Vergessen in der Arktis, Teil 2

Und nun beginnt der für mich spannende Teil dieser Geschichte. Ich fragte Herrn Czapka, ob diese Story denn schon mal erzählt worden sei. Und er bejahte das. Dr. Dege, der Wettertruppchef, hätte ein Buch über die Ereignisse auf Nordaustlandet geschrieben. Das sei 1954 erschienen, ist aber seit Jahrzehnten vergriffen. Eigentlich sei diese Sache lange vergessen.

Aber die Station gäbe es noch, zumindest gab es sie bis in die achziger Jahre hinein. Das wisse er vom Sohn des Dr. Dege. Jener sei in dieser Zeit sogar mal dort gewesen. Auch sei er, Siegfried Czapka, nicht der einzige, welcher von den Angehörigen des Wettertrupps noch lebe. Er pflege mit einem von ihnen, Heinz Schneider, nach wie vor eine enge Verbindung.

Heinz (links) und Siegfried (rechts) im Flieger nach Longyearbyen, dem norwegischen Hauptort auf Spitzbergen. Übrigens gibt es auch zwei russische Orte auf Spitzbergen Barentsburg und Pyramiden, wobei letzterer nicht mehr bewohnt ist.

Ich stand zu dieser Zeit in Kontakt mit dem TV-Programmchef des Landesfunkhauses Sachsen, Wolf-Dieter Jacobi. Ich wollte ihn dazu bewegen, meine Everest-Expedition, die für 2005 geplant war, medientechnisch zu unterstützen. Ihm erzählte ich die Begebenheiten rund um die Wetterstation „Haudegen“ und besonders von der Kapitulation vier Monate nach Kriegsende. Ich bot ihm an, ihn mit dem Herrn Czapka zusammenzubringen. Allerdings erbat ich eine Gegenleistung dafür.

Longyearbyen, der norwegische Hauptort und das Verwaltungszentrum Spitzbergens. Longyearbyen wurde 1906 vom US-amerikanischen Unternehmer John Munroe Longyear als Bergarbeiterstadt gegründet.

Wenn es zu einem Interesse des MDR an dieser Geschichte käme, dann wollte ich gern mit von der Partie sein, falls es zu einen Besuch der Wetterstation auf Nordaustlandet kommen sollte. Auch erbot ich mich, diese Reise vor Ort vorzubereiten. Denn durch die Organisation meiner kombinierten Kajak-Trekking-Expedition war ich ja sowieso in Kontakt mit den norwegischen Behörden auf Spitzbergen.

Siegried und Heinz vor dem Puma-Helikopter des Sysselmann.

Und es entstand sehr rasch ein Interesse. Ein sehr großes sogar. Und wie es damals noch üblich war, gab es eine nur mündliche Zusage von Herrn Jacobi, dass ich für die Vermittlung mit zur Wetterstation kommen dürfte und das der MDR sowohl meine Spitzbergentour als auch die Everest-Expedition medial begleiten würde. Und diese Zusagen wurden auch großzügig eingehalten.

Für mich war das damals nicht nur eine tolle Sache, sondern bei meiner gerade ins Laufen gekommenen Selbstständigkeit war diese mediale Präsenz auch überlebenswichtig.

Im Anflug auf die Nordküste von Nordaustlandet.

Lange Rede kurzer Sinn. Im Juli 2004 bin ich mit meinem Partner Mario Zoll, einem Kamerateam vom MDR, Prof. Dr. Eckart Dege, dem Sohn des Wettertruppchefs sowie Heinz Schneider und Siegfried Czapka nach Spitzbergen aufgebrochen.

Heinz Schneider war, wie Siegfried Czapka auch, mit seinen über 80 Jahren in jeder Hinsicht unglaublich fit.

Der Sysselmann, oberster Repräsentant der norwegischen Regierung in Spitzbergen, stellte uns seinen Diensthelikopter zur Verfügung. Mit ihm sind wir dann quer über die Hauptinsel Spitzbergen bis in die Wordiebucht am Rijpfjord an der Nordküste von Nordaustlandet geflogen.

Anflug auf die Wetterstation in der Wordiebucht.

Im Anflug auf die Wordiebucht gab es die erste große Überraschung. Es waren nicht etwa nur ein paar Trümmer auf die wir da zuflogen. Die Wetterstation stand noch und sah von weitem sogar so aus, als könne man gleich wieder einziehen. Wir landeten in einiger Entfernung, um die in die Jahre gekommene Station nicht umzupusten.

Und dann war es wirklich sehr rührend, dabei zusehen zu können, wie die beiden alten Leute „ihre“ Station, die sie vor 59 Jahren verlassen haben, wieder in Besitz nahmen.

Die beiden zeigten uns ihre Kojen, in denen sie ein Jahr geschlafen haben. Das Zimmerchen vom Chef, wo der Blümchen an die Wände gemalt hatte, war nahezu nahezu intakt. Auch ihre umfangreiche Bibliothek war noch vorhanden. Zahlreiche Bücher hätte man sogar immer noch lesen können. Heinz präsentierte uns stolz seine Kiste mit den Utensilien für Schuhreparaturen. Er war unter vielen anderen Dingen auch dafür zuständig. Eine Menge Ausrüstung war einfach immer noch da, wie zum Beispiel auch Waffen.

Die beiden erzählten den MDR-Leuten Geschichten über lästige Eisbären und Rentierjagten, über grenzenlose Einsamkeit ohne eine einzige Nachricht von zu Hause, von der Angst vor Entdeckung und einem Angriff der Alliierten, von ihren Plänen zur Selbstrettung nach einer zweiten Überwinterung und vor allem von der Kameradschaft unter den 11 blutjungen Männern am Ende der Welt.

Für den MDR war diese Reise der Auftakt zu einem großen und sehr erfolgreichen Projekt, denn es entstand daraus die Dokumentationsreihe „Krieg in der Arktis“, welche bis heute eine der erfolgreichsten Produktionen des Mitteldeutschen Rundfunks ist.

Für mich war diese Tour der Auftakt zu einer der spannendsten und am meisten ausgesetzten Touren in meiner Biographie. Sie führte uns bis über den 80. nördlichen Breitengrad. Vor allem die Querung des mehr als 20 Kilometer breiten Isfjorden mit unseren Kajaks, auf der Mario nach einer Kenterung um ein Haar ertrunken wäre, wird mir in lebhafter Erinnerung bleiben.

Unser Aufbruch Richtung Nordkap Spitzbergens in Longyearbyen festgehalten vom MDR-Kamerateam (Foto: Ralf Daubitz).

Genauso wie die 35 Kilometer breite Landbrücke auf Dicksonland, über die wir unsere Boote und das Gepäck tragen mussten, um vom Dickson- in den Austfjord zu gelangen. Das waren für uns echte Grenzerfahrungen, die mir so gegenwärtig sind, als hätte ich sie erst gestern erlebt.

Links trage ich mein Boot über das Dicksonland. (Foto: Mario Zoll) 5,30 m waren unsere Boote lang und mit Paddel, Spritzdecke usw. mehr als 35 Kilogramm schwer. Dazu kamen aber noch mal 30 Kilogramm Gepäck. Eine Tortur, vor allem, weil auf Spitzbergen oft heftiger Wind weht und so ein Boot eine Art Segel ist. Rechts passiert Mario den Mittag-Leffler-Gletscher im Austfjorden.

Am 15. August 2004 haben Mario und ich den nördlichsten Punkt Spitzbergens erreicht, und es hat sich fast so angefühlt, wie auf einem Gipfel zu stehen. Denn am Nordkap hatten wir ja erst die wesentlich einfachere Hälfte der Reise geschafft. Der schier endlose Rückweg lag noch vor uns. Und hier ging es eben nicht bergab wie nach einem Gipfel.

Aber das ist wieder eine andere Geschichte…

zum Teil 1

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4 Antworten

  1. Veronica sagt:

    Ich wäre am liebsten dabei gewesen, als die zwei älteren Herren „Ihre“ Station wieder erkundeten!
    Und wann gibt es die Geschichte vom „schier endlosen Rückweg“? Bin jetzt schon darauf gespannt!

  2. Detlef Weyrauch sagt:

    Eine spannende und außergewöhnliche Geschichte. Kann es sein, dass sie in einem früheren Blog oder Vortrag von dir schon einmal Thema war? Was das Schreiben eines Buches betrifft, hättest du sicher Talent dazu. Spannende Geschichten hättest du auch jede Menge zu bieten. Finanziell wäre es wohl ein großes Risiko. Ich würde jedenfalls ein Buch von dir kaufen.

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