Hoch gepokert
Gastbeitrag von Daniela Göhler, Helmut Hartmann, Andreas Venter; Bilder und Bildunterschriften ich
Unser letzter Gastbeitrag „Große Erwartungen“ lässt erahnen, dass wir euphorisch von Tagnag aus in unser Abenteuer starteten. Es war klar, dass es Stolpersteine geben würde. Aber wieviele, wie groß und welcher Form, das wussten wir noch nicht.
Schnell war allerdings klar, welche Form die „Gemütlichkeit“ im Zelt annehmen würde, Kälte in der Nacht, Hitze am Tag – Schlafsackromantik eben.
Wie aus „Abschied? Teil 1“ bekannt, fingen die Schwierigkeiten schon am ersten Tag an. Der Yak-Treiber hatte uns verlassen und die Tonnen auf halber Strecke abgeworfen, so dass wir einen Teil der Ausrüstung selbst ins Basislager schleppen mussten.
Es gingen ungeplant zwei Tage für die Einrichtung des Lagers, Spuren des Rückwegs und Organisation neuer Yaks drauf, bevor wir uns dem Berg näher zuwenden konnten.
Am 3. und 4. Tag brachten wir die Ausrüstung an den Berg, halfen Olaf und Sven dabei, die Route zum Gipfel soweit wie möglich zu versichern, testeten die Funkgeräte und spurten weiter den Rückweg. Trotz aller Anstrengungen ging es gut voran, wir verloren das Ziel nicht aus den Augen und blieben guten Mutes.
Obwohl es „nur“ die Vorbereitungen des eigentlichen Gipfelsturms waren, erlebte Daniela einen besonderen Nirekha-Moment, nämlich beim Verlegen der Seile wenige Höhenmeter unterhalb des Gipfels:
„Als ich Olaf auf dem ersten Eisaufschwung erreichte, hatten wir noch genau ein Seil. Er machte sich also an den nächsten Aufschwung und verschwand oben, um einen Sicherungspunkt anzulegen. Auf einmal stand ich mutterseelenallein auf einem Schneeplateau auf über 6000 m Höhe, der Gipfel theoretisch zum Greifen nah. Obwohl ich unbeirrt auf die obere Eiskante schaute in der Hoffnung, jeden Moment Olafs rote Jacke zu erblicken, nahm ich diesen einsamen Augenblick in den Weltbergen besonders tief in mich auf.“
Schwierig wurde es, als Olaf der Gruppe die Entscheidung über den Gipfelversuch überlies. Wann war der richtige Zeitpunkt, wie wird das Wetter, wer ist in welcher körperlicher Verfassung? Wir wollten die bestmöglichen Chancen für einen Gipfelversuch.
Nach langem Hin und Her entschieden wir uns, einen ersten Gipfelversuch ohne Ruhetag direkt anzuschließen, so dass ein weiterer Tag für einen eventuellen zweiten Versuch verbliebe. Im Nachhinein würden wir wahrscheinlich anders entscheiden. Zum entsprechenden Zeitpunkt erschienen die Argumente schlüssig.
Der Gipfeltag begann plangemäß, Abmarsch 3:30 Uhr. Es ging zügig voran, alle Wegetappen wurden von allen nach Zeitplan gemeistert. Trotz der unterschiedlichen Fähigkeiten in der Gruppe schafften es allesamt, das Steileis zu bezwingen. Beim Anblick der riesigen Gletscherspalte kurz unterhalb des Gipfels blieb uns jedoch das Herz kurz stehen. Sie sah unüberwindbar und furchterregend aus. Als Olaf dann aber doch eine Schneebrücke ausmachte und die letzte Eisstufe überwand, stand unserem Gipfelglück nichts mehr im Wege.
Um die Mittagszeit standen wir lächelnd und glücklich auf dem Gipfel. Für einen Moment schien die Welt still zu stehen oder sich zumindest etwas langsamer zu drehen.
Herrlichster Sonnenschein, ein atemberaubendes 360°-Panaroma auf die höchsten Berge der Welt, ein paar sehr fotogene Wolken um den Mt. Everest, monumentale Gletscher und – von einem Lüftchen einmal abgesehen – Stille.
Die Verlockung ist groß, sich am Ziel zu wähnen. Dass es gefährlich werden kann, sich der Gipfelfreude hinzugeben, ist vielleicht die größte Lernerfahrung für jeden von uns.
Denn nun begannen sieben Stunden Abstieg, auf dem mancher von uns an seine physischen und/oder mentalen Grenzen kam oder auch darüber hinaus. Andreas bringt das hier emotional zum Ausdruck:
„Ich hatte mir vorgenommen, den Nirekha Peak zu besteigen. Was das bedeutet, wurde mir annähernd bewusst, als ich den Berg zum ersten Mal aus der Ferne auf dem Weg nach Machermo in seiner Mächtigkeit sah. Sechs Tage später auf dem Weg vom Basislager zum Cho La Col wurde mir dann unmissverständlich klar, was genau auf mich zukam. Der Aufstieg war schon im „unteren“ Bereich, also bis zu den Eisaufschwüngen in 6000 m Höhe, äußerst anstrengend. Starke Zweifel kamen auf, ob ich es kräftemäßig überhaupt bis zum Gipfel schaffen würde. Doch da war auch dieser unbedingte Wille es zumindest nicht unversucht zu lassen.
Der Tag der Besteigung wurde recht kurzfristig festgelegt, ich dachte nicht mehr darüber nach und ging mit. Einfach war es nicht, aber es gelang mir tatsächlich, den Gipfel zu erreichen. Die Freude war groß, der Moment unbeschreiblich. Olafs Warnung, dass ein Berg erst bezwungen ist, wenn man man wieder unten ist, sollte ich mit Haut und Haaren zu spüren bekommen.
Beim Abstieg setzte Unwetter ein: Schnee, Sturm, Kälte, hörbar elektrische Spannung in der Luft von einem Gewitter. Nun wurde mir bewusst, dass ich am Ende meiner Kräfte und der Ausgang der Besteigung offen war. Olaf schaute mir in die Augen, teilte seine letzten Traubenzuckerreserven und beschwor mich, alle meine verbleibenden Kräfte zusammen zu nehmen und mich auf den Abstieg zu konzentrieren. Stück für Stück und fast wie in Trance arbeitete ich mich hinab und versuchte die Hilfestellungen und Anweisungen von Olaf (vor mir) und Sven (hinter mir) so gut es geht umzusetzen.
Das Blut gefriert mir jetzt noch in den Adern beim Gedanken, dass ich es ohne die Hilfe der beiden Guides wahrscheinlich nicht lebend vom Berg hinunter geschafft hätte. Und dafür möchte ich Olaf und Sven von ganzem Herzen danken, für ihren Einsatz am Berg und die Weitergabe ihrer Erfahrungen. Sie haben mich auf den Nirekha Peak gebracht und wieder runter. Und das werde ich niemals vergessen.“
Olaf und Sven hatten alle Hände voll zu tun, um die Gruppe wieder sicher vom Berg hinunter zu bringen. Wir merkten ihnen die Anstrengung an, sie hatten keinen Ruhetag gehabt, keine Erholung. Und doch schienen die beiden Profis aus einem schier unerschöpflichen Leistungs- und Erfahrungsreservoir zu schöpfen, denn trotz Schneesturm, Erschöpfung und Angst brachten sie uns heil vom Berg.
Wir zwei waren in Absprache mit Olaf voraus zum Cho La Col abgestiegen und mussten mehr als eine Stunde auf die anderen warten. Der Schneesturm und die eisige Kälte zehrten an uns, Ungewissheit und Sorge ließen uns immer wieder zum Berg aufblicken: War etwas passiert? Warum dauerte das so lange? Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden. Viel Zeit zum Nachdenken; hätte, wäre, könnte – doch die Lage war nun mal wie sie war und wir den Launen der Natur ausgeliefert.
Dann endlich kam erst Michael und eine gefühlte Ewigkeit später die Anderen. Inzwischen war auch der Gletscher unterhalb des Cho La Cols frisch verschneit und die Gletscherspalten nicht mehr zu erkennen. Aber Olaf fand zielsicher einen gefahrlosen Weg über den Gletscher und brachte uns zum Basislager zurück.
Vor Erschöpfung, Drama und auch Erleichterung fiel an diesem Abend der Triumpfschnaps aus, doch das holten wir flugs am nächsten Tag nach. Die Welt war wieder in Ordnung und drehte sich mit der normalen Geschwindigkeit.
Als am Abreisetag der Yak-Treiber pünktlich erschien und unsere gepackten Tonnen auflud, hatten wir das Gefühl, dass die großen Erwartungen am Ende doch erfüllt waren – nur hatten wir vielleicht das Glück etwas überstrapaziert.
Helmut, Daniela, Andreas
An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich den drei fleißigen Blogbeitragsschreibern danken: Daniela, Helmut und ganz besonders auch Detlef, der die Erlebnisse der anderen Gruppenhälfte so plastisch im seinem Gastbeitrag „Magie der Berge“ beschrieben und auch bebildert hat.
Und ganz besonders ich möchte mich bei den Lesern, Mitfieberern, Daumendrückern und Kommentarschreibern bedanken. Schließlich wäre ohne Eure Anteilnahme und Unterstützung diese ganze Schreiberei und Fotografiererei ziemlich sinnlos.
Stimmt…toll geschrieben…sehr greifbar.
Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass ich irgendwie mit dabei war ….
Wow Olaf… Da wird einem ganz anders, wenn man euren Bericht so liest, ihr habt es wirklich spannend gemacht und wir sind froh, daß ihr alle gesund und heil wieder unten angekommen seid.
Sonst immer eher stiller und begeisterter Mitleser, konnte man es aber diesmal kaum aushalten bis zur nächsten News und wie es euch ergangen ist. Wir sind wirklich erleichtert, dass es euch allen gut geht.
Also, sei herzlichst gegrüßt
Imke und Markus
Ich gratuliere Euch und habe große Hochachtung vor Eurer Leistung. Zum Glück hattet Ihr zwei leibhaftige (Olaf und Sven) und jede Menge anderer Schutzengel mit. Dieses Erlebnis werdet Ihr sicher nie vergessen. Ganz herzliche Grüße und eine gesunde Heimkehr.