Stirn des Ozeans
Wegen ihm sind die ganzen Leute hier. Wegen ihm werden gerade hunderte Tonnen Ausrüstung an einen der unwirtlichsten Orte der Welt getragen. Wegen ihm setzen Menschen ohne Not ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel. Wegen ihm haben auch schon hunderte von Menschen ihr Leben geopfert, sinnlos geopfert.
Wegen ihm sind auch wir hier, da brauchen wir uns gar nichts vor zu machen. Er, das ist der mächtigste und höchste Berg auf unserem Planeten. Die Nepalesen nennen ihn ehrfurchtsvoll Sagarmatha, die „Stirn des Ozeans“. Für die Tibeter ist Er eine mächtige Sie: Chomolungma, die „Göttin Mutter der Erde“.
Für uns ist er schlicht der „Mount Everest“, benannt nach Sir Georg Everest. Everest, ein britischer Geodät und Offizier, leitete viele Jahre die große Trigonometrische Vermessung Indiens und war Surveyor General of India.
Er ist eindeutig der Grund, warum wir inmitten großem Trubel gerade jetzt in meiner Stammlodge in Lobuche sitzen und konstatieren können oder müssen, dass wir den Höhepunkt unserer Tour gerade hinter uns haben.
Am Sonntag (19.3.) betraten wir den heiligen Boden des Everest-Basislagers und stellten uns vor, wie die Titanen des Alpinismus von Hillary bis Messner ebenfalls hier gestanden haben. Ein Ort von Triumphen und Tragödien ohne Beispiel und vor allem ein spektakulär schöner Ort.
Am Montag (20.3.) war der Aufstieg auf den Kalar Pattar an der Reihe. Also auf den neuen Kalar Pattar. Heutzutage steigt man etwa 100 m höher auf einen Aufschwung des Südwestgrates des 7145 m hohen Pumo Ri, auf einen Felsen, der auf 5660 Metern liegt. Es ist der höchste Punkt unserer Tour.
Von hier aus hat man einen fulminanten Rundblick auf etwa ein Dutzend Sechs-, Sieben- und Achttausender. Auch das Basislager sieht man von dort oben. An keinem Ort Nepals kommt man dem Everest so nahe wie hier.
Am Nachmittag kehrten wir von Gorak Shep nach Lobuche zurück.
Von hier aus haben Lutz, Heiko, Andreas, Bernd und Jens gemeinsam mit Te Kumar und mir am Dienstag (21.3.) den Kongma La (5550 m) in Angriff genommen. Anna, Katrin, Tobias und Thomas haben sich entschieden, unten herum ins Imja-Tal nach Chukhung (4750 m) zu laufen und auf den letzten Pass zu verzichten.
Als wir morgens aus der Lodge nach dem Wetter schauten, abermals große Enttäuschung. Wie schon vor dem Cho-La-Pass war uns das Wetter alles andere als hold. Es schneite und guter Rat war nun teuer. Ich entschied, dass wir den Khumbu-Gletscher queren, auf dessen orographisch linker Seite wir relativ bequem unsere Kongma-La-Überquerung abbrechen konnten.
Die Querung des Gletschers ging trotz der unangenehmen Verhältnisse problemlos über die Bühne und nun war die Entscheidung fällig. Pass oder nicht Pass lautete jetzt die Frage. Ich war zugegebener Maßen skeptisch. Das Wetter und die Bedingungen ließen einfach keine erquickliche Bergtour erwarten.
Und das sagte ich meinen Gästen auch. Aber auf meine Frage an jeden einzelnen, ob wir nicht lieber an einem solchen Tag auf diese Schinderei verzichten wollen, kam von jedem einzelnen eine glasklare Antwort. Alle wollten über den Pass.
Also sind wir über den Pass. Ich musste die gesamten 12 Kilometer spuren und gemeinsam mit Te Kumar den Weg finden, was teilweise recht schwierig war. Zu allem Überfluss verlangt der Kongma La über weite Strecken das Gehen in Blockgelände. Wenn das verschneit ist, wird dieser Untergrund zum unangenehmsten Gehgelände, welches ich kenne.
Ich bin übrigens immer noch der Meinung, dass es besser gewesen wäre, bei diesem Wetter und bei diesen Verhältnissen auf den Pass zu verzichten. Dass ich dennoch zugestimmt und die Verantwortung für diese Überquerung übernommen habe, lag einzig und allein an dem großen Vertrauen, welches ich in meine fünf Kongma-La-Aspiranten gesetzt habe.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Souverän und mit den notwendigen körperlichen Reserven haben alle diesen schwierigen Übergang gemeistert. Alle fünf können sehr stolz auf sich sein.
Und der Weg unten herum, den Anna, Katrin, Thomas und Tobias gegangen sind, war bei diesem Wetter auch nicht gerade ein Zuckerschlecken. Ich bin sehr froh, dass wir gesund und voller Eindrücke in Chukhung eingetroffen sind.
Jetzt allerdings ist es nicht mehr wegzureden. Ab sofort geht es abwärts mit uns. Schon in drei Tagen erreichen wir Lukla, von wo aus wir zurück nach Kathmandu fliegen.
Es würde mich freuen, wenn es zu einer Tradition werden könnte, dass der letzte Blogbeitrag von meinen Gästen geschrieben wird. Im letzten Jahr war das so. Und wenn ich die Signale richtig deute, dann besteht immerhin die Möglichkeit, dass es in diesem Jahr auch so wird. Warten wir also ab, wer sich dann das nächste Mal meldet.
Ich melde mich jetzt erst einmal in meinen Schlafsack ab. Es war heute ein langer Tag…
Tolle Gäste, großen Respekt an alle die dabei waren!! Guten Abstieg euch und gute Heimreise wenn es soweit ist. Mir wird etwas fehlen wenn es keinen Blog hierzu gibt. Ich hoffe wir dürfen das nächstes Jahr auch erleben.