer bewähren sich nicht, wenn alles glatt läuft. Geführt werden muss, wenn das Chaos über einem hereinzubrechen droht. Friede, Freude, Eierkuchen sind in den extremen Landschaften der großen Gebirge eher die Ausnahme als die Regel. Wenn doch mal alles wie am Schnürchen lief, war fast immer die Kombination aus einem professionellen Team, klaren hierarchischen und trotzdem für alle akzeptablen Strukturen und vor allem stabil schönem Wetter mit im Spiel. Fast so selten wie ein Lottogewinn.
Im Laufe der vielen Jahre hat sich diesbezüglich ein beachtlicher Erfahrungsschatz angesammelt, der womöglich geordnet und aufgeschrieben gehört. Das habe ich mir nun vorgenommen. Es wird jedoch bestimmt nicht das einhundertunderste Leadership-Buch. Aber es wird in absehbarer Zeit einen neuen Vortrag für meine Firmenkunden geben. Einen Titel gibt es auch schon: „Höhentauglich – Der Weg nach oben“. Und mit diesem Weg ist nicht der Weg auf den höchsten Punkt eines Berges gemeint. Auch nicht der in die oberen Führungsetagen eines Unternehmens. Ich meine den ungleich schwierigeren Weg, an dessen Ende der Chef ausschließlich deshalb der unumstrittene Anführer geworden ist, weil er das Vertrauen, die Achtung und den Respekt seines Teams gewinnen konnte.
Ein hartes Stück Arbeit!
Sechs Bilder, sechs verschiedene Expeditionen. Sechs Mal die ultimative Bewährungsprobe für Team und Leiter. Oben links: Bei meiner ersten Expedition zu einem Achttausender in Pakistan wird ein Teilnehmer im Lager 1 schneeblind. Oben rechts: 2002 finden wir einen schwer verletzten Bergsteiger beim Aufstieg auf den Island Peak. Wir müssen ihn unter großen Strapazen vom Berg schaffen. Es geht um Leben und Tod. Uns bleibt keine Zeit und Kraft für einen eigenen Gipfelversuch.
Mitte links: 1999 am Cho Oyu überschätzen sich drei spanische Bergsteiger im Gipfelbereich und schaffen es nicht mehr aus eigener Kraft hinunter. Einer kann gerettet werden, trägt aber schwere Erfrierungen davon. Wir versorgen ihn im Basislager und organisieren seinen Abtransport. Mitte rechts: 2006 überrascht uns im Basislager der Ama Dablam ein Wettersturz. Innerhalb von 72 Stunden fällt über ein Meter Schnee. Wir sind über Wochen von der Außenwelt abgeschnitten.
Unten links: 2005 am Everest überrollt eine gewaltige Lawine von der Westschulter das Lager 1. 70 Zelte werden zerstört, es gibt acht Schwerverletzte. Unten rechts: Nach tagelangen Schneefällen trifft uns bei unserem ersten Wiederaufstieg in das Hochlager am Gasherbrum II eine katastrophale Lawine. Sie überrollt das gesamte Tal zwischen der Gasherbrumgruppe und trifft uns mit voller Wucht. Wie durch ein Wunder bleiben alle unverletzt.
Das ist ein toller Blog Artikel lieber Olaf
– herzliche Grüße
Ute
Hallo Olli,
gutes Thema, guter Artikel.
Zum Thema „Bligh“ eine Stunde zum Staunen, Schmunzeln und Kopfschütteln zwischen den Feiertagen:
https://www.youtube.com/watch?v=2mRqsfLynys
Damit wünschen wir Euch Allen ein besinnliches Weihnachten und für 2019 allles, alles Gute – die Schwanefelder „Möchtegernbergsteiger und -segler“