Leben, Sterben und Lügen…

Wer sich in Gefahr begibt, wird darin umkommen. Das hat mein Vater gesagt, als er erfuhr, dass ich 1995 meinen ersten Versuch an einem Achttausender unternehmen wollte. Er hatte Angst um mich. Ich hatte auch Angst um mich. Und gerade in diesen Tagen werden wir wieder alle gemeinsam daran erinnert, wie groß unsere Verantwortung uns selbst gegenüber ist, wenn wir in den Bergen unterwegs sind. Denn leider ist die gegenwärtige Saison an den großen Gipfeln der Welt eine sehr tragische.

Zehn Bergsteiger sind am Everest ums Leben gekommen, darunter auch zwei Deutsche. Vor allem deshalb ist das ganze Elend am höchsten Berg der Welt mal wieder in den Focus der breiten Öffentlichkeit gerückt. Gestorben wird dort aber jedes Jahr. Als ich 2005 am Everest gewesen bin, gab es 15 Tote, genauso viel also wie in der Katastrophensaison 1996. Doch zufällig war damals ein Journalist namens Jon Krakauer vor Ort. Und der hat aus der Tragödie einen Bestseller gemacht und ist Multimillionär geworden.

Der Gipfel ist ein sehr tückischer Ort. Viele denken, dass sie nun endlich am Ziel seien. Das Gegenteil ist der Fall. Denn solange Du nicht wieder unten bist, gehört der Berg nicht Dir, sondern Du gehörst ihm!

Allerdings gebührt Krakauer der Verdienst, dass erste Mal der ganzen Welt vor Augen geführt zu haben, wie wir Menschen den höchsten Berg der Welt vergewaltigen. Dass dabei auch gestorben wird, macht die ganze Sache ja besonders interessant. Ich behaupte, dass der Hype am Everest erst mit dem Erscheinen dieses Buches so richtig einsetzte. 1996 waren 30 oder 40 westliche Alpinisten am Berg. Heute sind es zehnmal so viel! Und all diese Leute können nun zu Hause davon berichten, wie sie dem Tod ins Auge geblickt haben im Schlepptau ihrer Sherpas, die sie am kurzen Seil hinter sich her ziehen und ihnen zwischendurch die Sauerstoffflaschen wechseln mussten.

Eine katastrophale Lawine an den Gasherbrums erlebte ich 1995. Da hatten wir einfach nur großes Glück, nichts weiter.

Mich persönlich hat natürlich das Schicksal von Gerfried Göschel am Hidden Peak besonders betroffen gemacht. Ein ausserordentlich starker und erfahrener Mann verschwindet mit seinen beiden Seilgefährten in Gipfelnähe spurlos. Er hat ganz offensichtlich Fehler gemacht. Vielleicht haben die drei die Lawinengefahr oder den eigenen Zustand falsch eingeschätzt. Und womöglich ist es gar keine Fehleinschätzung gewesen, sondern die Akzeptanz eines sehr hohen Risikos durch den großen Druck, dem der aufstrebende Göschel ausgesetzt war. Wenn man heutzutage ganz oben in der Liga der Spitzenbergsteiger mitspielen will, muss man ständig an die Grenzen des Machbaren gehen und an seine eigenen. Dass dort zwangsläufig Gefahr herrscht, versteht sich von selbst.

Erfrierungen denken viele, seien vor allem von der großen Kälte beim Höhenbergsteigen verursacht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die eigentliche Ursache ist die Höhe und der damit verbundene geringe Sauerstoffgehalt in der Luft. Bergsteiger verlieren enorm viel Flüssigkeit durch die zwangsläufig erhöhte Atemfrequenz. Dadurch dickt das Blut ein, und es kommt in Folge dessen zu Durchblutungsstörungen vor allem an den Körperenden.

Ein Paradebeispiel für die Auswirkungen von selbst erzeugtem Druck ist der sogenannte „Skyrunner“, Christian Stangl. Dass ich ihn hier anführe, ist dem Umstand geschuldet, dass sein Beispiel einerseits besonders krass zeigt, wie heutzutage gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Andererseits, weil Stangl selbst davon spricht, dass er unter enormen Druck gestanden und deshalb seine K2-Besteigung völlig frei erfunden hat. Stangl gab an, am 12. August 2010 den Gipfel des K2 (8611 m, zweithöchster Berg der Erde, schwierigster aller 14 Achttausender) erreicht zu haben. Doch es meldeten sich rasch Zweifler an diesem Erfolg. Es gab keine Spuren auf der von ihm gewählten Route. Auf seinem Gipfelfoto passte das Wetter nicht zu dem, was nachweislich an jenem Tag herrschte, an welchem er oben gewesen sein wollte. Ausserdem war Stangl in bestem Zustand, als er wieder im Basislager eintraf. Kein Anzeichen von Erschöpfung. Bei genauer Analyse der Gipfelfotos stellte sich zudem zweifelsfrei heraus, dass diese gar nicht am Gipfel gemacht sein konnten. Die Bilder stammten von einem früheren Versuch Stangls am K2 und waren in der Umgebung von Lager 3 also 1000 m unterhalb des Gipfels aufgenommen worden.

Dieser Fuss hier ist das Ergebnis eines kurzen Nickerchens in der Todeszone. Und das Blut stammt von einem Freund, der seine Leidenschaft für die Berge mit dem Leben bezahlen musste.

Erst wollte sich Stangl nicht zu den Vorwürfen äussern. Dann versuchte er, sich zu verteidigen. Doch am 7. September 2010 brach sein Lügengebäude zusammen. Er musste zugeben, dass er sich die Besteigung des K2 wegen des enormen Druckes, unter dem er angeblich stand, nur „eingebildet“ hätte. Heute weiss man, dass er damals nicht einmal das Basislager verließ. Das muss man sich mal vorstellen!  Daraufhin kam, was kommen musste. Auch eine ganze Reihe weiterer von Stangls angeblichen Erfolgen hielten einer Überprüfung nicht stand. Und ich weiss aus eigener Anschauung, dass Stangl nur die Spitze eines Eisberges ist. Besonders pikant bei der ganzen Sache, dass er nun seinerseits anfängt, Bergsteigerkollegen anzuschwärzen, wie zum Beispiel Hans Kammerlander im Rahmen seines „Second Seven Summit“-Projektes, dem er auf seiner Homepage unterstellt, nicht auf dem Mount Logan (zweithöchster Berg Nordamerikas) gewesen zu sein. Und leider sieht es so aus, als hätte Stangl sogar Recht, wie Spiegel online am 13. April diesen Jahres schreibt. Doch bei Kammerlander handelt es sich um einen Irrtum oder schlimmstenfalls Nachlässigkeit, nicht um bewusste Täuschung.

Worum es hier eigentlich geht, fragt man sich. Die Antwort ist einfach. Es dreht sich ausschließlich darum, wer der erste Mensch auf den 14 höchsten Bergen aller Kontinente sein wird  und damit in den Bergsteigerolymp eingeht. Oder anders ausgedrückt: Es geht um Sponsoren sowie das Medieninteresse und damit die Höhe der Vortragshonorare, die man zukünftig verlangen kann.

Der Hidden Peak, auch Gasherbrum I genannt, ist ein traumhaft schöner Berg. Er gefällt mir unter anderem deswegen, weil er der abgelegenste unter den 14 Achttausendern ist. Von keinem bewohnten Ort aus kann man ihn sehen. Allein nur zu ihm zu kommen, ist schon ein großes Abenteuer. Steil und deshalb anspruchsvoll präsentiert er sich hier vom Gipfel des benachbarten 8035 m hohen Gasherbrum II. Dieses Foto von mir stammt aus dem Jahr 2001. Ein Versuch am Hidden Peak im gleichen Jahr ist gescheitert. Ich habe also noch eine Rechnung mit ihm offen.

Was will uns das Ganze sagen? Bergsteiger sollten dieser wunderbaren Leidenschaft ausschließlich um ihrer selbst willen nachgehen. Nicht für Ruhm und Ehre und schon gar nicht für einen lukrativen Sponsorenvertrag. Und wir sollten auch nicht zu viel Stolz an den Tag legen. Als ich aus Patagonien vom Cerro Fitz Roy zurückkehrte und meinen Vortrag zu diesem Besteigungsversuch auf Plakaten ankündigte, hat sich doch tatsächlich jemand daran gemacht, eine ganze Reihe dieser Plakate kreativ umzugestalten. Statt „Patagonien 2“ stand dort plötzlich „Versagen 2“ und statt „Berge im Kopf“ „Säcke im Kopf“. Ich ärgere mich noch heute darüber, dass ich mich darüber geärgert habe.

Ich schrieb diesen Text hier vor allem für mich, weil ich weiss, wie ich bin. Stolz, Eitelkeit und Ehrgeiz sind auch mir keineswegs fremd. Deshalb werde ich bei jedem einzelnen Schritt den Hidden Peak hinauf an Gerfried Göschel denken. Er war stärker und erfahrener als ich. Ich werde Christoph im Auge behalten und neidlos anerkennen, wenn auch er stärker und schneller als ich sein sollte. Ich werde mir eingestehen, falls ich diesem wunderschönen Berg nicht gewachsen bin, dass ich umkehren muss und zwar möglichst schon dann, wenn es dafür noch nicht zu spät ist. Und wenn nach meiner gesunden Rückkehr ohne Gipfelerfolg jemand wieder meine Plakate umgestalten sollte, werde ich es mit einem Lächeln zur Kenntnis nehmen. All diese guten Vorsätze werden mich selbstverständlich nicht davon abhalten, dass Äusserste zu versuchen, um mein Ziel zu erreichen! Doch immer gilt: Das Leben ist zu schön, um an einem Gipfel und sei er noch so großartig, zu sterben.

Das könnte dich auch interessieren …

6 Antworten

  1. Thomas Benecke sagt:

    Hallo Olaf, ich habe mich ja schon lange nicht mehr bei Dir gemeldet. Aber glaub mir, fast jeden Tag bin ich bei Dir auf der Seite. Ich wünsche Euch beiden unendlich viel Kraft und wenn der Berg stärker sein sollte, ich werde Dich immer bewundern. Sobald Ihr zurück seid, werde ich, da kann kommen was will, nach Leipzig oder auch irgendwo hin kommen und Dir persönlich meine Glückwünsche, egal wie es ausgeht, überbringen. Eines Tages werde ich bestimmt auch wieder mit Dir in Nepal oder anderswo auf der Welt unterwegs sein. Ich habe es mir ganz fest vorgenommen.
    Also viel, viel Kraft und auf eine gesunde Heimkehr!!! Thomas, der mit den vielen Büchsen (vielleicht weißt du ja noch was ich meine)

  2. Detlef Weyrauch sagt:

    Hallo Olaf, ich habe mich lange nicht mehr auf deiner Homepage gemeldet. Das heisst aber nicht, dass ich nicht seit über 10 Jahren alle deine Beiträge mit großem Interresse gelesen hätte. Ich wünsche dir und deinem Mitstreiter unvergessliche Erlebnisse, wenn möglich, den Gipfelerfolg, wenn nicht, dass ihr den Zeitpunkt der rechtzeitigen Umkehr nicht verpasst.

  3. Isolde Schietinger sagt:

    Hallo Olaf, für die Endphase eurer Vorbereitungen für Pakistan schicke ich die
    besten Wünsche aus dem Schwabenland.
    Viel Glück für deinen Traumberg für dich und deinen Freund sendet euch

    Isolde

  4. Moppel sagt:

    Namaste` Olaf, als treue Leser deiner sehr interessanten, abwechslungsreichen und mit tollen Bildern versehenen News wünschen dir (und natürlich auch deinem Bergkameraden) die 4 Moppels für deine bevor stehende 8.000-er Expedition den Gipfelsieg und die gesunde Heimkehr. Herzliche Grüße auch an Janina.

  5. Günther Herfurth sagt:

    Hallo Olaf,
    ich möchte Dir und Deinem Mitstreiter viel Erfolg am Hidden Peak wünschen.
    Aber vor allem kommt gesund wieder.
    Herzliche Grüße
    Günther

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen