In der Falle, Teil 1
Als Bernd auf dem Gipfel seine Handschuhe auszog, um zu fotografieren, war das Unglück unübersehbar. Selbst hatte er es scheinbar noch gar nicht mitbekommen. Ich erwähnte es schon im letzten Blog. Große Höhe, gepaart mit bitterer Kälte und Wind bedeutet immer Erfrierungsgefahr. Und nun war es passiert.

Luisa und ich auf dem Gipfel. Im Hintergrund Everest, Lhotse und Nuptse rechts von uns und auch der Cho Oyu, links, ist zu sehen. (Foto: Bernd Weimann)
Mehrere Finger seiner rechten Hand wiesen Erfrierungen auf. Ich hatte immer wieder vor dieser Gefahr gewarnt und auch einzelne darauf hingewiesen, wenn ich das für nötig hielt. Ganz besonders und auch mehrfach habe ich das bei Bernd getan.
Bernd wollte die Gefahr, in der seine rechte Hand schwebte, gar nicht wahrhaben. Wir mussten runter, so rasch es ging.
Die rechte Hand von Bernd am Tag nach dem Aufstieg. Drei Finger sind betroffen. Die linke Hand ist verschont geblieben. Wenn alles gut läuft, könnte das wieder werden, denn bis heute ist nichts schwarz geworden.
Der Abstieg ging problemlos vonstatten, in knapp drei Stunden erreichten wir drei das Hochlager. Hier ging dann sogleich die Behandlung von Bernds Händen los. Lauwarmes Bad, um seine Hände zu erwärmen und die Gefäße weit zu stellen, Heparin zur Blutverdünnung, durchblutungsfördernde Medikamente, alles was möglich war.
Ich beschwor Bernd, nach Khare abzusteigen und mit dem Helikopter nach Kathmandu ins Krankenhaus zu fliegen. Aber er bestand darauf, die Tour fortzusetzen, auch auf die Gefahr hin, dass seine Hände Schaden nehmen.

Abstieg vom Hochlager zum Mera La. Unsere treuen und tapferen Träger kamen uns entgegen. Der Punkt über unseren Köpfen.
Also sind wir alle am 13.04. vom Hochlager zum Mera La (5400 m) und von dort weiter nach Kongma Dingma (4800 m) abgestiegen. Und dieser Abstieg hinunter in das Hongku-Tal rief bei mir sehr lebhafte Erinnerungen hervor.
2015, zwei Jahre nach meiner erfolgreichen Expedition auf den herrlichen 7000er Baruntse, war ich mit einer Trekkinggruppe wieder im Hongku-Tal. Der Weg zum Baruntse und dann über den Amphu-Labtsa-Pass hinab ins Imja Tal hatte mir so gut gefallen, dass ich ihn unbedingt auch mal mit Gästen gehen wollte.

Das mit großem Abstand schönste Teamfoto dieser Tour vor der großartigen Kulisse des Khumbu-Himal. Leider fehlt Bijay, der schon vorausgegangen war. Unsere Träger von links nach rechts: Muktha, Niratsch,Sanjit, Chatur, Sitesch, Mitu, Ranjit, Uttam, Peekey, und mein Co-Guide Te Kumar.
Nachdem wir damals, genau wie jetzt auch, den Mera Peak erklommen hatten, sind wir ins Hongku-Tal nach Kongma Dingma abgestiegen. Dieses Tal führt direkt hinauf zum Amphu-Labtsa-Pass. In Seto Pokhari, dem zweiten Camp im Tal, begann es massiv zu schneien.
Innerhalb einer Nacht fiel ein halber Meter Schnee. Die Überquerung des 5800 m hohen Amphu Labtsa war unmöglich geworden, insbesondere für unsere Träger. Das gaben sie uns auch unmissverständlich zu verstehen.
Unversehens befanden wir uns in einer äußerst prekären Lage. Denn man sitzt im Hongku-Tal in einer Falle, wenn man den Amphu Labtsa nicht überqueren kann.
Wenn der Amphu Labtsa versperrt ist, gibt es zwei Möglichkeiten, um aus dem Tal hinaus zu kommen. Die eine ist der fast fünfeinhalbtausend Meter hohe Mera-La, über den wir ja gerade gekommen waren. Keine berauschende Aussicht bei einem halben Meter Neuschnee.
Die zweite Möglichkeit ist der etwa einwöchige Abstieg das Hongku-Tal hinunter Richtung Tumlingtar. Bei dieser Alternative hätten wir unsere Rückflüge nach Deutschland auf alle Fälle verpasst.
Wir hatten also die Wahl zwischen Pest und Cholera. Aussitzen konnten wir die Sache jedenfalls nicht, denn unsere Vorräte waren begrenzt. Mehr als 20 Leute mussten jeden Tag etwas zu essen bekommen.

Auf dem Abstieg vom Mera La zu unserer ersten Station im Hongku-Tal, Kongma Dingma. Die Zelte sind schon sichtbar.
Wir haben sogar kurz darüber nachgedacht, ob wir uns ausfliegen lassen sollten. Doch für mich wäre das nie und nimmer in Frage gekommen. Ich hätte meine Träger nicht im Stich gelassen. Und nachdem das geklärt war, haben wir uns in einem gewaltigen Kraftakt von Seto Pokhari nach Khare über den Mera La gekämpft.
Meine Gäste haben damals wirklich großartiges geleistet und den gesamten Weg für die Träger gespurt. Eine derartige Leistung einer Gästegruppe hat es vorher und auch danach nie wieder gegeben.

Auch hier hat sich in den vergangenen 10 Jahren einiges getan. Der „Aufenthaltsraum“ in Kongma Dingma. Hier schlafen relativ bequem die Träger. Wir waren auch hier in Zelten untergebracht.
Und nun sitzen wir abermals in dieser Falle. Genau jetzt, wo ich das schreibe (15.04.), schneit es wieder, als wollte jemand die Welt zuschütten.
Ich hocke in einem Zelt im Basislager direkt unterhalb des Amphu Labtsa. Noch eine Station weiter hinten im Hongku-Tal als 2015. Wenn wir morgen nicht über diesen Pass kommen, dann haben wir wieder ein riesengroßes Problem. Noch viel größer als 2015.

Der Blick aus meinem Zelt im Basislager des Amphu-Labtsa-Passes. Es schneit wie wild. Wird es rechtzeitig aufhören? Wird es überhaupt aufhören?
Man sollte sich also gut überlegen, ob man sich sehenden Auges in diese Abhängigkeit begibt und vor allem mit wem. Das geht nur mit einem Team wie diesem hier.
Doch ob das auch gut ausgegangen ist mit dem 5800 m hohen Amphu-Labtsa-Pass, erfahren meine treuen Blogleser im Teil 2.
zu den anderen Beiträgen dieser Tour: