Rückblick 2024, Teil 2

Der Höhepunkt 2024 war eindeutig die im Sommer bevorstehende Reise nach Pakistan zum Spantik. Ein 7000er und dabei die Verantwortung für zehn Leute. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht? Wenn ich mich an 2024 zurückerinnern werde, dann sehe ich mich selbst in vielen Jahren noch immer über die Antwort auf diese Frage nachsinnen. Wie ein Damoklesschwert hing diese Reise in der ersten Hälfte des Jahres über mir.

Seit 2002, da gab es leider den einzigen schlimmen Unfall, also ganze 22 Jahre lang lief alles gut. Keine Katastrophen, keine schweren Verletzungen und sogar fast immer Erfolg, wenn ich auf die 34 Besteigungen von 6000ern in Nepal gemeinsam mit meinen Gästen zurückschaue. Warum setzte ich das alles aufs Spiel? Warum wollte ich mir das antun? Diese Gedanken übernahmen zunehmend den meisten Raum in meinem Kopf.

Mein fast vollständiges Team für den Spantik bei unserer Wanderung während des Kennenlernwochenendes im Mai auf der Rathener Rahmhanke.

Eine spontane Entscheidung, zum Spantik zu gehen, war es aber nicht. Der in Aussicht stehende Verdienst bei dieser Expedition spielte auch nur eine untergeordnete Rolle. Es war schon von vornherein ziemlich klar, dass bei dieser Art von Reise nicht allzuviel Geld für mich übrig bleiben konnte.

Ich denke, dass ich mich in einer besonderen Art einigen meiner Stammgäste verpflichtet fühlte. Sie hatten soviel für mich getan, sind mir über viele Jahre treu geblieben, und ich hatte mitunter eine unvergesslich gute Zeit auf zahllosen gemeinsamen Touren mit ihnen verbracht. Ich wollte ihnen etwas zurückgeben. Das war mein Antrieb in Richtung Spantik. Doch ich bereute schon im Vorfeld dieser Reise meine Entscheidung. Ich hatte einfach Angst, dass mitten auf der Zielgeraden vielleicht doch noch etwas passiert. Je näher der Abreisetermin heranrückte, desto mulmiger wurde mein Gefühl.

Der erste Blick auf den riesigen Spantik. Da kann einem schon mal das Herz in die Hose rutschen.

Doch es gab kein Zurück mehr. Also überlegte ich, wie ich die Sache wenigstens so sicher wie möglich machen könnte. Ein zweiter, erfahrener Guide musste her. Glücklicherweise fand ich den in Max, mit dem ich 2022 den Laila Peak bestiegen hatte, sehr rasch. Außerdem sollte auch ein Arzt mit von der Partie sein. Und da hatte ich ebenfalls Glück, weil einer von denen, die sich um eine Teilnahme an dieser Reise bemühten, tatsächlich Arzt war bzw. immer noch ist.

Der dritte glückliche Umstand war die Teilnahme von Sven, der zuvor mit mir schon am recht schwierigen Shivling (6543 m) und am 8080 m hohen Hidden Peak erfolgreich gewesen ist. Insgesamt hatten sieben von den elf Teilnehmern an dieser Reise mindestens schon 6000er-Erfahrung.

Anmarsch ins BC über den Chogolungma-Gletscher.

Doch das konnte mich nicht wirklich beruhigen. Ich hatte in den vergangenen 35 Jahren erlebt, mit welch perfiden Mitteln Berge uns Menschenzwerge aus ihrem Pelz schütteln. An einem so hohen Gipfel und auf so langen Wegen wie am Spantik konnte alles mögliche passieren.

Außerdem war ich mir auch schon im Vorfeld klar darüber, wie groß das Konfliktpotential an einem solchen Berg werden kann. Wenn ich Entscheidungen treffen muss, die unerfreulich für meine Gäste sind, werden aus treuen Stammkunden womöglich Feinde, und dann hätte ich ja richtig was gekonnt.

Wie ungesund die Zielorientierung von Leuten werden kann, die zig Tausende Euros ausgegeben, viele Urlaubswochen geopfert, ihre Partner und Kinder alleingelassen haben, oder als Selbstständige auch noch wochenlang auf Einnahmen verzichten mussten, wusste ich von nicht weniger als 34 Besteigungen von 6000ern mit zahlenden Gästen in Nepal.

Links Aufstieg vom Basislager zum Lager 1. Rechts das Lager 1 und der Chogolungma Glescher vom Südgrat des Spantik aus gesehen.

Am 22. Juli war dann endgültig Schluss mit dem Hadern. Nun zählte nur noch die Qualität des nächsten Schrittes. In Pakistan auf dem Weg zum Berg klappte alles wie am Schnürchen. Die Hunza-Guides, meine pakistanische Partneragentur, arbeitete wie gewohnt hochprofessionell. Wir hatten einen fähigen Sirdar, starke Träger und einen großartigen Koch.

Doch die Verhältnisse am Berg ließen sehr zu wünschen übrig. Es war über Wochen viel zu warm, der Schnee tief und weich, jeder Meter extrem anstrengend. Die Fixpunkte, die wir bauten, um unsere Seile in den steilen Passagen zu befestigen, tauten innerhalb von Stunden aus, Nassschneelawinen drohten, Blankeis machten Querungen heikel.

Ludwig, Sven, Laureen und ich und der tapir auch auf dem Gipfel des 7022 m hohen Spantik.

Es war genauso, wie ich mir das vorgestellt habe. Jeder einzelne Schritt mit meinen Gästen war bei diesen Bedingungen Nervenstress pur. Ich habe Fehler gemacht, Dinge sind suboptimal gelaufen. Aber das ist unter den verschärften Bedingungen einer solchen Tour auch kaum zu vermeiden. Einer muss nun mal entscheiden, jetzt und sofort, häufig ohne Möglichkeit einer gründlichen Abwägung und fast immer unter dem Druck der Erwartungen anderer.

Fakt ist, dass von den 11 Leuten im Team (mich eingeschlossen) sechs den Gipfel erreichten, alle heil und gesund wieder in der Heimat eingetroffen sind und nun auf ein wirklich großartiges Abenteuer zurückblicken können. Darüber bin ich sehr froh und vor allem dankbar. Und Fakt ist auch, dass ich eine Menge auf dieser Reise gelernt habe.

Das Team unmittelbar nach der Rückkehr nach acht Tagen in den Hochlagern im Basislager.

Wieder zu Hause ging es weiter wie vorher. Drei Kletterkurse und die beiden obligatorischen Kennenlernwochenenden in der Sächsischen Schweiz für meine beiden Nepal-Gruppen im nächsten Jahr nahmen mich ganz schön in Anspruch, denn wieder musste nebenbei ein Kletterpraxisdefizit aufgeholt werden.

Marie und Wilson im Sächsischen Rathen bei ihrem Elbsandsteinkurs im September.

Um das rasch zu tun, bin ich in den vergangenen Jahren mehrmals nach Kroatien gefahren. So auch vor und nach dem Spantikprojekt. Das Klettergebiet im Nationalpark von Paklenica bietet geradezu ideale Möglichkeiten, um rasch zu vielen Klettermetern zu kommen.

Links ein kleiner Ausschnitt der großen Schlucht im Nationalpark von Paklenica mit einem anschaulichen Größenvergleich, denn die Mächtigkeit der Wände sind hier schon etwas besonderes. Rechts keine zehn Fahrradminuten von der Schlucht entfernt die Adriaküste.

Das liegt vor allem daran, dass hier die einzelnen Kletter-Sektoren auf einen relativ begrenzten Raum, nämlich die Schlucht im vorderen Teil des Nationalparks konzentriert sind. Zum anderen gibt es hier die gesamte Palette an Möglichkeiten, seinen unterschiedlichen Ambitionen zu frönen.

Die einen lieben es kurz und knackig. Für die gibt es endlos viele Sportkletterrouten, bestens abgesichert und mit Top-Umlenkern ausgestattet, in denen die clipstickbewaffneten, muskelshirtbekleideten Sportkletterer auf ihre Kosten kommen. Und auch solche, die manchmal Erholung vom Fürchten brauchen. Also ich.

Links klettert Luisa in der großartigen, 350 m langen „Velebitaski“ am Anica Kuk. Rechts klettere ich gerade die Schlüsselseillänge der Route „Watersong“ am Veliki Kuk. (Foto: Luisa Kurowski)

Und es gibt die zum großen Teil selbst abzusichernden Abenteuerrouten an bis zu 350 m hohen Wänden, die einen das Fürchten lehren können. Und dazwischen findet der aufmerksame Kletterführerleser jede Menge Abstufungen, wo er von allem ein bisschen mehr oder weniger haben kann. Besser geht es nicht.

Aber das tollste an Paklenica ist, dies alles befindet sich nur einen Katzensprung entfernt von der kroatischen Adria-Küste, wo man perfekt seine Ruhetage genießen und an seiner Bräune arbeiten kann.

Links klettere ich die 10. Seillänge in der Route „Klin“ am Anica Kuk. (Foto: Mario Frosch) Rechts Luisa in der Route „Andy und Max“ am Veliki Kuk.

Der letzte Akt des dieses prall gefüllten Jahres war die Vortragstournee durch sieben Städte in Hessen. Ein Verbund von verschiedenen Sektionen des Deutschen Alpenvereins hatte sich hier zusammengetan, um diese Vortragsreihe zu organisieren. Das macht natürlich eine Menge Sinn, wenn nicht jede einzelne DAV- Sektion allein herumwurschtelt, um für ihre Sektionsveranstaltungen interessante Vorträge an Land zu ziehen.

Und für Leute wie mich hat es logischerweise auch eine Menge Vorteile, wenn ich in einer Region auf relativ kurzen Wegen unterwegs bin und jeden Tag woanders einen Vortrag halte. Außerdem macht es mir nach wie vor großen Spaß auf der Bühne vor einem interessierten Publikum meine Erlebnisse, Gedanken und Bilder auszubreiten.

Das Steinhaus in Bautzen hat wirklich den perfekten Vortragssaal. Ideale Größe, wohltuendes Ambiente, technisch auf dem neuesten Stand und dann auch noch ausverkauft. Das hat mir gut gefallen 🙂

Am meisten Spaß gemacht hat mir allerdings der einzige Vortrag in Sachsen. Hier habe ich meine Multivision zur Hidden-Peak-Expedition im Steinhaus Bautzen präsentiert. Organisiert hat diesen Vortrag Axel Heinemann, der Veranstalter der Geo.osT Reise Nacht. Alles war perfekt: Der Vortragssaal, die Vorbereitung, das Marketing, sogar das Catering und die Tatsache, dass der große Saal bis auf den letzten Platz ausverkauft war. Einen besseren und erfolgreicheren Jahresabschluss hätte ich mir nun wirklich nicht mehr wünschen können.

Nun ist es endlich ruhiger geworden. Deshalb habe ich Anfang Dezember begonnen, an einer neuen, abendfüllenden Multimediapräsentation zu arbeiten. Zumindest ist ein fester Vorsatz schon mal gefasst, denn so richtig losgegangen ist es noch nicht, weil es derzeit eine Menge nachzuarbeiten bzw. vorzubereiten gibt. Acht Wochen Tourenführen in Nepal steht wieder vor der Tür und eine neue Vortragstournee mit gleich drei unterschiedlichen Präsentationen, diesmal in Niedersachsen und Schleswig Holstein. Leider habe ich noch nicht von allen DAV-Sektionen die genauen Veranstaltungsorte und Anfangszeiten bekommen, deshalb konnte ich unter den Vortragsterminen bis heute nicht alle auflisten.

Das Schlussbild meiner Vorträge soll auch das letzte Bild dieses Jahresrückblickes sein. Dieses Porträt stammt übrigens von meiner Reise zum Cerro Fitz Roy in Patagonien und zwar von unserem Rückzug im Wettersturz hoch oben am Berg.

Und nun bleibt mir das wichtigste, nämlich meinen treuen Lesern, Zuhörern und Unterstützern ein ruhiges, entspanntes und friedliches Weihnachtsfest zu wünschen. Vielleicht bleibt ein bisschen Zeit für gute Gespräche mit Freunden, ein schönes Konzert, ein anregendes Buch oder einfach nur, um Kraft zu tanken für das kommende Jahr. Und dafür wünsche ich uns allen weniger schlechte Nachrichten, ein friedlicheres Miteinander und mehr Freude an den vielen schönen Dingen, die uns nach wie vor umgeben. Wir müssen sie nur beachten…

Bis bald wieder hier

Ihr Olaf Rieck

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2 Antworten

  1. Detlef Weyrauch sagt:

    Lieber Olaf, nach deiner langer Abstinenz auf der Homepage habe ich mit großem Interesse den Jahresrückblick gelesen. Das gilt besonders, da ich im Februar/März Teil deiner ersten Nepal-Gruppe gewesen bin. Nach 2002 und 2019 war es nun bereits das dritte Mal, dass ich mit dir gemeinsam mein Lieblingsland, seine grandiosen Berge sowie seine liebenswürdigen Menschen besuchen durfte. Es war für mich ein großes Glück, auf meine alten Tage das alles noch einmal zu erleben. Wenn ich an den Anblick des von den letzten Sonnenstrahlen orange beleuchteten Mount Everest vom Gipfel des Kala Patthar aus denke, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Ich wünsche dir eine ruhige restliche Adventszeit, weiterhin tolle Erlebnisse und bald Zeit für gesundheitliche Belange. Viele Grüße Detlef

    • Olaf Rieck sagt:

      Hallo lieber Detlef, für mich ist es auch ein großes Glück, Gäste wie Dich zu haben, die mir über 20 Jahre die Treue halten. Mir und unserem Lieblingsland. Vielen Dank dafür. Und vielen Dank auch für Deine Wünsche.

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