Namche Bazar

Denke ich an Namche Bazar in der Nacht, bin ich nicht zwangsläufig um den Schlaf gebracht. Es ist einfach nur der Lauf der Dinge, den man hier wie in einem Schlaglicht beobachten kann. Zumindest wenn man, so wie ich, fast zwanzig Jahre ohne Unterbrechung wieder kommt. Und mir fällt sofort ein anderer Ort am entgegengesetzten Ende der Welt ein, für den gleiches gilt: El Chaltén. Beide Orte sind für mich der Inbegriff des Wandels hervorgerufen allein durch den (Berg)Tourismus.

Namche von Syampoche aus gesehen. Aus dieser Perspektive ist sehr schön zu erkennen, wie Namche mitten am Hang angelegt worden ist. Und wenn mal der große Regen kommt, dann gehts ab ins Tal des Bhote Kosi.

Ich meine, dass man lange suchen muss, ehe man ähnliches findet. El Chaltén gab es Anfang der Achtziger Jahre noch gar nicht und heute ist der Ort „Trekkinghauptstadt“ Argentiniens. Namche Bazar ist das inzwischen wohl auch für Nepal, und dabei kamen 1951 zum ersten Mal überhaupt Ausländer ins Khumbu, wurden 1964 die ersten Trekkinggäste empfangen und die erste Lodge entstand in Namche 1973. (Quelle: Mündliche Mitteilungen meiner „alten“ Sherpafreunde und H.W. Tilmann, Nepal Himalaya)

Sie steht tatsächlich noch, die allererste Lodge von Namche. Eingezwängt und ungenutzt, sind ihre Tage ganz sicher gezählt. Aber noch ist sie da. Und das ist sie auch wirklich. Mindestens zehn Leute haben immer wieder unabhängig voneinander vom Sherpa Hotel als erster offizieller Herberge von Namche erzählt.

Namche liegt zwischen 3400 und 3500 m Höhe oberhalb der Stelle, an der sich die beiden Flüsse Bhote Kosi und Imja Drangka vereinigen. Letzterer kommt sozusagen direkt von Everest und Lhotse und entwässert das gesamte östliche Khumbugebiet.

Dass Namche werden konnte, was es heute ist, wurde ihm keineswegs in die Wiege gelegt. Es war ein kleiner, unbedeutender und ziemlich armer Ort. Das lag daran, dass die landwirtschaftlich nutzbare Fläche in dem amphitheaterartigen Einschnitt des Hanges, an welchem Namche angelegt wurde, begrenzt ist. Es gab hier über Jahrhunderte nur ein paar wenige armselige Steinhütten.

Und das hier ist das Yeti Home von Namche. Es gehört, wie vier weitere „Luxushotels“ im Khumbu der in Nepal ansässigen Trekkingagentur „Thamserku“. Dies ist die beste und teuerste Unterkunft in Namche. Man zahlt als Individualtourist 180 Dollar für die Nacht. Da ist dann aber auch fast alles dabei, wie Vollpension, Hot Shower, WiFi usw. Das Zimmer übrigens ist das Honeymoonappartment. Ein Doppelbett und wenn es dann genug ist, hat jeder sein eigenes Bett. Sehr umsichtig.

Namche liegt am Schnittpunkt dreier bedeutender Wege: Da ist einmal der alte Handelsweg über den Pass Nangpa nach Tibet. Zweitens der Weg hinauf zum Fuss des Everest, der aber erst seit höchstens 60 Jahren eine Bedeutung bekommen hat. Der dritte sehr wichtige Weg ist natürlich der hinunter ins Tal in Richtung Salerie und Jiri.

Diese exponierte Lage ist der Grund, warum Namche zu einem Marktflecken wurde, an dem bis heute an jedem Sonnabend ein Basar abgehalten wird. Doch Khumjung und Khunde, die höher gelegenen Nachbarorte Namches, befinden sich ebenfalls an dieser Wegkreuzung, waren jedoch viel größer und auf Grund einer um ein vielfaches umfangreicheren landwirtschaftlich nutzbaren Fläche schon immer wohlhabender. Und hier kann man auch viel einfacher Häuser bauen.

Los geht es am Freitagnachmittag, die meisten Leute kommen aber erst am Sonnabend bis etwa um 11.00 Uhr. Sonnabend ist ja auch Feiertag in Nepal. Früher traf man hier auch viele Tibeter, die über den Nangpa La aus Tingri kamen. Aber die Chinesen haben diesen kleinen Grenzverkehr unterbunden.

Trotzdem ist Namche die unangefochtene Metropole der Everest-Region geworden. Und das liegt einzig und allein an der Tatsache, dass Namche nach einem 600-Meter-Aufstieg aus dem Tal der erste Ort ist. Man konnte einfach nicht weitere 400 m bis Khumjung oder Khunde aufsteigen, weil dann alle Touristen höhenkrank geworden wären. Wenn es Namche an dieser Stelle nicht gäbe, an der es nun mal ist, hätte es vermutlich angelegt werden müssen. Selbst die Höhendifferenz zwischen den letzten Dörfern im Tal (Phakding Benkar, Monjo, Jorsale) und Namche ist schon groß genug und liegt zwischen 600 und 800 Metern. Dazwischen gibt es aber nichts.

Das also ist der entscheidende Faktor für die Bedeutung und den gegenwärtigen großen Reichtum Namches. Namche ist auf Grund dieses Höhenunterschiedes kein Durchgangsort, wie buchstäblich alle anderen Siedlungen im Khumbu. Die Höhendifferenzen können überall so gewählt werden, dass nicht mehr als 300 bis 400 Meter pro Tag aufgestiegen werden müssen. Möchte man nach Namche, sind es wenigstens 600. Und dann kann man eben nicht einfach am nächsten Tag weitergehen, sondern muss sich hier ein oder zwei Tage an die Höhe gewöhnen. Die Touristen bleiben also länger und das hat diesen Ort so wohlhabend gemacht.

Das linke Bild zeigt eine Ansicht Namches aus dem Jahr 1973. Ältere Fotos habe ich bis auf eine Ansicht von 1960 nicht gefunden. Aber die war leider nicht reproduzierbar. Das rechte Bild ist gerade eben fast exakt vom gleichen Standpunkt aus aufgenommen. Man erkennt das an dem Felsen am oberen Bildrand. Links ist er etwas besser zu sehen. 

Als ich vor nun mehr 20 Jahren das erste Mal hier her kam, gab es kaum etwas von dem, was den Ort heute ausmacht, ausser ein paar einfachen Herbergen. Es gab keine Bäckereien, keine Internetcafés, kein Billardbars, keine Bergsportläden, kein WiFi, kein Handyempfang, keine Zimmer mit Dusche, keine Spülklosetts, kein Luxushotel und schon gar keine Sherpamillionäre.

Dass es das alles heute gibt, finde ich nicht etwa schlecht, im Gegenteil! Ich genieße diesen Komfort in vollen Zügen, wenn ich nach Wochen oder Monaten aus den Bergen komme. Doch wenn ich mich umschaue, während ich diese Zeilen in meinen Laptop tippe, dann beschleicht mich zwar nicht die Angst vor Schlaflosigkeit, wie den alten Heine beim Gedanken an Deutschland. Aber ein wenig befremdlich ist es schon. In meiner sehr angenehmen Lodge gibt es im Dinningroom einen Hotspot. 17 Leute sitzen hier um mich herum, und die Hälfte von ihnen starrt auf ein Smartphone bzw. Tablet-PC, anstatt sich wenigstens aus dem Fenster die Berge im Abendlicht anzuschauen. In der letzten Stunde klingelte sieben Mal ein Handy. Der kleine Urken Sherpa, lang ersehnter Stammhalter der Tochter des Patriarchen meiner Lodge, 19 Monate alt, macht den lieben langen Tag nichts anderes, als mit einem nagelneuen ipad herum zu spielen wie ich seinerzeit mit Autos, Bausteinen oder im Sandkasten.

Urken liebt sein ipad. Und er kann sehr quengelig werden, wenn man es ihm wegnehmen will. Die Nepalesen sind durchweg außerordentlich handy- und computeraffin. Das fällt auf.

Wenn also aus der zukünftigen Elite der Sherpas hier im Khumbu zwangsläufig auch eine Facebookgeneration wird. Wenn auch sie, wie die allermeisten der jungen, wohlhabenden Leute schon jetzt nur eins will, nämlich nach Amerika auswandern, wer wird dann die Traditionen pflegen, die Klöster erhalten und die uralten Rituale weitergeben, welche die Sherpakultur ausmachen und die zu den Bergen hier gehört wie der Schnee? Der Wandel ist so grundlegend und so ungeheuer rasant. Vom Mittelalter in die Moderne in fünfzehn, zwanzig Jahren. Die Elterngeneration des kleinen Urken weiss noch um die Bedeutung ihrer Kultur für den Tourismus. Obwohl es ihnen genau genommen nur noch ums Geldverdienen geht. Die kleinen Urkens, Lakpas, Pasangs und Purbas, die jetzt hier aufwachsen, werden, wie gesagt, nicht einmal gewillt sein, hier überhaupt zu leben, geschweige denn Religion und Tradition zu bewahren.

Nun, es ist eben so. Und das ist auch kein Grund zur Traurigkeit, höchstens zur Eile. Warum sollte es nun gerade hier anders sein, als im Rest der Welt? Etwa weil ich mich ausgerechnet bei den Sherpas so wohl fühle? Die gute Nachricht ist, dass das Khumbu von den wirklich tiefgreifenden Veränderungen, wie es scheint, auch in Zukunft verschont wird. Sämtliche Projekte, wie eine Straße ins Khumbu, die tausende von Trägern arbeitslos machen würde oder eine Seilbahn hinauf zum Hotel „Yeti-Home“ am Kongde werden nicht realisiert, obwohl die Pläne dazu in der Schublade liegen.

Dieses Foto hier habe ich nicht etwa in einem Kloster aufgenommen, sondern in der Lodge, in welcher ich seit fast 20 Jahren wohne, wenn ich in Namche bin. Die hat ihre eigene "kleine" Gompa, in die 20! Mönche passen. Soviel, wie Gebetbücher vorhanden sind. Rechts und links neben den Buddhas sind sie untergebracht. Die Pracht dieses hauseigenen Klosters lässt auf Religiosität aber natürlich auch auf Reichtum schließen. Darauf sind die Sherpas stolz und haben deshalb keine Scheu, sie auch zu zeigen.

Man kann hier noch immer die ganz großen Erlebnisse haben, wie meine Gäste und auch ich gerade wieder erfahren durften. Und genau besehen, ist es immer noch einfach, im Khumbu den ultimativen Bergurlaub zu verleben. Man muss aber selbst aktiv werden. Braucht man hier tatsächlich sein Smartphone oder seinen Laptop? Muss man hier wirklich jeden Tag mit der Firma telefonieren, seine Mails checken oder seine Erlebnisse auf Facebook posten so wie ich 🙂 Muss man nicht! Und man muss auch nicht in der Saison herkommen, wenn die vielen tausend anderen Bergfreunde ebenfalls gerade hier sind. Und ganz einfach ist es, ein paar andere Wege zu gehen, als jene, die alle hier laufen.

Ich möchte natürlich am liebsten, dass alles so bleibt wie es ist (war). In Deutschland leben und immer mal herkommen und mir die uralte tibetische Lebensweise reinziehen. Sehr egoistisch. Aber so läuft das eben nicht, und das ist auch gut so. Doch die Hauptsache, nämlich die einzigartigen Berge rund um Namche Basar, werden sogar auch dann noch da sein, wenn die klugen Tiere, die das Erkennen erfanden, wie Nietzsche schreibt, nach wenigen Atemzügen der Natur wieder sterben mussten.

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7 Antworten

  1. Uli Mathie sagt:

    Vielen Dank für ihre großartige Berichterstattung!
    Als ich 1992 das letzte mal in Namche war, hatte ich sogar Edmund Hillary persönlich getroffen. Ich plane in naher Zukunft zurück zu kehren…..

  2. Marianne Schröder sagt:

    Danke vielmal für die spannende Lektüre! Das Yeti Home würde mir auch gefallen ……..
    ;-))

  3. Veronica sagt:

    Eine sehr interessante, informative News!
    Herzliche Grüße
    Veronica

  4. Jutta sagt:

    Hallo Olaf,
    Ein sehr schöner Bericht. Aber ist es nicht immer so in unserer Welt? Man findet einen schönen Platz, aber das Leben ist Bewegung, und die kann man nicht aufhalten. Du hast das Privileg, den Khumbu und Namche in vielen Facetten zu kennen und die Entwicklung mitzuerleben…von der Sherpa Lodge bis zur angelegten Steintreppe im BC 😉
    Ich habe gestern gelesen, dass ein Ice-Doctor tödlich verunglückt ist, als ein sicherer Weg gesucht wurde. Auch der Wohlstand der Sherpas hat seinen Preis. Hoffentlich passiert nicht noch mehr…
    Liebe Grüße
    Jutta

  5. Karl-Heinz Merz sagt:

    Guten Morgen Kathleen u. Thomas,
    schön, dass ihr gut angekommen seid – wir münschen euch eine spannende, erlebnisreichen Tour durch die Berge.
    Gruß – M+P

  6. Lieber Olaf, dass ist ja wirklich „Abenteuer leben“. Deine Berichte werden immer besser, informativer und intensiver, oder täusche ich mich? Deine „Kleine, kurze“ Besteigung des Lobuche hat mich sehr beeindruckt. Fast habe ich das Gefühl, bei Dir bricht eine neue Art Bescheidenheit aus! Wie kommt das 160 m – Seil da hoch; und alles andere? Dürfte nicht leicht sein für Nachahmer. Übrigens: Sei vorsichtig, auf Dich warten noch die Janina- und Olafkante! Herzliche Grüße von Erhard

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