Unverfroren Teil 1

Seit ich zum ersten Mal mit Leuten auf Trekkingtour im Himalaya unterwegs war, sind 24 Jahre vergangen. Und in dieser Zeit wurde mir zweifellos eine Frage von meinen Nepalgästen am häufigsten gestellt: Wie kalt wird es? Dass ich gerade jetzt daran denke, hat einen ganz einfachen Grund. Ich stelle mir genau diese Frage auch. Und zwar täglich, wenn ich morgens mit Eisgeräten bewaffnet zu bitterkalten Nordwänden aufbreche. Ich bin gerade in den Alpen zum Eisklettern unterwegs!

Ich klettere den „Zylinder“ in der Nordportalumgebung des Felbertauerntunnels. (Foto: Mario Rückert)

Ganz oft höre ich: „Ach DU frierst doch nicht, so oft wie du freiwillig in der Kälte unterwegs bist.“ Oder: „Was DU frierst? Ich habe immer gedacht, dass dir Kälte gar nichts ausmacht, wo du Jahre deines Lebens im Himalaya verbracht hast!“ Doch die Wahrheit ist, ich mag Kälte gar nicht und friere schnell. Augen auf, bei der Berufswahl, würde ich sagen.

Hitze kann ich gut vertragen, sogar besser als viele andere. Und jeder, der mich kennt, weiß das inzwischen. Für meine Gäste ist diese Erkenntnis allerdings oft ein wenig ernüchternd, wähnte man sich doch in den Händen eines eisenharten, weil himalayaerprobten Höhenbergsteigers, der niemals friert. Umso intensiver befasse ich mich also mit der Frage, wie ich mich vor Kälte schützen kann. Und darum soll es in diesem Artikel gehen, denn es gibt eine Menge Tricks und Kniffe, die helfen, der Kälte ein Schnippchen zu schlagen.

Mein Zustand war ziemlich erbärmlich beim Rückzug aus der „Franco-Argentina“ am Fitz Roy in Patagonien. Ich dachte, mir wird nie wieder warm.

Wenn wir uns bewegen, verbrauchen wir Energie. Bewegen wir uns in der Kälte, verbrauchen wir mehr Energie. Kommen noch Wind und Feuchtigkeit dazu, potenziert sich der Energieverbrauch regelrecht. Je höher der Energieverlust in kalter Umgebung wird, desto schwerer haben wir es, auf Dauer unsere Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Wir beginnen, selbst dann auszukühlen, wenn wir uns bewegen.

Gelingt uns die Aufrechterhaltung unserer Körpertemperatur immer weniger gut, versucht der Körper gegenzusteuern, in dem er Notaggregate einschaltet. Die Kreislaufaktivität wird gesteigert, später beginnen wir zu zittern. Dadurch können wir kurzfristig unsere Wärmeproduktion vervielfachen. Das alles hat aber relativ rasch ein Ende, wenn unsere Energiereserven zur Neige gehen. Nun fängt der Körper an, bevorzugt nur noch die lebenswichtigen Organe mit Blut zu versorgen. Die Durchblutung unserer Akren, damit sind die Körperenden also Ohren, Nase, Kinn, Finger, Zehen gemeint, wird zunehmend heruntergefahren. Zuerst werden Finger und Zehen eiskalt, dann spüren wir sie nicht mehr und schon droht die Gefahr von Erfrierungen. Geht der Energieverlust weiter, beginnt der Körper nun auch die Durchblutung des Körperkerns zu drosseln, womit eine akute Unterkühlung mit der Eintrübung und später dem Verlust des Bewusstseins einhergeht. Doch soweit darf es auf keinen Fall kommen.

Die linke Hand von Kim Hong Bin. 1991 hat der Koreaner alle zehn Finger durch Erfrierungen am Denali in Alaska verloren. Trotzdem bestieg er anschließend sämtliche 14 Achttausender. An seinem letzten, dem 8051 m hohen Broad Peak kam er 2021 auf dem Abstieg!! ums Leben.

Und deshalb kann es lebensrettend sein, mal zu schauen, mit welchen Strategien wir gegensteuern können.

Gleich zu Beginn die wirklich gute Nachricht jenseits von Hypothermie und Erfrierung. Es ist erstaunlich, wie gut wir uns an Kälte gewöhnen. Ich kann mir meine Frustration ziemlich plastisch in Erinnerung rufen, wie es sich anfühlt, wenn ich innerhalb von zwei Tagen von meinem warmen Schreibtischstuhl in Leipzig nach Nepal mitten ins Herz des Himalayas katapultiert werde. Bei meinen von mir geführten Trekkingtouren ist das nämlich genauso. Wir fliegen an einem Tag nach Nepal und am nächsten nach Lukla auf fast 3000 m Meereshöhe. Und zack finden wir uns mitten im Himalaya wieder. Und wenn wir dort das erste Mal aus unserem Schlafsack kriechen, zeigt das Thermometer in unserem Schlafkabuff Minusgrade. Aber daran gewöhnt man sich in einigen Tagen, und bald machen einem selbst noch ein paar Grad Frost mehr kaum etwas aus, zumal es abends immer einen warmen Ofen gibt, an dem wir ordentlich Wärme tanken können.

Anders verhält es sich, wenn es keine Gelegenheit mehr gibt, sich irgendwo aufzuwärmen. Zum Beispiel, weil wir in einem Hochlager sitzen und in kraftraubenden Aktionen heikle Passagen einer Route versichern oder Lasten tragen, um noch weiter oben Lager einzurichten. Sehr gut erinnere ich mich an unser Lager 2 am Shivling. Dort war es besonders kalt, und das hatte einen einfachen Grund. 

Unser Lager 2 am Shivling war nicht nur ein großartiger Ort zwischen Himmel und Erde mit einer atemberaubenden Aussicht. Es wird für immer in meine Analen eingehen als der Ort, wo ich am nachhaltigsten gefroren habe.

Da dieses Lager mit etwa 5600 m nicht wirklich hoch lag, hatten wir hier unser vorgeschobenes Basislager eingerichtet. Wir wollten uns den ewig langen Weg ins Basislager sparen und von hier oben aus solange agieren, bis der Gipfel erreicht war. Doch erst als wir alles den endlosen Weg vom Basecamp hier herauf geschleppt und dann die erste Nacht hier oben verbracht hatten, wurde uns der Nachteil dieses eigentlich grandiosen Ortes bewusst. 18 Stunden lang gab es hier oben keine Sonne. Die diesbezügliche Lage der umgebenden Berge zueinander war denkbar ungünstig. Morgens kam die Sonne ewig nicht zum Vorschein, weil sie direkt hinter dem Shivling auf und dann hinter dem Mount Meru gleich wieder unterging. Von 4 Uhr nachmittags bis 10 Uhr morgens herrschte in diesem Lager Eiseskälte.

Bald nachdem die Sonne hinter dem Meru verschwand, fiel das Thermometer tief ins Minus, an einer Reihe von Tagen auch mal auf minus 20°Celsius und darunter. Und so blieb das dann bis morgens um 10 Uhr. Wenn man bei diesen Temperaturen im Schlafsack liegt, mag das ja noch gehen. Aber wir mussten kochen, Blogbeiträge schreiben, Rucksäcke packen und vor allem unsere Route versichern. Und dass konnten wir nicht alles nur in den sechs Stunden machen, in denen die von Tag zu Tag sehnsüchtiger erwartete Sonne schien.

Selfie im Lager 2 am Shivling. Sonne weg, und ich hatte alles an, was ich dort oben besaß: Zwei Daunenjacken übereinander, Daunenhose, Daunenfüßlinge. Außerdem sitze ich hier auf einem sogenannten Ground Chair der Firma Helinox. Kann man beim tapir kaufen. Mein Hintern hängt also gut isoliert in der Luft!

Nun geht es also mit den Tricks los, welche ein wärmeliebender Mensch wie ich zum Überleben in dieser lausiger Kälte anwenden muss. Ich beschreibe Euch diese Kniffe mal an einem ganz praktischen Beispiel, nämlich einem typischen Tag im Lager 2 am Shivling.

Ende Teil 1

zu Teil 2

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4 Antworten

  1. Claudia sagt:

    Wieder mal wunderbar auf den Punkt gebracht, lieber Olaf. Bin gespannt auf die Fortsetzung und den Abgleich zu meinen eigenen Erfahrungen am Nirekha. Wobei ich mich ja im Gegensatz zu Dir in sehr kalten Regionen sehr wohl fühle… 🙂

    • Olaf Rieck sagt:

      Vielen Dank für Deinen Kommentar. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass wir zwei am Nirekha wenig Wind hatten, und es die ganze Zeit regelrecht warm gewesen ist. Der Himalaya kann auch noch ganz anders…

  2. Christian Pech sagt:

    Hast Du Dich von der aktuellen Ausgabe von bergundsteigen inspirieren lassen?
    Werde jetzt gleich mal den 2. Teil lesen, bin schon gespannt.

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