Der verfluchte Berg

Als Montagne Maudite, also verfluchter Berg, wurde der Mont Blanc 1606 bezeichnet, als er das erste Mal auf einer Landkarte auftauchte. Schon 1741 begannen Erkundungen durch den Briten Richard Pococke. Doch ernsthafte Gipfelversuche wagte keiner. Erst nachdem eine Belohnung für eine Besteigung ausgesetzt war, gab es ab 1760 zaghafte Besteigungsversuche. Wir können uns den Mut dieser frühen Alpinisten heute nicht mal ansatzweise vorstellen.

Die Nordwestseite des Mont Blanc im Abendlicht von den Aiguille Rouge aus gesehen.

Denn die Furcht vor den Gefahren saß tief, schließlich kam der Name „Verfluchter Berg“ nicht von ungefähr. Drachen, Geister, sogar ganze für ihren Hochmut bestrafte Städte vermutete man unter seinen Gletschern.  Wie tief im Aberglauben man damals noch verhaftet war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in dieser Zeit in Europa noch Hexen verurteilt und hingerichtet wurden.

Deshalb war der 8. Juni 1786 auch ein sehr wichtiger Tag. Alle Besteigungsversuche starteten bis dahin aus relativ geringen Höhen. Man hatte einfach große Angst, hielt Übernachtungen auf den Gletschern für viel zu gefährlich. Doch Jacques Balmat, ein Kristallsucher aus Chamonix und späterer Erstbesteiger des Mont Blanc, wurde an diesem Tag bei dem Versuch, einen Aufstiegsweg über den Bossesgrat zu finden, von seinen Begleitern getrennt und musste mit mangelhafter Ausrüstung auf etwa 4000 m Höhe biwakieren.

Der Bossesgrat. Bei guten Verhältnissen von Hunderten bevölkert. Da ist es auf diesem Bild noch sehr ruhig.

Er überstand die Nacht unbeschadet. Damit war die vorherrschende Meinung widerlegt, dass ein solches Biwak nur tödlich enden kann. Sein zweiter Versuch gemeinsam mit dem Arzt Michel-Gabriel Paccard am 7. August 1786 begann deshalb deutlich weiter oben. Die beiden übernachteten auf etwa 2300 m am Rand des Bossonsgletschers. Um 4 Uhr morgens starteten sie, überquerten den Gletscher, stiegen auf das Große Plateau und erreichten über die Nordflanke nach mehr als 14 stündigem Aufstieg den Gipfel.

Damit war ein Bann gebrochen. Mit dieser Aufsehen erregenden ersten Besteigung des furchtbaren Berges schwand die Angst vor den eisigen Höhen und das Verhältnis zur Natur und den Bergen wandelte sich in den folgenden Jahrzehnten von Grund auf.

Balmat, der arme Kristallsucher, scheint dem Herrn Doktor Paccard von ewigen Ruhm und Unsterblichkeit vorzuschwärmen. Falls sie denn tatsächlich dort rauf und heil wieder runterkommen.

In Chamonix zu sein, ist sicher nicht nur für mich immer etwas ganz besonderes. Und das liegt in erster Linie tatsächlich am Mont Blanc, der hier alles überragt. Regelrecht Himalaya-Feeling kommt auf, wenn ich von Chamonix zum Monarchen, wie der Mont Blanc auch ehrfürchtig genannt wird, hinauf schaue. Fast 4000 Meter Berg türmen sich da über einem auf. Selbst in den Basislagern der Achttausender des Himalayas findet man kaum größere Höhenunterschiede zwischen Bergfuß und Gipfel.

Übrigens macht diese enorme Höhendifferenz den Mont Blanc wirklich zu etwas Besonderem! Er zählt zu den prominentesten Bergen weltweit. Seine Schartenhöhe von 4697 m wird nur von zehn anderen Bergen übertroffen. Die Schartenhöhe oder Prominenz eines Berges ergibt sich als Differenz aus seiner Höhe und der höchstgelegenen Einschartung, bis zu der man mindestens absteigen muss, um auf einen höher gelegenen Berg zu kommen.

Will man den Berg fair, also ohne Seilbahn und tatsächlich von ganz unten besteigen und auch auf die Inanspruchname von Hütten verzichten, dann hat man nicht nur fast 4000 Höhenmeter vor sich, sondern auch noch einen schweren Rucksack auf dem Rücken. Wir schauen hier auf unseren Zeltplatz unterhalb des Gipfels des Dôme du Goûter.

Und noch ein zweiter Umstand am Mont Blanc lässt aufhorchen. Wegen seiner Höhe und den großen Niederschlagsmengen ist der Berg außergewöhnlich stark vergletschert. Die Gletscher auf der italienischen Seite erreichen sogar den Talboden und sind in den letzten 150 Jahren kaum geschrumpft. Auf der französischen Seite fließt der Bossonsgletscher bis auf 1420 m hinab und erreicht somit ebenfalls fast den Talboden. Damit überwindet er einen Höhenunterschied von beinahe 3400 m. Rekord in den Alpen!

Wir schauen auf den oberen Teil des Bossonsgletschers und die Nordseite des Dôme du Goûter.

In den Augen der Menschen ist es aber die Tatsache, dass er der höchste Gipfel der Alpen ist, die ihn so attraktiv sein lässt. Es ist kaum vorstellbar: Etwa 20000 Menschen besteigen den Mont Blanc jedes Jahr, manche Quellen sprechen sogar von 30000! In der Hochsaison erreichen an guten Tagen 500 und mehr Leute den Gipfel. Kein alpiner Berg auf der Welt wird öfter bestiegen. Er ist also mehr als gnädig zu uns Menschen, geradezu sanft. Und wenn man es genau nimmt, ist er auch nicht besonders gefährlich im Vergleich zu den wirklich gefährlichen Bergen, wie zum Beispiel der Annapurna.

Im langjährigen Mittel bezahlen von zehn Alpinisten, die den Gipfel dieses Achttausenders im nepalesischen Himalaya erreichen, vier mit ihrem Leben. Damit ist die Annapurna statistisch gesehen der gefährlichste Berg der Welt. Trotzdem ist der Mont Blanc der uneingeschränkte Rekordhalter, wenn es um die absoluten Zahlen geht. Jahr für Jahr gehen am Mont Blanc Dutzende Menschen zu Grunde. Allein im Jahr 2008 waren es 50! Er ist der Gipfel mit den bei weitem meisten Todesopfern weltweit. Addiert man die Zahl der tödlich Verunglückten, kommen verschiedene Quellen auf die kaum vorstellbare Summe von 6000 bis 8000 Menschen, die am Mont Blanc ihr Leben ließen.

Immer eine heikle Situation. Seilschaften begegnen sich. Eine muss nun runter von der Spur. Nicht immer geht das freundschaftlich und friedlich über die Bühne.

Eine traurige Tatsache, die natürlich in erster Linie den enormen Besteigungszahlen geschuldet ist. Ein zweiter Grund ist, dass der Mont Blanc häufig sträflich unterschätzt wird. Er ist fast 5000 m hoch, die Wege sind lang, das Wetter häufig unsicher und die Zeitfenster der Besteigungsaspiranten eng. Um einigermaßen fit auf dem Mont Blanc zu kommen, müsste man sich zwingend akklimatisieren.

Es würde demnach auch ein bisschen Demut und Bescheidenheit helfen. Doch die, so mein Eindruck, ziehen sich an den großen Bergen dieser Welt so rasch zurück, wie die Gletscher.

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Eine Antwort

  1. Jens Klawonn sagt:

    Danke Olaf, für die wie immer sehr interessanten Einblicke. In diesem Jahr wird es, wie wo überall auf der Welt, auch am Mont Blanc etwas ruhiger zu gehen, kann sich die Natur von uns Menschen ein wenig erholen.
    Und apropos Natur und Nepal. Sicher nicht nur den einfachen Menschen, und dazu zählen In der Regel unsere Träger auf den Expeditionen und Trekkingtouren, geht es dort im Moment wirtschaftlich sehr schlecht. Das zeigt mir insbesondere der Kontakt den ich weiterhin zu Chauthee habe. Sein Lebensunterhalt ist komplett weggebrochen und bald ist die Saison sowieso ganz vorbei. Deshalb, wer es von uns vermag, noch Kontakt hat, sollte überlegen, dass selbst eine kleine Spende buchstäblich das Überleben dieser Leute sichert. Ein guter Finanztransferdienstleiszer ist AZIMO. Absolut sicher, schnell und das Geld kommt fair bzw. ohne Gebühren in Nepal an.
    Liebe Grüsse und bleib gesund
    Jens

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